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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO II.
fältig und in der furcht des HERRN sich zu prüfen/ mit welcher andern
person sie eine dem HERRN wohlgefällige ehe führen könte/ und nach
dieser befindung entweder der eltern/ auffs wenigste gutgemeintem vorschlag
sich zu bequemen/ oder mit schuldiger ehrerbietung/ was sie davon abhalte/
und warum sie damit verschonet zu werden verlangen/ denselben vorzustel-
len. Weilen sich nun begibet/ daß zuweilen ein natürlicher widerwillen o-
der aversion gegen eine person empfunden wird/ daß ob man wol dieselbe ei-
genlich nicht hasset/ so allerdings ohne sünde gegen niemand geschehen kan/
man doch mit derselben in genauer gemeinschafft ohne steten zwang zu leben
sich nicht getraute (welches affects natürliche ursachen etwa zur genüge nicht
erforschet werden können) so geziemet sich/ daß eine person/ so sich verehlichen
solle/ auffs wenigste ihrer seits sich so fern prüfe/ da sie die andere zu sehen
und zu kennen die gelegenheit hat (denn in ermanglung dessen/ und wo der
verspruch allerdings unter frembden und abwesenden geschihet/ weil dieses
mittel nicht müglich ist/ so lässet mans billich allein auff GOttes eigne dire-
ction
ankommen) ob sie keinen dergleichen natürlichen eckel gegen eine solche
person bey sich fühle/ um da sie ihn finden möchte/ daraus zu schliessen/ daß
es göttlicher wille nicht seyn müste/ mit derselben ihr leben zu zubringen/ weil
jener die liebe allzusehr schwächen/ oder so viel schwehrer machen würde/ da
hingegen diese die vornehmste beforderung einer glückseligen ehe ist/ und da-
hero bey dero stifftung alles dahin gerichtet werden solle/ wie diese erleichtert
werde. Wenn deswegen meine werthe Fräulein so bald bey erstem ansehen
und anspruch des Herrn von N. wie ich berichtet werde/ einen horrorem
und natürliche widrigkeit bey sich gefühlet hat/ so hätte sie billich daraus
vermuthen können/ daß es schwehrlich göttlicher wille seyn möchte/ denjeni-
gen ihr zum gehülffen ihres lebens zu verordnen/ dessen gegenwart ihr immer
eher zu einer übung der gedult und eines kampffs mit ihr selber dienen/ als
eine liebe bey ihr erwecken möchte/ und daher dero werthesten Fr. Mutter
solche bewandnüß offenhertzig und beweglich vorstellende/ sie von diesem vor-
schlag ohne verletzung kindlichen respects abzuwenden trachten sollen. Wenn
aber solches nicht geschehen ist/ sondern dieselbe sich darzu hat persuadiren
lassen/ ihren willen mit zugeben/ und einen würcklichen verspruch zu thun/
aus welcher übereilung die bißherige anfechtung und unruhe ihrer seelen/ al-
ler die es angehet/ nicht geringe betrübnüß/ auch von seiten des Herrn von
N. neben dem verdruß die gefahr einiges ihm daher entspringenden schimpffs
erfolget ist/ so muß solche billich auch vor dem angesicht GOttes als eine sün-
de erkant/ demüthigst abgebeten/ und damit der weg zur ruhe wiederum zu
kommen gemachet werden. Jndessen weil gleichwol ein solcher öffentlicher mit
einstimmung der werthen angehörigen geschehener verspruch nicht leicht zu

tren-

SECTIO II.
faͤltig und in der furcht des HERRN ſich zu pruͤfen/ mit welcher andern
perſon ſie eine dem HERRN wohlgefaͤllige ehe fuͤhren koͤnte/ und nach
dieſer befindung entweder der eltern/ auffs wenigſte gutgemeintem vorſchlag
ſich zu bequemen/ oder mit ſchuldiger ehrerbietung/ was ſie davon abhalte/
und warum ſie damit verſchonet zu werden verlangen/ denſelben vorzuſtel-
len. Weilen ſich nun begibet/ daß zuweilen ein natuͤrlicher widerwillen o-
der averſion gegen eine perſon empfunden wird/ daß ob man wol dieſelbe ei-
genlich nicht haſſet/ ſo allerdings ohne ſuͤnde gegen niemand geſchehen kan/
man doch mit derſelben in genauer gemeinſchafft ohne ſteten zwang zu leben
ſich nicht getraute (welches affects natuͤrliche urſachen etwa zur genuͤge nicht
erforſchet werden koͤnnen) ſo geziemet ſich/ daß eine perſon/ ſo ſich verehlichen
ſolle/ auffs wenigſte ihrer ſeits ſich ſo fern pruͤfe/ da ſie die andere zu ſehen
und zu kennen die gelegenheit hat (denn in ermanglung deſſen/ und wo der
verſpruch allerdings unter frembden und abweſenden geſchihet/ weil dieſes
mittel nicht muͤglich iſt/ ſo laͤſſet mans billich allein auff GOttes eigne dire-
ction
ankommen) ob ſie keinen dergleichen natuͤrlichen eckel gegen eine ſolche
perſon bey ſich fuͤhle/ um da ſie ihn finden moͤchte/ daraus zu ſchlieſſen/ daß
es goͤttlicher wille nicht ſeyn muͤſte/ mit derſelben ihr leben zu zubringen/ weil
jener die liebe allzuſehr ſchwaͤchen/ oder ſo viel ſchwehrer machen wuͤrde/ da
hingegen dieſe die vornehmſte beforderung einer gluͤckſeligen ehe iſt/ und da-
hero bey dero ſtifftung alles dahin gerichtet werden ſolle/ wie dieſe erleichtert
werde. Wenn deswegen meine werthe Fraͤulein ſo bald bey erſtem anſehen
und anſpruch des Herrn von N. wie ich berichtet werde/ einen horrorem
und natuͤrliche widrigkeit bey ſich gefuͤhlet hat/ ſo haͤtte ſie billich daraus
vermuthen koͤnnen/ daß es ſchwehrlich goͤttlicher wille ſeyn moͤchte/ denjeni-
gen ihr zum gehuͤlffen ihres lebens zu verordnen/ deſſen gegenwart ihr immer
eher zu einer uͤbung der gedult und eines kampffs mit ihr ſelber dienen/ als
eine liebe bey ihr erwecken moͤchte/ und daher dero wertheſten Fr. Mutter
ſolche bewandnuͤß offenhertzig und beweglich vorſtellende/ ſie von dieſem vor-
ſchlag ohne verletzung kindlichen reſpects abzuwenden trachten ſollen. Wenn
aber ſolches nicht geſchehen iſt/ ſondern dieſelbe ſich darzu hat perſuadiren
laſſen/ ihren willen mit zugeben/ und einen wuͤrcklichen verſpruch zu thun/
aus welcher uͤbereilung die bißherige anfechtung und unruhe ihrer ſeelen/ al-
ler die es angehet/ nicht geringe betruͤbnuͤß/ auch von ſeiten des Herrn von
N. neben dem verdruß die gefahr einiges ihm daher entſpringenden ſchimpffs
erfolget iſt/ ſo muß ſolche billich auch vor dem angeſicht GOttes als eine ſuͤn-
de erkant/ demuͤthigſt abgebeten/ und damit der weg zur ruhe wiederum zu
kommen gemachet werden. Jndeſſen weil gleichwol ein ſolcher oͤffentlicher mit
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tren-
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[511/0519] SECTIO II. faͤltig und in der furcht des HERRN ſich zu pruͤfen/ mit welcher andern perſon ſie eine dem HERRN wohlgefaͤllige ehe fuͤhren koͤnte/ und nach dieſer befindung entweder der eltern/ auffs wenigſte gutgemeintem vorſchlag ſich zu bequemen/ oder mit ſchuldiger ehrerbietung/ was ſie davon abhalte/ und warum ſie damit verſchonet zu werden verlangen/ denſelben vorzuſtel- len. Weilen ſich nun begibet/ daß zuweilen ein natuͤrlicher widerwillen o- der averſion gegen eine perſon empfunden wird/ daß ob man wol dieſelbe ei- genlich nicht haſſet/ ſo allerdings ohne ſuͤnde gegen niemand geſchehen kan/ man doch mit derſelben in genauer gemeinſchafft ohne ſteten zwang zu leben ſich nicht getraute (welches affects natuͤrliche urſachen etwa zur genuͤge nicht erforſchet werden koͤnnen) ſo geziemet ſich/ daß eine perſon/ ſo ſich verehlichen ſolle/ auffs wenigſte ihrer ſeits ſich ſo fern pruͤfe/ da ſie die andere zu ſehen und zu kennen die gelegenheit hat (denn in ermanglung deſſen/ und wo der verſpruch allerdings unter frembden und abweſenden geſchihet/ weil dieſes mittel nicht muͤglich iſt/ ſo laͤſſet mans billich allein auff GOttes eigne dire- ction ankommen) ob ſie keinen dergleichen natuͤrlichen eckel gegen eine ſolche perſon bey ſich fuͤhle/ um da ſie ihn finden moͤchte/ daraus zu ſchlieſſen/ daß es goͤttlicher wille nicht ſeyn muͤſte/ mit derſelben ihr leben zu zubringen/ weil jener die liebe allzuſehr ſchwaͤchen/ oder ſo viel ſchwehrer machen wuͤrde/ da hingegen dieſe die vornehmſte beforderung einer gluͤckſeligen ehe iſt/ und da- hero bey dero ſtifftung alles dahin gerichtet werden ſolle/ wie dieſe erleichtert werde. Wenn deswegen meine werthe Fraͤulein ſo bald bey erſtem anſehen und anſpruch des Herrn von N. wie ich berichtet werde/ einen horrorem und natuͤrliche widrigkeit bey ſich gefuͤhlet hat/ ſo haͤtte ſie billich daraus vermuthen koͤnnen/ daß es ſchwehrlich goͤttlicher wille ſeyn moͤchte/ denjeni- gen ihr zum gehuͤlffen ihres lebens zu verordnen/ deſſen gegenwart ihr immer eher zu einer uͤbung der gedult und eines kampffs mit ihr ſelber dienen/ als eine liebe bey ihr erwecken moͤchte/ und daher dero wertheſten Fr. Mutter ſolche bewandnuͤß offenhertzig und beweglich vorſtellende/ ſie von dieſem vor- ſchlag ohne verletzung kindlichen reſpects abzuwenden trachten ſollen. Wenn aber ſolches nicht geſchehen iſt/ ſondern dieſelbe ſich darzu hat perſuadiren laſſen/ ihren willen mit zugeben/ und einen wuͤrcklichen verſpruch zu thun/ aus welcher uͤbereilung die bißherige anfechtung und unruhe ihrer ſeelen/ al- ler die es angehet/ nicht geringe betruͤbnuͤß/ auch von ſeiten des Herrn von N. neben dem verdruß die gefahr einiges ihm daher entſpringenden ſchimpffs erfolget iſt/ ſo muß ſolche billich auch vor dem angeſicht GOttes als eine ſuͤn- de erkant/ demuͤthigſt abgebeten/ und damit der weg zur ruhe wiederum zu kommen gemachet werden. Jndeſſen weil gleichwol ein ſolcher oͤffentlicher mit einſtimmung der werthen angehoͤrigen geſchehener verſpruch nicht leicht zu tren-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/519>, abgerufen am 23.11.2024.