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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO XIII.
so sich an bürgerliche/ ja gar von der geringsten condition, verheyrathet ha-
ben/ ohne daß jemand solches zu hindern fug gehabt/ sondern auch nicht we-
niger von gräfflichen personen. Mir sind selbs dem nahmen nach noch heut
zu tag bekant zwey exempel aus alten gräfflichen häusern/ da eine gräffliche
Fräulein von Wied/ ob wol wie mir erzehlet worden/ durch eine art einer
entführung einen bürgerlichen geheyrathet/ sonderlich aber die geweste Fräu-
lein Charlotte von Falckenstein Broich/ des letzten Graffen tochter/ de-
ro beyde schwestern an Graffen von Leiningen geheyrathet gewesen/ und sie
von jugend auff die reputation einer gottseeligen und ohnsträfflichen person
gehabt/ sich an einen reformirten prediger vermählet. Jetzo nach andern
nicht zu forschen/ daran sonsten es etwa nicht mangeln würde. Ja wir fin-
den/ da sonsten bey den heyrathen der Fürsten und Graffen/ wann sie bür-
gerstands töchter heyrathen wolten/ mehr bedenckens seyn möchte/ weil ob
ihren also erzeugten kindern zwahr die succession gebühret/ gleichwol darü-
ber offt mißliche und gefährliche streitigkeiten/ die man lieber zu verhüten
hat/ entstehen können/ daß dennoch auch solche heyrathen nach den rechten
nicht verworffen werden: Wie der Wirtenbergische ICtus Nicol. Mylerus
ab
Ehrenbach Gamol. pers. Illustr. c. 5. §. 51. p. 137. solches darthut/ und er-
weiset es nicht nur aus jure civili, sondern vornehmlich Canonico, deme man
in den ehesachen gemeiniglich zu folgen pfleget/ durch den text cap. recurrat.
2. caus. 32. q. 4. quod licitum sit nobili aliive illustri viro, quamlibet igno-
bilem, imo etiam vilem uxorem ducere:
Welches er auch noch ferner mit
guten rationibus bestärcket. So nun nicht einmal die heyrathen eines Graf-
fen oder hohen standes person mit einer bürgerlichen ehrlichen tochter/ nicht
zu sagen von göttlichem wort/ den löblichen gesetzen und guten sitten nicht zu
wider zu lauffen gehalten werden/ von welchen man wegen gedachter strei-
tigkeiten in der succession noch eher solches vermuthen mögen/ so kan so viel
weniger die heyrath einer herrn-stands Fräulein mit einem bürgerlichen
standesmann vor unzuläßg oder verboten geachtet werden.

Was 2. anlangt den widerspruch der nahen anverwandten/ welcher
zwahr wohl vermuthlich ist/ verursachet gleich wol derselbe auch nicht/ daß
eine solche heyrath deßwegen den göttlichen oder auch gemeinen rechten und
guten sitten widrig solte gehalten werden. Denn wo nicht einmal der dis-
sensus
der vormünde mag ein richtiges eheverlöbnüß zu nicht machen/ wie a-
bermal Carpzov. Jurisprud. Consist. 2. 3. 46. erweiset: Vielweniger mag
das mißfallen andrer anverwandten/ so nicht vormünder sind/ noch also ü-
ber der Fräulein freyheit macht haben/ den an sich gültigen verspruch zernich-
ten/ noch würde bey ordentlichem gericht dasselbe attendiret werden. Wie

denn
D d d d

SECTIO XIII.
ſo ſich an buͤrgerliche/ ja gar von der geringſten condition, verheyrathet ha-
ben/ ohne daß jemand ſolches zu hindern fug gehabt/ ſondern auch nicht we-
niger von graͤfflichen perſonen. Mir ſind ſelbs dem nahmen nach noch heut
zu tag bekant zwey exempel aus alten graͤfflichen haͤuſern/ da eine graͤffliche
Fraͤulein von Wied/ ob wol wie mir erzehlet worden/ durch eine art einer
entfuͤhrung einen buͤrgerlichen geheyrathet/ ſonderlich aber die geweſte Fraͤu-
lein Charlotte von Falckenſtein Broich/ des letzten Graffen tochter/ de-
ro beyde ſchweſtern an Graffen von Leiningen geheyrathet geweſen/ und ſie
von jugend auff die reputation einer gottſeeligen und ohnſtraͤfflichen perſon
gehabt/ ſich an einen reformirten prediger vermaͤhlet. Jetzo nach andern
nicht zu forſchen/ daran ſonſten es etwa nicht mangeln wuͤrde. Ja wir fin-
den/ da ſonſten bey den heyrathen der Fuͤrſten und Graffen/ wann ſie buͤr-
gerſtands toͤchter heyrathen wolten/ mehr bedenckens ſeyn moͤchte/ weil ob
ihren alſo erzeugten kindern zwahr die ſucceſſion gebuͤhret/ gleichwol daruͤ-
ber offt mißliche und gefaͤhrliche ſtreitigkeiten/ die man lieber zu verhuͤten
hat/ entſtehen koͤnnen/ daß dennoch auch ſolche heyrathen nach den rechten
nicht verworffen werden: Wie der Wirtenbergiſche ICtus Nicol. Mylerus
ab
Ehrenbach Gamol. perſ. Illuſtr. c. 5. §. 51. p. 137. ſolches darthut/ und er-
weiſet es nicht nur aus jure civili, ſondern vornehmlich Canonico, deme man
in den eheſachen gemeiniglich zu folgen pfleget/ durch den text cap. recurrat.
2. cauſ. 32. q. 4. quod licitum ſit nobili aliive illuſtri viro, quamlibet igno-
bilem, imo etiam vilem uxorem ducere:
Welches er auch noch ferner mit
guten rationibus beſtaͤrcket. So nun nicht einmal die heyrathen eines Graf-
fen oder hohen ſtandes perſon mit einer buͤrgerlichen ehrlichen tochter/ nicht
zu ſagen von goͤttlichem wort/ den loͤblichen geſetzen und guten ſitten nicht zu
wider zu lauffen gehalten werden/ von welchen man wegen gedachter ſtrei-
tigkeiten in der ſucceſſion noch eher ſolches vermuthen moͤgen/ ſo kan ſo viel
weniger die heyrath einer herrn-ſtands Fraͤulein mit einem buͤrgerlichen
ſtandesmann vor unzulaͤßg oder verboten geachtet werden.

Was 2. anlangt den widerſpruch der nahen anverwandten/ welcher
zwahr wohl vermuthlich iſt/ verurſachet gleich wol derſelbe auch nicht/ daß
eine ſolche heyrath deßwegen den goͤttlichen oder auch gemeinen rechten und
guten ſitten widrig ſolte gehalten werden. Denn wo nicht einmal der diſ-
ſenſus
der vormuͤnde mag ein richtiges eheverloͤbnuͤß zu nicht machen/ wie a-
bermal Carpzov. Jurisprud. Conſiſt. 2. 3. 46. erweiſet: Vielweniger mag
das mißfallen andrer anverwandten/ ſo nicht vormuͤnder ſind/ noch alſo uͤ-
ber der Fraͤulein freyheit macht haben/ den an ſich guͤltigen verſpruch zernich-
ten/ noch wuͤrde bey ordentlichem gericht daſſelbe attendiret werden. Wie

denn
D d d d
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[577/0585] SECTIO XIII. ſo ſich an buͤrgerliche/ ja gar von der geringſten condition, verheyrathet ha- ben/ ohne daß jemand ſolches zu hindern fug gehabt/ ſondern auch nicht we- niger von graͤfflichen perſonen. Mir ſind ſelbs dem nahmen nach noch heut zu tag bekant zwey exempel aus alten graͤfflichen haͤuſern/ da eine graͤffliche Fraͤulein von Wied/ ob wol wie mir erzehlet worden/ durch eine art einer entfuͤhrung einen buͤrgerlichen geheyrathet/ ſonderlich aber die geweſte Fraͤu- lein Charlotte von Falckenſtein Broich/ des letzten Graffen tochter/ de- ro beyde ſchweſtern an Graffen von Leiningen geheyrathet geweſen/ und ſie von jugend auff die reputation einer gottſeeligen und ohnſtraͤfflichen perſon gehabt/ ſich an einen reformirten prediger vermaͤhlet. Jetzo nach andern nicht zu forſchen/ daran ſonſten es etwa nicht mangeln wuͤrde. Ja wir fin- den/ da ſonſten bey den heyrathen der Fuͤrſten und Graffen/ wann ſie buͤr- gerſtands toͤchter heyrathen wolten/ mehr bedenckens ſeyn moͤchte/ weil ob ihren alſo erzeugten kindern zwahr die ſucceſſion gebuͤhret/ gleichwol daruͤ- ber offt mißliche und gefaͤhrliche ſtreitigkeiten/ die man lieber zu verhuͤten hat/ entſtehen koͤnnen/ daß dennoch auch ſolche heyrathen nach den rechten nicht verworffen werden: Wie der Wirtenbergiſche ICtus Nicol. Mylerus ab Ehrenbach Gamol. perſ. Illuſtr. c. 5. §. 51. p. 137. ſolches darthut/ und er- weiſet es nicht nur aus jure civili, ſondern vornehmlich Canonico, deme man in den eheſachen gemeiniglich zu folgen pfleget/ durch den text cap. recurrat. 2. cauſ. 32. q. 4. quod licitum ſit nobili aliive illuſtri viro, quamlibet igno- bilem, imo etiam vilem uxorem ducere: Welches er auch noch ferner mit guten rationibus beſtaͤrcket. So nun nicht einmal die heyrathen eines Graf- fen oder hohen ſtandes perſon mit einer buͤrgerlichen ehrlichen tochter/ nicht zu ſagen von goͤttlichem wort/ den loͤblichen geſetzen und guten ſitten nicht zu wider zu lauffen gehalten werden/ von welchen man wegen gedachter ſtrei- tigkeiten in der ſucceſſion noch eher ſolches vermuthen moͤgen/ ſo kan ſo viel weniger die heyrath einer herrn-ſtands Fraͤulein mit einem buͤrgerlichen ſtandesmann vor unzulaͤßg oder verboten geachtet werden. Was 2. anlangt den widerſpruch der nahen anverwandten/ welcher zwahr wohl vermuthlich iſt/ verurſachet gleich wol derſelbe auch nicht/ daß eine ſolche heyrath deßwegen den goͤttlichen oder auch gemeinen rechten und guten ſitten widrig ſolte gehalten werden. Denn wo nicht einmal der diſ- ſenſus der vormuͤnde mag ein richtiges eheverloͤbnuͤß zu nicht machen/ wie a- bermal Carpzov. Jurisprud. Conſiſt. 2. 3. 46. erweiſet: Vielweniger mag das mißfallen andrer anverwandten/ ſo nicht vormuͤnder ſind/ noch alſo uͤ- ber der Fraͤulein freyheit macht haben/ den an ſich guͤltigen verſpruch zernich- ten/ noch wuͤrde bey ordentlichem gericht daſſelbe attendiret werden. Wie denn D d d d

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/585>, abgerufen am 23.11.2024.