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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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elend/ in welches dieselbe/ wo sie darinnen all ihr vermögen oder ein grosses
theil dessen gehabt haben mögen/ dadurch gestürtzet/ ja auch zu allerhand sün-
den gebracht werden mögen/ und was sonsten noch anders aus solcher defrau-
dation
entstehen könte: So aggraviren alle solche stücke die sünde so vielmehr.
Und mag von demjenigen/ deme die umstände der person bekant/ etwa noch
vielerley gefunden werden/ welches die schwehre der sünden zeigte.
2. Wo dann nun solches ausgemacht/ daß aus unterschiedlichen consi-
deratio
nen diese gefährung der creditorum in sich selbs unrecht ist/ so stehet
die regel Pauli Rom. 3/ 8. fest/ daß wir nicht böses thun dörffen/ daß gu-
tes daraus kommen
solle. Welcherley leute verdammnüß er gantz
recht
achtet. Kan also nimmermehr ein GOtt-gefälliges werck seyn/ zu
welchem man sich mit vorsetzlicher sünde den weg gemachet. Und hasset GOtt
räuberische brand-opffer Esa. 61/ 8. so mag ihm auch der dienst nicht an-
genehm seyn/ welcher mit solcher beraubung unschuldiger/ und vielleicht be-
dörfftiger personen/ geschihet. Man kan auch sich keines göttlichen segens
und kräfftiger wirckung/ ohne welche sothane intention ohne das vergebens/
nicht dabey getrösten/ noch bey ankommender anfechtung das unruhige ge-
wissen alsdann zu frieden geben/ deme die wissentlich und vorsetzlich begange-
ne sünde stätig vor augen stehen wird.
3. Scheinet diese intention dasjenige principium zu praesupponiren/
daß dem menschen schlechter dings frey stehe/ in allen dingen diejenige art des
lebens zu erwehlen/ welche ihm am füglichsten zu seines GOttes dienst vor-
kommet. Nun ists zwahr an dem/ daß dergleichen angehet/ bey denenjeni-
gen/ welche frey sind/ und nicht ohne das schon von GOTT zu einem gewis-
sen stand gesetzet und beruffen/ nicht aber gilt es denjenigen/ wo es nicht mehr
um die wahl zu thun ist/ was man selbs wehlen solle/ sondern von der aufflö-
sung eines bereits gemachten bundes gehandelt wird. Jn jenem fall ist die-
ses freylich die fürnehmste consideration, woraus ich diese oder jene lebens-
art zu wehlen habe/ wie ich nach hertzlicher anruffung GOttes und in seiner
forcht geschehener erwegung aller umstände finde/ daß ich GOTT am besten
dienen kan. Ob wol das exempel Pauli 1. Cor. 7/ 38. zu lehren scheint/ daß
auch in solchem fall wir einen noch nicht also anstrengen können/ daß wir ihn
schlechter dings verbinden wolten/ nothwendig diejenige lebens-art zu er-
greiffen/ die er insgemein vor dienlicher zu göttlichem dienst achtet/ sondern
ihm annoch die freyheit dabey gelassen ist/ zu erwegen/ ob eben diesem zu dieser
zeit dergleichen auch dienlicher seye. Wo aber bereits ein göttlicher beruff
vorgegangen/ und wir also mit gewissen stricken verbunden sind/ so gewinnet
die sache eine gantz andere bewandnüß/ und stehets damit nicht mehr in freyer
wahl/ oder ist aus solcher consideration allein zu decidiren/ so lange das vo-
rige
K k k 2
ARTIC. IV. SECTIO XVI.
elend/ in welches dieſelbe/ wo ſie darinnen all ihr vermoͤgen oder ein groſſes
theil deſſen gehabt haben moͤgen/ dadurch geſtuͤrtzet/ ja auch zu allerhand ſuͤn-
den gebracht werden moͤgen/ und was ſonſten noch anders aus ſolcher defrau-
dation
entſtehen koͤnte: So aggraviren alle ſolche ſtuͤcke die ſuͤnde ſo vielmehr.
Und mag von demjenigen/ deme die umſtaͤnde der perſon bekant/ etwa noch
vielerley gefunden werden/ welches die ſchwehre der ſuͤnden zeigte.
2. Wo dann nun ſolches ausgemacht/ daß aus unterſchiedlichen conſi-
deratio
nen dieſe gefaͤhrung der creditorum in ſich ſelbs unrecht iſt/ ſo ſtehet
die regel Pauli Rom. 3/ 8. feſt/ daß wir nicht boͤſes thun doͤrffen/ daß gu-
tes daraus kommen
ſolle. Welcherley leute verdammnuͤß er gantz
recht
achtet. Kan alſo nimmermehr ein GOtt-gefaͤlliges werck ſeyn/ zu
welchem man ſich mit vorſetzlicher ſuͤnde den weg gemachet. Und haſſet GOtt
raͤuberiſche brand-opffer Eſa. 61/ 8. ſo mag ihm auch der dienſt nicht an-
genehm ſeyn/ welcher mit ſolcher beraubung unſchuldiger/ und vielleicht be-
doͤrfftiger perſonen/ geſchihet. Man kan auch ſich keines goͤttlichen ſegens
und kraͤfftiger wirckung/ ohne welche ſothane intention ohne das vergebens/
nicht dabey getroͤſten/ noch bey ankommender anfechtung das unruhige ge-
wiſſen alsdann zu frieden geben/ deme die wiſſentlich und vorſetzlich begange-
ne ſuͤnde ſtaͤtig vor augen ſtehen wird.
3. Scheinet dieſe intention dasjenige principium zu præſupponiren/
daß dem menſchen ſchlechter dings frey ſtehe/ in allen dingen diejenige art des
lebens zu erwehlen/ welche ihm am fuͤglichſten zu ſeines GOttes dienſt vor-
kommet. Nun iſts zwahr an dem/ daß dergleichen angehet/ bey denenjeni-
gen/ welche frey ſind/ und nicht ohne das ſchon von GOTT zu einem gewiſ-
ſen ſtand geſetzet und beruffen/ nicht aber gilt es denjenigen/ wo es nicht mehr
um die wahl zu thun iſt/ was man ſelbs wehlen ſolle/ ſondern von der auffloͤ-
ſung eines bereits gemachten bundes gehandelt wird. Jn jenem fall iſt die-
ſes freylich die fuͤrnehmſte conſideration, woraus ich dieſe oder jene lebens-
art zu wehlen habe/ wie ich nach hertzlicher anruffung GOttes und in ſeiner
forcht geſchehener erwegung aller umſtaͤnde finde/ daß ich GOTT am beſten
dienen kan. Ob wol das exempel Pauli 1. Cor. 7/ 38. zu lehren ſcheint/ daß
auch in ſolchem fall wir einen noch nicht alſo anſtrengen koͤnnen/ daß wir ihn
ſchlechter dings verbinden wolten/ nothwendig diejenige lebens-art zu er-
greiffen/ die er insgemein vor dienlicher zu goͤttlichem dienſt achtet/ ſondern
ihm annoch die freyheit dabey gelaſſen iſt/ zu erwegen/ ob eben dieſem zu dieſer
zeit dergleichen auch dienlicher ſeye. Wo aber bereits ein goͤttlicher beruff
vorgegangen/ und wir alſo mit gewiſſen ſtricken verbunden ſind/ ſo gewinnet
die ſache eine gantz andere bewandnuͤß/ und ſtehets damit nicht mehr in freyer
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[443/0451] ARTIC. IV. SECTIO XVI. elend/ in welches dieſelbe/ wo ſie darinnen all ihr vermoͤgen oder ein groſſes theil deſſen gehabt haben moͤgen/ dadurch geſtuͤrtzet/ ja auch zu allerhand ſuͤn- den gebracht werden moͤgen/ und was ſonſten noch anders aus ſolcher defrau- dation entſtehen koͤnte: So aggraviren alle ſolche ſtuͤcke die ſuͤnde ſo vielmehr. Und mag von demjenigen/ deme die umſtaͤnde der perſon bekant/ etwa noch vielerley gefunden werden/ welches die ſchwehre der ſuͤnden zeigte. 2. Wo dann nun ſolches ausgemacht/ daß aus unterſchiedlichen conſi- derationen dieſe gefaͤhrung der creditorum in ſich ſelbs unrecht iſt/ ſo ſtehet die regel Pauli Rom. 3/ 8. feſt/ daß wir nicht boͤſes thun doͤrffen/ daß gu- tes daraus kommen ſolle. Welcherley leute verdammnuͤß er gantz recht achtet. Kan alſo nimmermehr ein GOtt-gefaͤlliges werck ſeyn/ zu welchem man ſich mit vorſetzlicher ſuͤnde den weg gemachet. Und haſſet GOtt raͤuberiſche brand-opffer Eſa. 61/ 8. ſo mag ihm auch der dienſt nicht an- genehm ſeyn/ welcher mit ſolcher beraubung unſchuldiger/ und vielleicht be- doͤrfftiger perſonen/ geſchihet. Man kan auch ſich keines goͤttlichen ſegens und kraͤfftiger wirckung/ ohne welche ſothane intention ohne das vergebens/ nicht dabey getroͤſten/ noch bey ankommender anfechtung das unruhige ge- wiſſen alsdann zu frieden geben/ deme die wiſſentlich und vorſetzlich begange- ne ſuͤnde ſtaͤtig vor augen ſtehen wird. 3. Scheinet dieſe intention dasjenige principium zu præſupponiren/ daß dem menſchen ſchlechter dings frey ſtehe/ in allen dingen diejenige art des lebens zu erwehlen/ welche ihm am fuͤglichſten zu ſeines GOttes dienſt vor- kommet. Nun iſts zwahr an dem/ daß dergleichen angehet/ bey denenjeni- gen/ welche frey ſind/ und nicht ohne das ſchon von GOTT zu einem gewiſ- ſen ſtand geſetzet und beruffen/ nicht aber gilt es denjenigen/ wo es nicht mehr um die wahl zu thun iſt/ was man ſelbs wehlen ſolle/ ſondern von der auffloͤ- ſung eines bereits gemachten bundes gehandelt wird. Jn jenem fall iſt die- ſes freylich die fuͤrnehmſte conſideration, woraus ich dieſe oder jene lebens- art zu wehlen habe/ wie ich nach hertzlicher anruffung GOttes und in ſeiner forcht geſchehener erwegung aller umſtaͤnde finde/ daß ich GOTT am beſten dienen kan. Ob wol das exempel Pauli 1. Cor. 7/ 38. zu lehren ſcheint/ daß auch in ſolchem fall wir einen noch nicht alſo anſtrengen koͤnnen/ daß wir ihn ſchlechter dings verbinden wolten/ nothwendig diejenige lebens-art zu er- greiffen/ die er insgemein vor dienlicher zu goͤttlichem dienſt achtet/ ſondern ihm annoch die freyheit dabey gelaſſen iſt/ zu erwegen/ ob eben dieſem zu dieſer zeit dergleichen auch dienlicher ſeye. Wo aber bereits ein goͤttlicher beruff vorgegangen/ und wir alſo mit gewiſſen ſtricken verbunden ſind/ ſo gewinnet die ſache eine gantz andere bewandnuͤß/ und ſtehets damit nicht mehr in freyer wahl/ oder iſt aus ſolcher conſideration allein zu decidiren/ ſo lange das vo- rige K k k 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/451>, abgerufen am 22.11.2024.