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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
Phil. 4/ 7. daß die vernunfft nicht begreifft/ was und wie es in der seele
hergehe: dahin ich auch die unaussprechliche seufftzen Rom. 8/ 26.
rechne. Welches uns/ nachdem der glaube und dergleichen göttliche wir-
ckungen aus einem höhern principio und nicht einer art mit den habitibus
oder wirckungen in der seele/ welche sie selbs in sich zu wege bringt/ zu achten
sind/ so viel weniger wunder nehmen darff/ daß etwas dergleichen bey uns
seye/ das wir doch nicht zu erkennen vermögen/ weil wir ja einige dinge zu-
weilen wissen/ und doch nach langem nachsinnen/ uns derselben nicht erinnern
können/ da sie hingegen ein andermal ohngesucht von selbsten wiederum ein-
fallen. Kan nun einige verfinsterung der gedächtnüß/ in solchen gantz na-
türlichen dingen/ und die wir auff eine natürliche weise gefasset/ dasjenige
uns verbergen/ was doch wahrhafftig in der seele noch ist/ warum solte nicht
in solchen wirckungen/ die gantz einer höheren und unterschiedenen art sind/
etwas in uns seyn können/ so wir nicht finden/ und wie wirs zu nennen pfle-
gen/ empfinden könten? daher damit zu frieden seyn sollen/ daß dessen da-
seyn durch andere gewisse kantbare zeugnüssen erwiesen werden kan. Dieser
observation fleißige betrachtung/ hoffe ich/ solle in ein und andern stücken
zimliche difficultät auffheben.
6. Wo aber gleich von des seligmachenden glaubens art/ und was
noth wendig dabey seyn müsse/ gefraget wird/ so kan ich nicht anders sagen/
als was insgemein von allen Evangelischen bekant wird/ nemlich daß zu dem
glauben drey stück (man möchte sie partes oder actus oder gradus nennen/
würde mir nicht viel daran gelegen seyn) gehören/ erkäntnüß/ beyfall und
vertrauen.
Also ist unmüglich/ daß der glaube seye ohne erkäntnüß/
wohl aber daß solche erkäntnüß gering und schwach seye/ item daß der mensch
nicht wircklich daran gedencket/ und also die idea gleichsam ihm allezeit vor
augen stehe/ jedoch muß solches liecht/ obwol etwa in einem schwächern grad/
in der seele seyn. 2. Muß auch ein beyfall da seyn/ ob wol solcher abermal
schwach seyn/ und von allerhand scrupeln und zweiffeln verunruhiget wer-
den kan: Es ist aber gleichwol ein beyfall/ als lang ich mich von solchen zweif-
feln nicht überwinden lasse/ sondern mich mit fleiß auff solche seite neige/
und nicht mehr verlange/ als daß ich ohne widrige gedancken möchte dabey
acquiesciren können. Es gehöret auch 3. dazu eine zuversicht/ welche in
sich fasset/ so wol/ daß man die güter des heils/ die wir aus göttlichem wort
erkant/ in ihrem gebührenden hohen wehrt achte/ daß sie das einige funda-
ment,
aller unserer begierde/ verlangen/ hoffnung und vertrauens seyn sol-
len/ in welchem allein wir uns glückselig schätzen/ und welche zuhaben und zu
behalten wir leib und leben und alles was wir haben/ nicht zu theuer schätzen/
son-
Das dritte Capitel.
Phil. 4/ 7. daß die vernunfft nicht begreifft/ was und wie es in der ſeele
hergehe: dahin ich auch die unausſprechliche ſeufftzen Rom. 8/ 26.
rechne. Welches uns/ nachdem der glaube und dergleichen goͤttliche wir-
ckungen aus einem hoͤhern principio und nicht einer art mit den habitibus
oder wirckungen in der ſeele/ welche ſie ſelbs in ſich zu wege bringt/ zu achten
ſind/ ſo viel weniger wunder nehmen darff/ daß etwas dergleichen bey uns
ſeye/ das wir doch nicht zu erkennen vermoͤgen/ weil wir ja einige dinge zu-
weilen wiſſen/ und doch nach langem nachſinnen/ uns derſelben nicht erinnern
koͤnnen/ da ſie hingegen ein andermal ohngeſucht von ſelbſten wiederum ein-
fallen. Kan nun einige verfinſterung der gedaͤchtnuͤß/ in ſolchen gantz na-
tuͤrlichen dingen/ und die wir auff eine natuͤrliche weiſe gefaſſet/ dasjenige
uns verbergen/ was doch wahrhafftig in der ſeele noch iſt/ warum ſolte nicht
in ſolchen wirckungen/ die gantz einer hoͤheren und unterſchiedenen art ſind/
etwas in uns ſeyn koͤnnen/ ſo wir nicht finden/ und wie wirs zu nennen pfle-
gen/ empfinden koͤnten? daher damit zu frieden ſeyn ſollen/ daß deſſen da-
ſeyn durch andere gewiſſe kantbare zeugnuͤſſen erwieſen werden kan. Dieſer
obſervation fleißige betrachtung/ hoffe ich/ ſolle in ein und andern ſtuͤcken
zimliche difficultaͤt auffheben.
6. Wo aber gleich von des ſeligmachenden glaubens art/ und was
noth wendig dabey ſeyn muͤſſe/ gefraget wird/ ſo kan ich nicht anders ſagen/
als was insgemein von allen Evangeliſchen bekant wird/ nemlich daß zu dem
glauben drey ſtuͤck (man moͤchte ſie partes oder actus oder gradus nennen/
wuͤrde mir nicht viel daran gelegen ſeyn) gehoͤren/ erkaͤntnuͤß/ beyfall und
vertrauen.
Alſo iſt unmuͤglich/ daß der glaube ſeye ohne erkaͤntnuͤß/
wohl aber daß ſolche erkaͤntnuͤß gering und ſchwach ſeye/ item daß der menſch
nicht wircklich daran gedencket/ und alſo die idea gleichſam ihm allezeit vor
augen ſtehe/ jedoch muß ſolches liecht/ obwol etwa in einem ſchwaͤchern grad/
in der ſeele ſeyn. 2. Muß auch ein beyfall da ſeyn/ ob wol ſolcher abermal
ſchwach ſeyn/ und von allerhand ſcrupeln und zweiffeln verunruhiget wer-
den kan: Es iſt aber gleichwol ein beyfall/ als lang ich mich von ſolchen zweif-
feln nicht uͤberwinden laſſe/ ſondern mich mit fleiß auff ſolche ſeite neige/
und nicht mehr verlange/ als daß ich ohne widrige gedancken moͤchte dabey
acquieſciren koͤnnen. Es gehoͤret auch 3. dazu eine zuverſicht/ welche in
ſich faſſet/ ſo wol/ daß man die guͤter des heils/ die wir aus goͤttlichem wort
erkant/ in ihrem gebuͤhrenden hohen wehrt achte/ daß ſie das einige funda-
ment,
aller unſerer begierde/ verlangen/ hoffnung und vertrauens ſeyn ſol-
len/ in welchem allein wir uns gluͤckſelig ſchaͤtzen/ und welche zuhaben und zu
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[390/0398] Das dritte Capitel. Phil. 4/ 7. daß die vernunfft nicht begreifft/ was und wie es in der ſeele hergehe: dahin ich auch die unausſprechliche ſeufftzen Rom. 8/ 26. rechne. Welches uns/ nachdem der glaube und dergleichen goͤttliche wir- ckungen aus einem hoͤhern principio und nicht einer art mit den habitibus oder wirckungen in der ſeele/ welche ſie ſelbs in ſich zu wege bringt/ zu achten ſind/ ſo viel weniger wunder nehmen darff/ daß etwas dergleichen bey uns ſeye/ das wir doch nicht zu erkennen vermoͤgen/ weil wir ja einige dinge zu- weilen wiſſen/ und doch nach langem nachſinnen/ uns derſelben nicht erinnern koͤnnen/ da ſie hingegen ein andermal ohngeſucht von ſelbſten wiederum ein- fallen. Kan nun einige verfinſterung der gedaͤchtnuͤß/ in ſolchen gantz na- tuͤrlichen dingen/ und die wir auff eine natuͤrliche weiſe gefaſſet/ dasjenige uns verbergen/ was doch wahrhafftig in der ſeele noch iſt/ warum ſolte nicht in ſolchen wirckungen/ die gantz einer hoͤheren und unterſchiedenen art ſind/ etwas in uns ſeyn koͤnnen/ ſo wir nicht finden/ und wie wirs zu nennen pfle- gen/ empfinden koͤnten? daher damit zu frieden ſeyn ſollen/ daß deſſen da- ſeyn durch andere gewiſſe kantbare zeugnuͤſſen erwieſen werden kan. Dieſer obſervation fleißige betrachtung/ hoffe ich/ ſolle in ein und andern ſtuͤcken zimliche difficultaͤt auffheben. 6. Wo aber gleich von des ſeligmachenden glaubens art/ und was noth wendig dabey ſeyn muͤſſe/ gefraget wird/ ſo kan ich nicht anders ſagen/ als was insgemein von allen Evangeliſchen bekant wird/ nemlich daß zu dem glauben drey ſtuͤck (man moͤchte ſie partes oder actus oder gradus nennen/ wuͤrde mir nicht viel daran gelegen ſeyn) gehoͤren/ erkaͤntnuͤß/ beyfall und vertrauen. Alſo iſt unmuͤglich/ daß der glaube ſeye ohne erkaͤntnuͤß/ wohl aber daß ſolche erkaͤntnuͤß gering und ſchwach ſeye/ item daß der menſch nicht wircklich daran gedencket/ und alſo die idea gleichſam ihm allezeit vor augen ſtehe/ jedoch muß ſolches liecht/ obwol etwa in einem ſchwaͤchern grad/ in der ſeele ſeyn. 2. Muß auch ein beyfall da ſeyn/ ob wol ſolcher abermal ſchwach ſeyn/ und von allerhand ſcrupeln und zweiffeln verunruhiget wer- den kan: Es iſt aber gleichwol ein beyfall/ als lang ich mich von ſolchen zweif- feln nicht uͤberwinden laſſe/ ſondern mich mit fleiß auff ſolche ſeite neige/ und nicht mehr verlange/ als daß ich ohne widrige gedancken moͤchte dabey acquieſciren koͤnnen. Es gehoͤret auch 3. dazu eine zuverſicht/ welche in ſich faſſet/ ſo wol/ daß man die guͤter des heils/ die wir aus goͤttlichem wort erkant/ in ihrem gebuͤhrenden hohen wehrt achte/ daß ſie das einige funda- ment, aller unſerer begierde/ verlangen/ hoffnung und vertrauens ſeyn ſol- len/ in welchem allein wir uns gluͤckſelig ſchaͤtzen/ und welche zuhaben und zu behalten wir leib und leben und alles was wir haben/ nicht zu theuer ſchaͤtzen/ ſon-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/398>, abgerufen am 22.11.2024.