Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.Das dritte Capitel. letzteren noth groß/ so überwieget die schuldige liebe und erbarmen der noth-leidenden die sonsten obgelegene leibliche versorgung der unsrigen/ und müs- sen diese um der andern willen entrathen/ nicht eben/ was sie selbs in schweh- ren mangel setzte/ aber was ihnen doch auch zubehalten/ sonsten wol kommen/ ja bey gewissen fällen künfftig auch nöthig werden möchte/ indem die liebe in vergleichung des gegenwärtigen und künfftigen allezeit jenes vorzuziehen pfleget. Was herrlichen geschmuck anlangt/ wie ohne das dessen gebrauch der eitelkeit am nechsten ist/ und selten ohne dieselbige geschihet/ also werden auch leute/ die gerne alles das ihre nach der liebe GOttes und des nechsten einrichten/ am wenigsten lust haben/ an dergleichen etwas anzuwenden/ dar- von niemand wahren nutzen hat/ und ein grosses capital ohne einige frucht daran hänget/ deswegen auch wo die liebe zu GOttes ehr oder der armen nothdurfft ein mehreres von uns fordern/ als unser darzu sonsten gewidme- tes austragen mag/ ist wol der geschmuck das erste/ das man anzugreiffen/ und da es sonsten als todt gelegen/ zu wahrem nutzen zu bringen hat. Dieses wären die reglen/ die mir in christlicher überlegung vorgekommen sind/ und aus welchen sich nachmal die application auf die fälle unschwehr machen läs- set. Der HErr aber gebe selbs so christliche klugheit/ das anvertraute nach seinem willen am weißlichsten anzuwenden/ als brünstige liebe gegen alle/ die unsrer hülffe bedörfftig sind: Er nehme auch in gnaden auf/ und lasse ihm wol- gefallen/ was in gläubiger liebe zum opffer auch dieser art ihm von seinen kin- dern einfältiglich gebracht wird. 1694. SECTIO XV. Ob assecurations-contracte wider das Chri- stenthum? Ob es erlaubt/ menschliche cörper zu anatomiren? WAs die assecurationes anlangt/ vermeine ich/ daß ein Theologus nicht erhal-
Das dritte Capitel. letzteren noth groß/ ſo uͤberwieget die ſchuldige liebe und erbarmen der noth-leidenden die ſonſten obgelegene leibliche verſorgung der unſrigen/ und muͤſ- ſen dieſe um der andern willen entrathen/ nicht eben/ was ſie ſelbs in ſchweh- ren mangel ſetzte/ aber was ihnen doch auch zubehalten/ ſonſten wol kommen/ ja bey gewiſſen faͤllen kuͤnfftig auch noͤthig werden moͤchte/ indem die liebe in vergleichung des gegenwaͤrtigen und kuͤnfftigen allezeit jenes vorzuziehen pfleget. Was herrlichen geſchmuck anlangt/ wie ohne das deſſen gebrauch der eitelkeit am nechſten iſt/ und ſelten ohne dieſelbige geſchihet/ alſo werden auch leute/ die gerne alles das ihre nach der liebe GOttes und des nechſten einrichten/ am wenigſten luſt haben/ an dergleichen etwas anzuwenden/ dar- von niemand wahren nutzen hat/ und ein groſſes capital ohne einige frucht daran haͤnget/ deswegen auch wo die liebe zu GOttes ehr oder der armen nothdurfft ein mehreres von uns fordern/ als unſer darzu ſonſten gewidme- tes austragen mag/ iſt wol der geſchmuck das erſte/ das man anzugreiffen/ und da es ſonſten als todt gelegen/ zu wahrem nutzen zu bringen hat. Dieſes waͤren die reglen/ die mir in chriſtlicher uͤberlegung vorgekommen ſind/ und aus welchen ſich nachmal die application auf die faͤlle unſchwehr machen laͤſ- ſet. Der HErr aber gebe ſelbs ſo chriſtliche klugheit/ das anvertraute nach ſeinem willen am weißlichſten anzuwenden/ als bruͤnſtige liebe gegen alle/ die unſrer huͤlffe bedoͤrfftig ſind: Er nehme auch in gnaden auf/ und laſſe ihm wol- gefallen/ was in glaͤubiger liebe zum opffer auch dieſer art ihm von ſeinen kin- dern einfaͤltiglich gebracht wird. 1694. SECTIO XV. Ob aſſecurations-contracte wider das Chri- ſtenthum? Ob es erlaubt/ menſchliche coͤrper zu anatomiren? WAs die aſſecurationes anlangt/ vermeine ich/ daß ein Theologus nicht erhal-
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Das dritte Capitel.
letzteren noth groß/ ſo uͤberwieget die ſchuldige liebe und erbarmen der noth-
leidenden die ſonſten obgelegene leibliche verſorgung der unſrigen/ und muͤſ-
ſen dieſe um der andern willen entrathen/ nicht eben/ was ſie ſelbs in ſchweh-
ren mangel ſetzte/ aber was ihnen doch auch zubehalten/ ſonſten wol kommen/
ja bey gewiſſen faͤllen kuͤnfftig auch noͤthig werden moͤchte/ indem die liebe in
vergleichung des gegenwaͤrtigen und kuͤnfftigen allezeit jenes vorzuziehen
pfleget. Was herrlichen geſchmuck anlangt/ wie ohne das deſſen gebrauch
der eitelkeit am nechſten iſt/ und ſelten ohne dieſelbige geſchihet/ alſo werden
auch leute/ die gerne alles das ihre nach der liebe GOttes und des nechſten
einrichten/ am wenigſten luſt haben/ an dergleichen etwas anzuwenden/ dar-
von niemand wahren nutzen hat/ und ein groſſes capital ohne einige frucht
daran haͤnget/ deswegen auch wo die liebe zu GOttes ehr oder der armen
nothdurfft ein mehreres von uns fordern/ als unſer darzu ſonſten gewidme-
tes austragen mag/ iſt wol der geſchmuck das erſte/ das man anzugreiffen/
und da es ſonſten als todt gelegen/ zu wahrem nutzen zu bringen hat. Dieſes
waͤren die reglen/ die mir in chriſtlicher uͤberlegung vorgekommen ſind/ und
aus welchen ſich nachmal die application auf die faͤlle unſchwehr machen laͤſ-
ſet. Der HErr aber gebe ſelbs ſo chriſtliche klugheit/ das anvertraute nach
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unſrer huͤlffe bedoͤrfftig ſind: Er nehme auch in gnaden auf/ und laſſe ihm wol-
gefallen/ was in glaͤubiger liebe zum opffer auch dieſer art ihm von ſeinen kin-
dern einfaͤltiglich gebracht wird. 1694.
SECTIO XV.
Ob aſſecurations-contracte wider das Chri-
ſtenthum? Ob es erlaubt/ menſchliche coͤrper zu
anatomiren?
WAs die aſſecurationes anlangt/ vermeine ich/ daß ein Theologus nicht
bloß dahin davon/ als einer weltlichen ſache/ urtheilen koͤnne. Mei-
nen gedancken nach wird alles darauf beruhen/ ob ſolche aſſecuratio-
nes entweder ein dem publico nuͤtzliches und dem flor der kauffmannſchafft
noͤthiges mittel/ oder nur ein erfindung ſo geitziger als vermeſſener leute/ die
groſſen vortheil ſuchten/ oder als ein ſpiel alles wagen wolten/ ſeyn/ das pu-
blicum aber ohne verluſt derſelben wol entrathen koͤnte. Waͤre dieſes letz-
tere/ ſo wuͤrden ſie allerdings zu verwerffen ſeyn/ als die ohne das auffs we-
nigſte nicht den beſten ſchein haben. Das erſte aber juſtificirte ſie aller-
dings. So will mir auch faſt vorkommen/ als wann das erſte eher platz ha-
ben ſolte: nemlich daß an einem ort/ da groſſe handlungen ſind/ und nach dero
erhal-
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