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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO IX.
HErrn ruhe-tag annoch begehen/ nemlich jedweden siebenden
tag von dem ersten siebenden welt-tage zu rechnen.

DJe frage muß mit einem unzweiffelichem ja beantwortet werden/ so gar/
daß ich auch keine ziemlich scheinbahre rationem dubitandi antreffe.
Die vornehmste möchte seyn/ daß in der zeit der sündfluth ein fehler in der
rechnung/ da Noah in dem kasten auff dem wasser gesch webet/ so dann in den
jahren der Egyptischen dienstbarkeit/ hätte vorgehen können. Es ist aber
einstheils solche sorge vergebens/ indem Noah in dem kasten so gar alle mo-
nats-tage/ wie zu sehen 1. Mos. 7/ 11. 8/ 4. 5. 13. 14. auffgezeichnet hat/ und
in Egypten bey einem solchen zahlreichen volck ein verstoß in der rechnung der
tage nicht einmal gedacht werden kan. Andern theils ob man auch in der vo-
rigen zeit die müglichkeit eines fehlers zu gestehen wolte/ wäre gleichwol der-
selbe 2. Mos. 16/ 22. u. f. da GOtt durch ein sonderbahres wunder solchen
siebenden tag wiederum bezeichnet/ und dem volck anbefohlen hat/ zur gnü-
ge ersetzet worden/ und also unwidersprechlich gewiß/ daß der jenige tag/ an
dem das manna erstmals ausgeblieben/ und die ursach von GOTT durch
Mosen angedeutet worden/ ein siebender von dem ersten siebenden tag ohne
einigen fehl/ den wir von GOTT nicht gedencken können/ gewesen.

Von solcher zeit an/ da gedachter massen der tag selbs von GOTT
durch das wunderwerck bezeichnet worden/ welches auch 40 jahr aneinan-
der gewähret/ konte bis auff jetzige zeit unmüglich ein irrthum in der rech-
nung vorgehen. Dann es wurde der sabbath von dem gantzen volck nicht
nur so lang sie in der wüsten waren/ sondern auch die gantze zeit über/ als sie
das land Chanaan inne gehabt/ und ihr so reich als gottesdienst darinnen
erhalten haben/ ohne einige unterbrech ung gefeyret/ daß es zu einem solchen
irrthum nicht zu kommen vermochte. Ob sie nun wol nachmal in der Ba-
bylonischen gefängnüß mehrere jahre zugebracht/ konte doch auch daher kein
solcher verstoß der zeit geschehen/ daß der tag verrücket worden; wie eben-
falls nachdem sie wiederum in ihr land eingeführet/ und so stadt als tempel.
wieder auffgebaut/ auch der völlige gottesdienst auffs neue angerichtet wor-
den/ alles in seiner ordnung geblieben ist: nachdem ohne das die Priester sol-
cher zeit/ je weniger sie des rechtschaffenen und innerlichen in dem gottes-
dienst achteten/ oder denselben verstunden/ so vielmehr alle ihre sorgfalt und
fleiß auff das eusserliche wendeten. Daß ich nicht sehe/ wie die müglichkeit ei-
ner verrückung auch nur eingebildet werden könte/ bis auff die zukunfft Christi.

Nachdem aber auch die Christliche religion auffgekommen/ konte solches
noch so viel weniger geschehen: indem die Christen erstlich beide tage/ den er-
sten und siebenden/ mit einander feyerten (daher beide tage von einigen der
alten/ brüder genennet wurden/ solche gewohnheit auch noch heute zu tage

in der
E 2
ARTIC. I. SECTIO IX.
HErrn ruhe-tag annoch begehen/ nemlich jedweden ſiebenden
tag von dem erſten ſiebenden welt-tage zu rechnen.

DJe frage muß mit einem unzweiffelichem ja beantwortet werden/ ſo gar/
daß ich auch keine ziemlich ſcheinbahre rationem dubitandi antreffe.
Die vornehmſte moͤchte ſeyn/ daß in der zeit der ſuͤndfluth ein fehler in der
rechnung/ da Noah in dem kaſten auff dem waſſer geſch webet/ ſo dann in den
jahren der Egyptiſchen dienſtbarkeit/ haͤtte vorgehen koͤnnen. Es iſt aber
einstheils ſolche ſorge vergebens/ indem Noah in dem kaſten ſo gar alle mo-
nats-tage/ wie zu ſehen 1. Moſ. 7/ 11. 8/ 4. 5. 13. 14. auffgezeichnet hat/ und
in Egypten bey einem ſolchen zahlreichen volck ein verſtoß in der rechnung der
tage nicht einmal gedacht werden kan. Andern theils ob man auch in der vo-
rigen zeit die muͤglichkeit eines fehlers zu geſtehen wolte/ waͤre gleichwol der-
ſelbe 2. Moſ. 16/ 22. u. f. da GOtt durch ein ſonderbahres wunder ſolchen
ſiebenden tag wiederum bezeichnet/ und dem volck anbefohlen hat/ zur gnuͤ-
ge erſetzet worden/ und alſo unwiderſprechlich gewiß/ daß der jenige tag/ an
dem das manna erſtmals ausgeblieben/ und die urſach von GOTT durch
Moſen angedeutet worden/ ein ſiebender von dem erſten ſiebenden tag ohne
einigen fehl/ den wir von GOTT nicht gedencken koͤnnen/ geweſen.

Von ſolcher zeit an/ da gedachter maſſen der tag ſelbs von GOTT
durch das wunderwerck bezeichnet worden/ welches auch 40 jahr aneinan-
der gewaͤhret/ konte bis auff jetzige zeit unmuͤglich ein irrthum in der rech-
nung vorgehen. Dann es wurde der ſabbath von dem gantzen volck nicht
nur ſo lang ſie in der wuͤſten waren/ ſondern auch die gantze zeit uͤber/ als ſie
das land Chanaan inne gehabt/ und ihr ſo reich als gottesdienſt darinnen
erhalten haben/ ohne einige unterbrech ung gefeyret/ daß es zu einem ſolchen
irrthum nicht zu kommen vermochte. Ob ſie nun wol nachmal in der Ba-
byloniſchen gefaͤngnuͤß mehrere jahre zugebracht/ konte doch auch daher kein
ſolcher verſtoß der zeit geſchehen/ daß der tag verruͤcket worden; wie eben-
falls nachdem ſie wiederum in ihr land eingefuͤhret/ und ſo ſtadt als tempel.
wieder auffgebaut/ auch der voͤllige gottesdienſt auffs neue angerichtet wor-
den/ alles in ſeiner ordnung geblieben iſt: nachdem ohne das die Prieſter ſol-
cher zeit/ je weniger ſie des rechtſchaffenen und innerlichen in dem gottes-
dienſt achteten/ oder denſelben verſtunden/ ſo vielmehr alle ihre ſorgfalt und
fleiß auff das euſſerliche wendeten. Daß ich nicht ſehe/ wie die muͤglichkeit ei-
ner verruͤckung auch nur eingebildet werdẽ koͤnte/ bis auff die zukunfft Chriſti.

Nachdem aber auch die Chriſtliche religion auffgekommen/ konte ſolches
noch ſo viel weniger geſchehen: indem die Chriſten erſtlich beide tage/ den er-
ſten und ſiebenden/ mit einander feyerten (daher beide tage von einigen der
alten/ bruͤder genennet wurden/ ſolche gewohnheit auch noch heute zu tage

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[35/0043] ARTIC. I. SECTIO IX. HErrn ruhe-tag annoch begehen/ nemlich jedweden ſiebenden tag von dem erſten ſiebenden welt-tage zu rechnen. DJe frage muß mit einem unzweiffelichem ja beantwortet werden/ ſo gar/ daß ich auch keine ziemlich ſcheinbahre rationem dubitandi antreffe. Die vornehmſte moͤchte ſeyn/ daß in der zeit der ſuͤndfluth ein fehler in der rechnung/ da Noah in dem kaſten auff dem waſſer geſch webet/ ſo dann in den jahren der Egyptiſchen dienſtbarkeit/ haͤtte vorgehen koͤnnen. Es iſt aber einstheils ſolche ſorge vergebens/ indem Noah in dem kaſten ſo gar alle mo- nats-tage/ wie zu ſehen 1. Moſ. 7/ 11. 8/ 4. 5. 13. 14. auffgezeichnet hat/ und in Egypten bey einem ſolchen zahlreichen volck ein verſtoß in der rechnung der tage nicht einmal gedacht werden kan. Andern theils ob man auch in der vo- rigen zeit die muͤglichkeit eines fehlers zu geſtehen wolte/ waͤre gleichwol der- ſelbe 2. Moſ. 16/ 22. u. f. da GOtt durch ein ſonderbahres wunder ſolchen ſiebenden tag wiederum bezeichnet/ und dem volck anbefohlen hat/ zur gnuͤ- ge erſetzet worden/ und alſo unwiderſprechlich gewiß/ daß der jenige tag/ an dem das manna erſtmals ausgeblieben/ und die urſach von GOTT durch Moſen angedeutet worden/ ein ſiebender von dem erſten ſiebenden tag ohne einigen fehl/ den wir von GOTT nicht gedencken koͤnnen/ geweſen. Von ſolcher zeit an/ da gedachter maſſen der tag ſelbs von GOTT durch das wunderwerck bezeichnet worden/ welches auch 40 jahr aneinan- der gewaͤhret/ konte bis auff jetzige zeit unmuͤglich ein irrthum in der rech- nung vorgehen. Dann es wurde der ſabbath von dem gantzen volck nicht nur ſo lang ſie in der wuͤſten waren/ ſondern auch die gantze zeit uͤber/ als ſie das land Chanaan inne gehabt/ und ihr ſo reich als gottesdienſt darinnen erhalten haben/ ohne einige unterbrech ung gefeyret/ daß es zu einem ſolchen irrthum nicht zu kommen vermochte. Ob ſie nun wol nachmal in der Ba- byloniſchen gefaͤngnuͤß mehrere jahre zugebracht/ konte doch auch daher kein ſolcher verſtoß der zeit geſchehen/ daß der tag verruͤcket worden; wie eben- falls nachdem ſie wiederum in ihr land eingefuͤhret/ und ſo ſtadt als tempel. wieder auffgebaut/ auch der voͤllige gottesdienſt auffs neue angerichtet wor- den/ alles in ſeiner ordnung geblieben iſt: nachdem ohne das die Prieſter ſol- cher zeit/ je weniger ſie des rechtſchaffenen und innerlichen in dem gottes- dienſt achteten/ oder denſelben verſtunden/ ſo vielmehr alle ihre ſorgfalt und fleiß auff das euſſerliche wendeten. Daß ich nicht ſehe/ wie die muͤglichkeit ei- ner verruͤckung auch nur eingebildet werdẽ koͤnte/ bis auff die zukunfft Chriſti. Nachdem aber auch die Chriſtliche religion auffgekommen/ konte ſolches noch ſo viel weniger geſchehen: indem die Chriſten erſtlich beide tage/ den er- ſten und ſiebenden/ mit einander feyerten (daher beide tage von einigen der alten/ bruͤder genennet wurden/ ſolche gewohnheit auch noch heute zu tage in der E 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/43>, abgerufen am 21.11.2024.