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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. III. SECTIO XI.
ter den Christen gelten solle. 3. Jst wucher zu nehmen von gewissen leuten
austrücklich zugelassen 5. Mos. 23/ 20. an den fremden magstu wuchern.
Nun was in dem moral-gesetz verboten ist/ ist an sich selbs sünde/ und mag ge-
gen niemand ohne verletzung des gewissens geschehen: Was hingegen gegen
einigen menschen erlaubt ist/ solches muß zu einer andern art des gesetzes ge-
hören. So vielmehr weil sonsten die fremde mit den einheimischen ein recht
haben solten 3. Mos. 24/ 22. So dann austrücklich befohlen worden
2. Mos. 22/ 21. daß man die fremdlinge nicht schinden solte/ noch sie un-
terdrucken/ 2. Mos. 23/ 9.
Daher GOTT den wucher oder zinse/ welche
er aus gewissen ursachen an den fremden zuliesse/ nicht vor ein unterdrücken/
oder etwas an sich selbs unbilliches erkant haben muß. 4. So finden sich
solche ursachen/ welche wir zimlich wol begreiffen können/ daß sie GOTT be-
wegt haben/ warum er in seinem volck diesen contract nicht leiden wollen. Es
war GOttes wille bey seinem volck/ daß wie ers mit sonderbarem Gottes-
dienst von allen andern abgesondert hatte/ es auch in der lebens-art von an-
dern unterschieden bliebe/ und darmit es so vielweniger der Heiden abgötte-
rey und sitten lernete/ als viel müglich wäre/ mit denselben nicht oder wenig
umgienge/ und sich in seinen gräntzen allein hielte: Darzu war nun am dien-
samsten/ daß ihre lebens-art insgemein in ackerbau und viehezucht bestünde/
und sich alle mit demselben nähreten; daher auch das land zum erbtheil unter
die stämme ausgetheilet/ so dann mit gewissen gesetzen versehen worden/ daß
die erbtheil oder güter nicht auf immer verkaufft werden dorfften/ sondern
nach 3. Mos. 25. wiederum in dem halljahr andie vorigen eigenthums-herren
kamen. Daher wird wenige handlung in dem land gewesen seyn/ auffs we-
nigste mit ausländischen. Und muß also der HErr solche lebens-art/ welche
die einfältigste ist/ am sonderbarsten von seinem volck beliebet haben: Daher
er auch die gesetze darnach eingerichtet. Nun bey solcher lebens-art/ da das
gantze land fast einerley profession hat/ und alles von dem viehe und acker
lebt/ sind seltene casus, da man also zu leihen hätte/ daß man ohne verletzung
der liebe zinse nehmen könte/ denn es bedorfften keine etwas zu leihen/ als die
verarmet waren/ sich wiederum zu erholen/ daher auch an zweyen orten aus-
trücklich der armen meldung gethan wird: Von denen aber ist oben bekant
worden/ daß man ihnen zinse nicht abfordern könne: So solte keiner seiner
brüder güter an sich bringen/ als darmit so bald die andre wider die liebe ge-
truckt wurden. Hingegen wolte GOTT die grosse commercia mit den aus-
ländischen Heiden vielmehr hindern als fördern/ und also manglete es an den
fällen/ welche die zinse erlaubt machen. Daß aber GOTT an den fremden
die zinse erlaubte/ mag wiederum nicht so wol die ursach gewesen seyn/ sie ab-

zuhal-

ARTIC. III. SECTIO XI.
ter den Chriſten gelten ſolle. 3. Jſt wucher zu nehmen von gewiſſen leuten
austruͤcklich zugelaſſen 5. Moſ. 23/ 20. an den fremden magſtu wuchern.
Nun was in dem moral-geſetz verboten iſt/ iſt an ſich ſelbs ſuͤnde/ und mag ge-
gen niemand ohne verletzung des gewiſſens geſchehen: Was hingegen gegen
einigen menſchen erlaubt iſt/ ſolches muß zu einer andern art des geſetzes ge-
hoͤren. So vielmehr weil ſonſten die fremde mit den einheimiſchen ein recht
haben ſolten 3. Moſ. 24/ 22. So dann austruͤcklich befohlen worden
2. Moſ. 22/ 21. daß man die fremdlinge nicht ſchinden ſolte/ noch ſie un-
terdrucken/ 2. Moſ. 23/ 9.
Daher GOTT den wucher oder zinſe/ welche
er aus gewiſſen urſachen an den fremden zulieſſe/ nicht vor ein unterdruͤcken/
oder etwas an ſich ſelbs unbilliches erkant haben muß. 4. So finden ſich
ſolche urſachen/ welche wir zimlich wol begreiffen koͤnnen/ daß ſie GOTT be-
wegt haben/ warum er in ſeinem volck dieſen contract nicht leiden wollen. Es
war GOttes wille bey ſeinem volck/ daß wie ers mit ſonderbarem Gottes-
dienſt von allen andern abgeſondert hatte/ es auch in der lebens-art von an-
dern unterſchieden bliebe/ und darmit es ſo vielweniger der Heiden abgoͤtte-
rey und ſitten lernete/ als viel muͤglich waͤre/ mit denſelben nicht oder wenig
umgienge/ und ſich in ſeinen graͤntzen allein hielte: Darzu war nun am dien-
ſamſten/ daß ihre lebens-art insgemein in ackerbau und viehezucht beſtuͤnde/
und ſich alle mit demſelben naͤhreten; daher auch das land zum erbtheil unter
die ſtaͤmme ausgetheilet/ ſo dann mit gewiſſen geſetzen verſehen worden/ daß
die erbtheil oder guͤter nicht auf immer verkaufft werden dorfften/ ſondern
nach 3. Moſ. 25. wiederum in dem halljahr andie vorigen eigenthums-herren
kamen. Daher wird wenige handlung in dem land geweſen ſeyn/ auffs we-
nigſte mit auslaͤndiſchen. Und muß alſo der HErr ſolche lebens-art/ welche
die einfaͤltigſte iſt/ am ſonderbarſten von ſeinem volck beliebet haben: Daher
er auch die geſetze darnach eingerichtet. Nun bey ſolcher lebens-art/ da das
gantze land faſt einerley profeſſion hat/ und alles von dem viehe und acker
lebt/ ſind ſeltene caſus, da man alſo zu leihen haͤtte/ daß man ohne verletzung
der liebe zinſe nehmen koͤnte/ denn es bedorfften keine etwas zu leihen/ als die
verarmet waren/ ſich wiederum zu erholen/ daher auch an zweyen orten aus-
truͤcklich der armen meldung gethan wird: Von denen aber iſt oben bekant
worden/ daß man ihnen zinſe nicht abfordern koͤnne: So ſolte keiner ſeiner
bruͤder guͤter an ſich bringen/ als darmit ſo bald die andre wider die liebe ge-
truckt wurden. Hingegen wolte GOTT die groſſe commercia mit den aus-
laͤndiſchen Heiden vielmehr hindern als foͤrdern/ und alſo manglete es an den
faͤllen/ welche die zinſe erlaubt machen. Daß aber GOTT an den fremden
die zinſe erlaubte/ mag wiederum nicht ſo wol die urſach geweſen ſeyn/ ſie ab-

zuhal-
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[335/0343] ARTIC. III. SECTIO XI. ter den Chriſten gelten ſolle. 3. Jſt wucher zu nehmen von gewiſſen leuten austruͤcklich zugelaſſen 5. Moſ. 23/ 20. an den fremden magſtu wuchern. Nun was in dem moral-geſetz verboten iſt/ iſt an ſich ſelbs ſuͤnde/ und mag ge- gen niemand ohne verletzung des gewiſſens geſchehen: Was hingegen gegen einigen menſchen erlaubt iſt/ ſolches muß zu einer andern art des geſetzes ge- hoͤren. So vielmehr weil ſonſten die fremde mit den einheimiſchen ein recht haben ſolten 3. Moſ. 24/ 22. So dann austruͤcklich befohlen worden 2. Moſ. 22/ 21. daß man die fremdlinge nicht ſchinden ſolte/ noch ſie un- terdrucken/ 2. Moſ. 23/ 9. Daher GOTT den wucher oder zinſe/ welche er aus gewiſſen urſachen an den fremden zulieſſe/ nicht vor ein unterdruͤcken/ oder etwas an ſich ſelbs unbilliches erkant haben muß. 4. So finden ſich ſolche urſachen/ welche wir zimlich wol begreiffen koͤnnen/ daß ſie GOTT be- wegt haben/ warum er in ſeinem volck dieſen contract nicht leiden wollen. Es war GOttes wille bey ſeinem volck/ daß wie ers mit ſonderbarem Gottes- dienſt von allen andern abgeſondert hatte/ es auch in der lebens-art von an- dern unterſchieden bliebe/ und darmit es ſo vielweniger der Heiden abgoͤtte- rey und ſitten lernete/ als viel muͤglich waͤre/ mit denſelben nicht oder wenig umgienge/ und ſich in ſeinen graͤntzen allein hielte: Darzu war nun am dien- ſamſten/ daß ihre lebens-art insgemein in ackerbau und viehezucht beſtuͤnde/ und ſich alle mit demſelben naͤhreten; daher auch das land zum erbtheil unter die ſtaͤmme ausgetheilet/ ſo dann mit gewiſſen geſetzen verſehen worden/ daß die erbtheil oder guͤter nicht auf immer verkaufft werden dorfften/ ſondern nach 3. Moſ. 25. wiederum in dem halljahr andie vorigen eigenthums-herren kamen. Daher wird wenige handlung in dem land geweſen ſeyn/ auffs we- nigſte mit auslaͤndiſchen. Und muß alſo der HErr ſolche lebens-art/ welche die einfaͤltigſte iſt/ am ſonderbarſten von ſeinem volck beliebet haben: Daher er auch die geſetze darnach eingerichtet. Nun bey ſolcher lebens-art/ da das gantze land faſt einerley profeſſion hat/ und alles von dem viehe und acker lebt/ ſind ſeltene caſus, da man alſo zu leihen haͤtte/ daß man ohne verletzung der liebe zinſe nehmen koͤnte/ denn es bedorfften keine etwas zu leihen/ als die verarmet waren/ ſich wiederum zu erholen/ daher auch an zweyen orten aus- truͤcklich der armen meldung gethan wird: Von denen aber iſt oben bekant worden/ daß man ihnen zinſe nicht abfordern koͤnne: So ſolte keiner ſeiner bruͤder guͤter an ſich bringen/ als darmit ſo bald die andre wider die liebe ge- truckt wurden. Hingegen wolte GOTT die groſſe commercia mit den aus- laͤndiſchen Heiden vielmehr hindern als foͤrdern/ und alſo manglete es an den faͤllen/ welche die zinſe erlaubt machen. Daß aber GOTT an den fremden die zinſe erlaubte/ mag wiederum nicht ſo wol die urſach geweſen ſeyn/ ſie ab- zuhal-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/343>, abgerufen am 23.11.2024.