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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO VIII.
lassen geruhen. Damit so wohl durch vorstellung eines andern liebwürdi-
gen objecti auch natürlicher weise die gewalt jener affection gebrochen/ und
auff anders geleitet/ als auch sonsten die besorgende leibliche schwachheiten
vermittels göttlicher gnade/ so darum hertzlich anzuruffen/ vorgebeuget
werde. Wie auch nicht zuzweiffeln ist; wo solche hohe personen aus hertz-
lichem gehorsam gegen denjenigen/ der dem Abraham auch seinen einigen
und also liebsten sohn selbs zu schlachten befohlen/ und von seinem glauben
und liebe gehorsam gefunden/ es ihm aber mit hertzlicher gnade belohnet
hat/ jetzo aber von ihnen fordert/ daß sie sich desjenigen begeben solten/ was
sie seiner ordnung nicht gemäß zuseyn mehr und mehr sehen/ aufs wenigste
die gefahr einer stäten verunruhigung ihres gewissens/ so sich gewißlich/ wo
man einmal einen wichtigen scrupul gefasset/ nicht also befriedigen läst/ daß
es nicht bey gelegenheit wiederum zunagen anfangen solte/ beynebens die
unnothwendigkeit der sache/ und das entstehende ärgernüß vor augen ha-
ben/ dieses zuthun/ und sich also hierinnen selbs zuverleugnen/ die christ liche
und löbliche resolution fassen werden/ daß der HErr/ welcher aller menschen
hertzen in seinen händen hat/ und in dessen krafft wir alles vermögen/ durch
seines H. Geistes gnade ihnen so kräfftig werde beystehen/ daß sie auch die-
sen ihren affect überwinden/ sich künfftig der ruhe ihres gewissens und zeug-
nüß ihres hertzlichen gehorsams (so einen grössern trost und ver sicherung gi-
bet/ als manche gedencken möchten) zeit lebens getrösten/ mit andern ehegat-
ten/ die ihnen der liebste himmlische Vater nach seiner weißheit ordenlich zu-
fügen wird/ ein so viel vergnüglicher leben führen/ und ihme zeitlich und ewig
für seine gnade zu dancken ursach finden werden. Welches alles beyden ho-
hen personen von dem geber alles guten hertzlich zu wünschen habe und
wünsche etc.

P. S.

Jch habe nach nochmaliger erwegung der sache freundlich zu bitten/ daß
nicht nur mein erstes/ sondern auch die übrige beyde fundamenten in reifli-
che consideration gezogen mögen werden. Dann wo alle die sache von der
explication des Loci 3. Mos. 18. auffs aller scrupuloseste untersuchet wird/
finde ich nicht/ daß die argumenta derer/ welche die erlaubnüß behaupten/ mehr
ausrichten/ als daß sie das verbot einigerley massen zweiffelhafftig machen/
nimmermehr aber das gewissen völlig zum gegentheile beruhigen: hingegen
die vor die negativam stehen/ ob sie nicht alle zur genüge convinciren/ werf-
fen gleichwol solche scrupulos ein/ die ich nicht sehe/ wie einer/ der ihm nicht
gern selbs sch meicheln will/ sie ihm selbs aus dem gemüth bringen könne. Jn
solchem fall aber gehet darnach der schluß des gewissens gewißlich nicht sicher
auff das jenige/ was auch noch eine zimliche probabilität hätte/ sondern auff

das
Z z z 3

SECTIO VIII.
laſſen geruhen. Damit ſo wohl durch vorſtellung eines andern liebwuͤrdi-
gen objecti auch natuͤrlicher weiſe die gewalt jener affection gebrochen/ und
auff anders geleitet/ als auch ſonſten die beſorgende leibliche ſchwachheiten
vermittels goͤttlicher gnade/ ſo darum hertzlich anzuruffen/ vorgebeuget
werde. Wie auch nicht zuzweiffeln iſt; wo ſolche hohe perſonen aus hertz-
lichem gehorſam gegen denjenigen/ der dem Abraham auch ſeinen einigen
und alſo liebſten ſohn ſelbs zu ſchlachten befohlen/ und von ſeinem glauben
und liebe gehorſam gefunden/ es ihm aber mit hertzlicher gnade belohnet
hat/ jetzo aber von ihnen fordert/ daß ſie ſich desjenigen begeben ſolten/ was
ſie ſeiner ordnung nicht gemaͤß zuſeyn mehr und mehr ſehen/ aufs wenigſte
die gefahr einer ſtaͤten verunruhigung ihres gewiſſens/ ſo ſich gewißlich/ wo
man einmal einen wichtigen ſcrupul gefaſſet/ nicht alſo befriedigen laͤſt/ daß
es nicht bey gelegenheit wiederum zunagen anfangen ſolte/ beynebens die
unnothwendigkeit der ſache/ und das entſtehende aͤrgernuͤß vor augen ha-
ben/ dieſes zuthun/ und ſich alſo hierinnen ſelbs zuverleugnen/ die chriſt liche
und loͤbliche reſolution faſſen werden/ daß der HErr/ welcher aller menſchen
hertzen in ſeinen haͤnden hat/ und in deſſen krafft wir alles vermoͤgen/ durch
ſeines H. Geiſtes gnade ihnen ſo kraͤfftig werde beyſtehen/ daß ſie auch die-
ſen ihren affect uͤberwinden/ ſich kuͤnfftig der ruhe ihres gewiſſens und zeug-
nuͤß ihres hertzlichen gehorſams (ſo einen groͤſſern troſt und ver ſicherung gi-
bet/ als manche gedencken moͤchten) zeit lebens getroͤſten/ mit andern ehegat-
ten/ die ihnen der liebſte himmliſche Vater nach ſeiner weißheit ordenlich zu-
fuͤgen wird/ ein ſo viel vergnuͤglicher leben fuͤhren/ und ihme zeitlich und ewig
fuͤr ſeine gnade zu dancken urſach finden werden. Welches alles beyden ho-
hen perſonen von dem geber alles guten hertzlich zu wuͤnſchen habe und
wuͤnſche ꝛc.

P. S.

Jch habe nach nochmaliger erwegung der ſache freundlich zu bitten/ daß
nicht nur mein erſtes/ ſondern auch die uͤbrige beyde fundamenten in reifli-
che conſideration gezogen moͤgen werden. Dann wo alle die ſache von der
explication des Loci 3. Moſ. 18. auffs aller ſcrupuloſeſte unterſuchet wird/
finde ich nicht/ daß die argumẽta derer/ welche die erlaubnuͤß behaupten/ mehr
ausrichten/ als daß ſie das verbot einigerley maſſen zweiffelhafftig machen/
nimmermehr aber das gewiſſen voͤllig zum gegentheile beruhigen: hingegen
die vor die negativam ſtehen/ ob ſie nicht alle zur genuͤge convinciren/ werf-
fen gleichwol ſolche ſcrupulos ein/ die ich nicht ſehe/ wie einer/ der ihm nicht
gern ſelbs ſch meicheln will/ ſie ihm ſelbs aus dem gemuͤth bringen koͤnne. Jn
ſolchem fall aber gehet darnach der ſchluß des gewiſſens gewißlich nicht ſicher
auff das jenige/ was auch noch eine zimliche probabilitaͤt haͤtte/ ſondern auff

das
Z z z 3
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[549/0557] SECTIO VIII. laſſen geruhen. Damit ſo wohl durch vorſtellung eines andern liebwuͤrdi- gen objecti auch natuͤrlicher weiſe die gewalt jener affection gebrochen/ und auff anders geleitet/ als auch ſonſten die beſorgende leibliche ſchwachheiten vermittels goͤttlicher gnade/ ſo darum hertzlich anzuruffen/ vorgebeuget werde. Wie auch nicht zuzweiffeln iſt; wo ſolche hohe perſonen aus hertz- lichem gehorſam gegen denjenigen/ der dem Abraham auch ſeinen einigen und alſo liebſten ſohn ſelbs zu ſchlachten befohlen/ und von ſeinem glauben und liebe gehorſam gefunden/ es ihm aber mit hertzlicher gnade belohnet hat/ jetzo aber von ihnen fordert/ daß ſie ſich desjenigen begeben ſolten/ was ſie ſeiner ordnung nicht gemaͤß zuſeyn mehr und mehr ſehen/ aufs wenigſte die gefahr einer ſtaͤten verunruhigung ihres gewiſſens/ ſo ſich gewißlich/ wo man einmal einen wichtigen ſcrupul gefaſſet/ nicht alſo befriedigen laͤſt/ daß es nicht bey gelegenheit wiederum zunagen anfangen ſolte/ beynebens die unnothwendigkeit der ſache/ und das entſtehende aͤrgernuͤß vor augen ha- ben/ dieſes zuthun/ und ſich alſo hierinnen ſelbs zuverleugnen/ die chriſt liche und loͤbliche reſolution faſſen werden/ daß der HErr/ welcher aller menſchen hertzen in ſeinen haͤnden hat/ und in deſſen krafft wir alles vermoͤgen/ durch ſeines H. Geiſtes gnade ihnen ſo kraͤfftig werde beyſtehen/ daß ſie auch die- ſen ihren affect uͤberwinden/ ſich kuͤnfftig der ruhe ihres gewiſſens und zeug- nuͤß ihres hertzlichen gehorſams (ſo einen groͤſſern troſt und ver ſicherung gi- bet/ als manche gedencken moͤchten) zeit lebens getroͤſten/ mit andern ehegat- ten/ die ihnen der liebſte himmliſche Vater nach ſeiner weißheit ordenlich zu- fuͤgen wird/ ein ſo viel vergnuͤglicher leben fuͤhren/ und ihme zeitlich und ewig fuͤr ſeine gnade zu dancken urſach finden werden. Welches alles beyden ho- hen perſonen von dem geber alles guten hertzlich zu wuͤnſchen habe und wuͤnſche ꝛc. P. S. Jch habe nach nochmaliger erwegung der ſache freundlich zu bitten/ daß nicht nur mein erſtes/ ſondern auch die uͤbrige beyde fundamenten in reifli- che conſideration gezogen moͤgen werden. Dann wo alle die ſache von der explication des Loci 3. Moſ. 18. auffs aller ſcrupuloſeſte unterſuchet wird/ finde ich nicht/ daß die argumẽta derer/ welche die erlaubnuͤß behaupten/ mehr ausrichten/ als daß ſie das verbot einigerley maſſen zweiffelhafftig machen/ nimmermehr aber das gewiſſen voͤllig zum gegentheile beruhigen: hingegen die vor die negativam ſtehen/ ob ſie nicht alle zur genuͤge convinciren/ werf- fen gleichwol ſolche ſcrupulos ein/ die ich nicht ſehe/ wie einer/ der ihm nicht gern ſelbs ſch meicheln will/ ſie ihm ſelbs aus dem gemuͤth bringen koͤnne. Jn ſolchem fall aber gehet darnach der ſchluß des gewiſſens gewißlich nicht ſicher auff das jenige/ was auch noch eine zimliche probabilitaͤt haͤtte/ ſondern auff das Z z z 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/557>, abgerufen am 23.11.2024.