Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

Bild:
<< vorherige Seite

ARTIC. IV. SECTIO XXVII.
dert nicht/ daß sie eine bloße zierde seyn sollen; denn obwol insgemein die
kleider nicht zur zierde/ sondern erinnerung unser schande/ gegeben/ bringet
solches nicht mit sich/ daß nicht einige zierlichkeit dabey in acht genommen
werden dürfte: Vielmehr enthält sich S. Paulus 1. Tim. 2/ 9. dessen nicht
eines zierlichen kleides zu gedencken: Ja ich zweifele/ ob leicht einige klei-
dung so gar biß auf die bauren/ sich finden werde/ da alles an dem gantzen
kleid zur bloßen nothdurfft gerichtet/ und nicht auch etwas daran sich finde/
wie gering es auch seyn möchte/ das nur auf zierde/ oder wohlstand/ wie
mans nennet/ angesehen wäre: Da gleichwol auch solche Christen/ die gern
auf alles genau acht geben/ sich kein gewißen darüber machen werden. Daher
auch diese ursache der zierlichkeit die zöpffe der perruquen, dafern sonst nicht
übermaaß getrieben wird/ nicht an sich selbs verwerfflich machen kan. 4.
Den locum des lieben Pauli anlangend 1. Cor. 11. habe davon meine ge-
dancken in dem mitgesandten vorgestellet: So meldet der Apostel austrück-
lich/ daß er von demjenigen mithandele/ nicht allein was eigenlich zu dem
göttlichen geboth gehöret/ wohin zu ziehen derjenige unterscheid der beyden
geschlechte/ daß sich in allem des mannes vorzug und des weibes unterthä-
nigkeit an den tag lege/ sondern auch was die natur lehre/ (worvon wir die
unter menschen und gewißen völckern eingeführte gebräuche/ so doch alle in
der natürlichen vernunfft einigen grund haben/ und zu der natur im gegen-
satz göttlicher offenbahrung gezogen werden/ nicht ausschliessen dürffen.)
Daher die Apostolische absicht so fern in diesem stück uns nicht weiter weiset/
als daß auch in dem gottesdienst nichts wider die natürliche und nach jeden
orts davor geachtete ehrbarkeit oder prepon, daran sich deßwegen andere sonst
stoßen würden/ vorgehen möge. Sind denn nun in solchen stücken die sit-
ten der menschen und völcker unterschieden/ ja wohl einander gar entgegen/
(wie dann allerdings einige die langen haare auch vor männliche zierden ge-
halten haben/ denen zwahr die meiste sich nicht beqvemet) so bleibet die re-
gel des Apostels an sich einerley/ aber dero anwendung richtet sich nach zeit
und ort/ daß nicht einerley schluß folget. Wo man aber sonderlich darauf
sehen wolte/ daß Paulus verbiete/ mit bedecktem haupt zu beten/ würde sol-
ches doch nicht kräfftig gegen die perruquen getrieben werden: Denn wie
solches nicht gehet gegen eines mannes natürliche haardecke/ so halte auch
nicht/ daß es gegen die angenommene haardecke gezogen werden könne; wie
denn auch nach unsern sitten derjenige mit bloßem haupt bey geist- und welt-
lichen actibus zuerscheinen gehalten wird/ der ohne hut oder andere decke in
bloßer perruque erscheinet. 5. Jch komme endlich auch auf die anfrage we-
gen des söhnleins: Wo es eine bald ausgemachte sache wäre/ wenn die er-

hal-
P p p

ARTIC. IV. SECTIO XXVII.
dert nicht/ daß ſie eine bloße zierde ſeyn ſollen; denn obwol insgemein die
kleider nicht zur zierde/ ſondern erinnerung unſer ſchande/ gegeben/ bringet
ſolches nicht mit ſich/ daß nicht einige zierlichkeit dabey in acht genommen
werden duͤrfte: Vielmehr enthaͤlt ſich S. Paulus 1. Tim. 2/ 9. deſſen nicht
eines zierlichen kleides zu gedencken: Ja ich zweifele/ ob leicht einige klei-
dung ſo gar biß auf die bauren/ ſich finden werde/ da alles an dem gantzen
kleid zur bloßen nothdurfft gerichtet/ und nicht auch etwas daran ſich finde/
wie gering es auch ſeyn moͤchte/ das nur auf zierde/ oder wohlſtand/ wie
mans nennet/ angeſehen waͤre: Da gleichwol auch ſolche Chriſten/ die gern
auf alles genau acht geben/ ſich kein gewißen daruͤber machen werden. Daher
auch dieſe urſache der zierlichkeit die zoͤpffe der perruquen, dafern ſonſt nicht
uͤbermaaß getrieben wird/ nicht an ſich ſelbs verwerfflich machen kan. 4.
Den locum des lieben Pauli anlangend 1. Cor. 11. habe davon meine ge-
dancken in dem mitgeſandten vorgeſtellet: So meldet der Apoſtel austruͤck-
lich/ daß er von demjenigen mithandele/ nicht allein was eigenlich zu dem
goͤttlichen geboth gehoͤret/ wohin zu ziehen derjenige unterſcheid der beyden
geſchlechte/ daß ſich in allem des mannes vorzug und des weibes unterthaͤ-
nigkeit an den tag lege/ ſondern auch was die natur lehre/ (worvon wir die
unter menſchen und gewißen voͤlckern eingefuͤhrte gebraͤuche/ ſo doch alle in
der natuͤrlichen vernunfft einigen grund haben/ und zu der natur im gegen-
ſatz goͤttlicher offenbahrung gezogen werden/ nicht ausſchlieſſen duͤrffen.)
Daher die Apoſtoliſche abſicht ſo fern in dieſem ſtuͤck uns nicht weiter weiſet/
als daß auch in dem gottesdienſt nichts wider die natuͤrliche und nach jeden
orts davoꝛ geachtete ehꝛbarkeit oder πρέπον, daran ſich deßwegen andere ſonſt
ſtoßen wuͤrden/ vorgehen moͤge. Sind denn nun in ſolchen ſtuͤcken die ſit-
ten der menſchen und voͤlcker unterſchieden/ ja wohl einander gar entgegen/
(wie dann allerdings einige die langen haare auch vor maͤnnliche zierden ge-
halten haben/ denen zwahr die meiſte ſich nicht beqvemet) ſo bleibet die re-
gel des Apoſtels an ſich einerley/ aber dero anwendung richtet ſich nach zeit
und ort/ daß nicht einerley ſchluß folget. Wo man aber ſonderlich darauf
ſehen wolte/ daß Paulus verbiete/ mit bedecktem haupt zu beten/ wuͤrde ſol-
ches doch nicht kraͤfftig gegen die perruquen getrieben werden: Denn wie
ſolches nicht gehet gegen eines mannes natuͤrliche haardecke/ ſo halte auch
nicht/ daß es gegen die angenommene haardecke gezogen werden koͤnne; wie
denn auch nach unſern ſitten derjenige mit bloßem haupt bey geiſt- und welt-
lichen actibus zuerſcheinen gehalten wird/ der ohne hut oder andere decke in
bloßer perruque erſcheinet. 5. Jch komme endlich auch auf die anfrage we-
gen des ſoͤhnleins: Wo es eine bald ausgemachte ſache waͤre/ wenn die er-

hal-
P p p
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0489" n="481"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">ARTIC. IV. SECTIO XXVII.</hi></hi></hi></fw><lb/>
dert nicht/ daß &#x017F;ie eine bloße zierde &#x017F;eyn &#x017F;ollen; denn obwol insgemein die<lb/>
kleider nicht zur zierde/ &#x017F;ondern erinnerung un&#x017F;er &#x017F;chande/ gegeben/ bringet<lb/>
&#x017F;olches nicht mit &#x017F;ich/ daß nicht einige zierlichkeit dabey in acht genommen<lb/>
werden du&#x0364;rfte: Vielmehr entha&#x0364;lt &#x017F;ich <hi rendition="#fr">S. Paulus 1. Tim. 2/ 9.</hi> de&#x017F;&#x017F;en nicht<lb/>
eines <hi rendition="#fr">zierlichen kleides</hi> zu gedencken: Ja ich zweifele/ ob leicht einige klei-<lb/>
dung &#x017F;o gar biß auf die bauren/ &#x017F;ich finden werde/ da alles an dem gantzen<lb/>
kleid zur bloßen nothdurfft gerichtet/ und nicht auch etwas daran &#x017F;ich finde/<lb/>
wie gering es auch &#x017F;eyn mo&#x0364;chte/ das nur auf zierde/ oder wohl&#x017F;tand/ wie<lb/>
mans nennet/ ange&#x017F;ehen wa&#x0364;re: Da gleichwol auch &#x017F;olche Chri&#x017F;ten/ die gern<lb/>
auf alles genau acht geben/ &#x017F;ich kein gewißen daru&#x0364;ber machen werden. Daher<lb/>
auch die&#x017F;e ur&#x017F;ache der zierlichkeit die zo&#x0364;pffe der <hi rendition="#aq">perruquen,</hi> dafern &#x017F;on&#x017F;t nicht<lb/>
u&#x0364;bermaaß getrieben wird/ nicht an &#x017F;ich &#x017F;elbs verwerfflich machen kan. 4.<lb/>
Den <hi rendition="#aq">locum</hi> des lieben Pauli anlangend <hi rendition="#fr">1. Cor. 11.</hi> habe davon meine ge-<lb/>
dancken in dem mitge&#x017F;andten vorge&#x017F;tellet: So meldet der Apo&#x017F;tel austru&#x0364;ck-<lb/>
lich/ daß er von demjenigen mithandele/ nicht allein was eigenlich zu dem<lb/>
go&#x0364;ttlichen geboth geho&#x0364;ret/ wohin zu ziehen derjenige unter&#x017F;cheid der beyden<lb/>
ge&#x017F;chlechte/ daß &#x017F;ich in allem des mannes vorzug und des weibes untertha&#x0364;-<lb/>
nigkeit an den tag lege/ &#x017F;ondern auch was die natur lehre/ (worvon wir die<lb/>
unter men&#x017F;chen und gewißen vo&#x0364;lckern eingefu&#x0364;hrte gebra&#x0364;uche/ &#x017F;o doch alle in<lb/>
der natu&#x0364;rlichen vernunfft einigen grund haben/ und zu der natur im gegen-<lb/>
&#x017F;atz go&#x0364;ttlicher offenbahrung gezogen werden/ nicht aus&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en du&#x0364;rffen.)<lb/>
Daher die <hi rendition="#aq">Apo&#x017F;toli</hi>&#x017F;che ab&#x017F;icht &#x017F;o fern in die&#x017F;em &#x017F;tu&#x0364;ck uns nicht weiter wei&#x017F;et/<lb/>
als daß auch in dem gottesdien&#x017F;t nichts wider die natu&#x0364;rliche und nach jeden<lb/>
orts davo&#xA75B; geachtete eh&#xA75B;barkeit oder &#x03C0;&#x03C1;&#x03AD;&#x03C0;&#x03BF;&#x03BD;, daran &#x017F;ich deßwegen andere &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
&#x017F;toßen wu&#x0364;rden/ vorgehen mo&#x0364;ge. Sind denn nun in &#x017F;olchen &#x017F;tu&#x0364;cken die &#x017F;it-<lb/>
ten der men&#x017F;chen und vo&#x0364;lcker unter&#x017F;chieden/ ja wohl einander gar entgegen/<lb/>
(wie dann allerdings einige die langen haare auch vor ma&#x0364;nnliche zierden ge-<lb/>
halten haben/ denen zwahr die mei&#x017F;te &#x017F;ich nicht beqvemet) &#x017F;o bleibet die re-<lb/>
gel des Apo&#x017F;tels an &#x017F;ich einerley/ aber dero anwendung richtet &#x017F;ich nach zeit<lb/>
und ort/ daß nicht einerley &#x017F;chluß folget. Wo man aber &#x017F;onderlich darauf<lb/>
&#x017F;ehen wolte/ daß Paulus verbiete/ mit bedecktem haupt zu beten/ wu&#x0364;rde &#x017F;ol-<lb/>
ches doch nicht kra&#x0364;fftig gegen die <hi rendition="#aq">perruquen</hi> getrieben werden: Denn wie<lb/>
&#x017F;olches nicht gehet gegen eines mannes natu&#x0364;rliche haardecke/ &#x017F;o halte auch<lb/>
nicht/ daß es gegen die angenommene haardecke gezogen werden ko&#x0364;nne; wie<lb/>
denn auch nach un&#x017F;ern &#x017F;itten derjenige mit bloßem haupt bey gei&#x017F;t- und welt-<lb/>
lichen <hi rendition="#aq">actibus</hi> zuer&#x017F;cheinen gehalten wird/ der ohne hut oder andere decke in<lb/>
bloßer <hi rendition="#aq">perruque</hi> er&#x017F;cheinet. 5. Jch komme endlich auch auf die anfrage we-<lb/>
gen des &#x017F;o&#x0364;hnleins: Wo es eine bald ausgemachte &#x017F;ache wa&#x0364;re/ wenn die er-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P p p</fw><fw place="bottom" type="catch">hal-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[481/0489] ARTIC. IV. SECTIO XXVII. dert nicht/ daß ſie eine bloße zierde ſeyn ſollen; denn obwol insgemein die kleider nicht zur zierde/ ſondern erinnerung unſer ſchande/ gegeben/ bringet ſolches nicht mit ſich/ daß nicht einige zierlichkeit dabey in acht genommen werden duͤrfte: Vielmehr enthaͤlt ſich S. Paulus 1. Tim. 2/ 9. deſſen nicht eines zierlichen kleides zu gedencken: Ja ich zweifele/ ob leicht einige klei- dung ſo gar biß auf die bauren/ ſich finden werde/ da alles an dem gantzen kleid zur bloßen nothdurfft gerichtet/ und nicht auch etwas daran ſich finde/ wie gering es auch ſeyn moͤchte/ das nur auf zierde/ oder wohlſtand/ wie mans nennet/ angeſehen waͤre: Da gleichwol auch ſolche Chriſten/ die gern auf alles genau acht geben/ ſich kein gewißen daruͤber machen werden. Daher auch dieſe urſache der zierlichkeit die zoͤpffe der perruquen, dafern ſonſt nicht uͤbermaaß getrieben wird/ nicht an ſich ſelbs verwerfflich machen kan. 4. Den locum des lieben Pauli anlangend 1. Cor. 11. habe davon meine ge- dancken in dem mitgeſandten vorgeſtellet: So meldet der Apoſtel austruͤck- lich/ daß er von demjenigen mithandele/ nicht allein was eigenlich zu dem goͤttlichen geboth gehoͤret/ wohin zu ziehen derjenige unterſcheid der beyden geſchlechte/ daß ſich in allem des mannes vorzug und des weibes unterthaͤ- nigkeit an den tag lege/ ſondern auch was die natur lehre/ (worvon wir die unter menſchen und gewißen voͤlckern eingefuͤhrte gebraͤuche/ ſo doch alle in der natuͤrlichen vernunfft einigen grund haben/ und zu der natur im gegen- ſatz goͤttlicher offenbahrung gezogen werden/ nicht ausſchlieſſen duͤrffen.) Daher die Apoſtoliſche abſicht ſo fern in dieſem ſtuͤck uns nicht weiter weiſet/ als daß auch in dem gottesdienſt nichts wider die natuͤrliche und nach jeden orts davoꝛ geachtete ehꝛbarkeit oder πρέπον, daran ſich deßwegen andere ſonſt ſtoßen wuͤrden/ vorgehen moͤge. Sind denn nun in ſolchen ſtuͤcken die ſit- ten der menſchen und voͤlcker unterſchieden/ ja wohl einander gar entgegen/ (wie dann allerdings einige die langen haare auch vor maͤnnliche zierden ge- halten haben/ denen zwahr die meiſte ſich nicht beqvemet) ſo bleibet die re- gel des Apoſtels an ſich einerley/ aber dero anwendung richtet ſich nach zeit und ort/ daß nicht einerley ſchluß folget. Wo man aber ſonderlich darauf ſehen wolte/ daß Paulus verbiete/ mit bedecktem haupt zu beten/ wuͤrde ſol- ches doch nicht kraͤfftig gegen die perruquen getrieben werden: Denn wie ſolches nicht gehet gegen eines mannes natuͤrliche haardecke/ ſo halte auch nicht/ daß es gegen die angenommene haardecke gezogen werden koͤnne; wie denn auch nach unſern ſitten derjenige mit bloßem haupt bey geiſt- und welt- lichen actibus zuerſcheinen gehalten wird/ der ohne hut oder andere decke in bloßer perruque erſcheinet. 5. Jch komme endlich auch auf die anfrage we- gen des ſoͤhnleins: Wo es eine bald ausgemachte ſache waͤre/ wenn die er- hal- P p p

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/489
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/489>, abgerufen am 23.11.2024.