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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
höret; daher sie auch jedes orts/ wie sie es dem gemeinen wesen am dienlichsten
findet/ mit gesetzen und ordnung dieselbe hat determiniren können: Wann
dann durch die Obrigkeiten und unsre weltliche gesetze die zinse oder interesse
nicht verboten/ sondern vielmehr eingeführet/ und in gewisse ordnungen ver-
fasset sind/ und im übrigen alle solche weltliche gesetze die unterthanen auch in
dem gewissen verbinden/ es seye dann/ daß sie klahr göttlichem wort entgegen
wären/ so hebet also das Evangelium auch dieses stück der policey/ so wider
GOttes wort zu streiten nicht gezeiget werden kan/ nicht auf/ noch sündiget
derjenige/ der sich nach solchen ordnungen hält.

Allem diesem wird nun mit grössestem schein entgegen gehalten das viel-
fältige göttliche verbot des wuchers und übersetzens/ so in heiliger schrifft
offt wiederholet wird/ als 2. Mos. 22/ 25. 27. 3. Mos. 25/ 35. 36. 37. 38.
5. Mos. 23/ 19. Psalm 15/ 5. Sprüch. 28/ 8. Ezech. 18/ 8. 22/ 12. 13.

Da man also sagen möchte/ was GOTT so deutlich verboten habe/ dörfften
wir durch keine ausgesonnene ursachen erlaubt machen/ sondern müsten bey
solchem göttlichen ausspruch bleiben: Daher ich nicht in abrede bin/ daß so wol
viele altväter als auch christliche lehrer unsrerkirchen alle interesse, oder wo
man von geld über das capital etwas nimmet/ verworffen haben. Wir wis-
sen aber/ daß in dem A. T. nicht nur einerley gesetze sich finden/ sondern nebens
den sitten gesetzen/ deren summe in den zehen geboten stehet/ und welche alle
menschen verbinden/ sind durch Mosen auch gegeben so wol die kirchen gesetze/
welche den jüdischen Gottesdienst regulirten/ als auch andre weltliche gesetze/
nach welchen die jüdische policey geführet werden solte; da kommet nun alles
darauf an/ weil allein die erste art uns Christen in dem N. T. verbindet/ die
andre beyde aber mit der jüdischen kirche und policey so fern auffgehöret ha-
ben/ daß sonderlich die letzte betreffend keine Obrigkeit weiter verbunden ist/
davon einzuführen/ als so viel sie ihrem land und unterthanen nach ihrer ver-
fassung dienlich zu seynerkennet/ ob dieses verbot des wuchers unter die erste
oder dritte art gehöre? Hie traue ich nun mit gutem grund zu antworten/ daß
es allerdings nicht zu der ersten sondern dritten art/ nemlich den policey-gese-
tzen/ zu rechnen seye. Die ursachen sind folgende. 1. Jst die materie etwas
weltliches/ und also auffs wenigste vermuthlich/ daß die gesetze/ welche dieselbe
angehen/ zu der classe derjenigen gehören/ welche der policey gegeben worden;
daher GOTT in solcher gebung nicht als GOTT insgemein/ sondern als
derjenige/ der sich auch die weltliche gewalt über sein volck/ ihr einiger HErr
und König zu seyn/ genommen hat/ gehandelt/ und deswegen dieselbe nicht
weiter zu gelten gewolt hat/ als bey seinem volck. 2. Wird solches gebot
nirgend in dem N. T. wiederholet/ noch damit gezeiget/ daß es noch auch un-

ter

Das dritte Capitel.
hoͤret; daher ſie auch jedes orts/ wie ſie es dem gemeinen weſen am dienlichſten
findet/ mit geſetzen und ordnung dieſelbe hat determiniren koͤnnen: Wann
dann durch die Obrigkeiten und unſre weltliche geſetze die zinſe oder intereſſe
nicht verboten/ ſondern vielmehr eingefuͤhret/ und in gewiſſe ordnungen ver-
faſſet ſind/ und im uͤbrigen alle ſolche weltliche geſetze die unterthanen auch in
dem gewiſſen verbinden/ es ſeye dann/ daß ſie klahr goͤttlichem wort entgegen
waͤren/ ſo hebet alſo das Evangelium auch dieſes ſtuͤck der policey/ ſo wider
GOttes wort zu ſtreiten nicht gezeiget werden kan/ nicht auf/ noch ſuͤndiget
derjenige/ der ſich nach ſolchen ordnungen haͤlt.

Allem dieſem wird nun mit groͤſſeſtem ſchein entgegen gehalten das viel-
faͤltige goͤttliche verbot des wuchers und uͤberſetzens/ ſo in heiliger ſchrifft
offt wiederholet wird/ als 2. Moſ. 22/ 25. 27. 3. Moſ. 25/ 35. 36. 37. 38.
5. Moſ. 23/ 19. Pſalm 15/ 5. Spruͤch. 28/ 8. Ezech. 18/ 8. 22/ 12. 13.

Da man alſo ſagen moͤchte/ was GOTT ſo deutlich verboten habe/ doͤrfften
wir durch keine ausgeſonnene urſachen erlaubt machen/ ſondern muͤſten bey
ſolchem goͤttlichen ausſpruch bleiben: Daher ich nicht in abrede bin/ daß ſo wol
viele altvaͤter als auch chriſtliche lehrer unſrerkirchen alle intereſſe, oder wo
man von geld uͤber das capital etwas nimmet/ verworffen haben. Wir wiſ-
ſen aber/ daß in dem A. T. nicht nur einerley geſetze ſich finden/ ſondern nebens
den ſitten geſetzen/ deren ſumme in den zehen geboten ſtehet/ und welche alle
menſchen verbinden/ ſind durch Moſen auch gegeben ſo wol die kirchen geſetze/
welche den juͤdiſchen Gottesdienſt regulirten/ als auch andre weltliche geſetze/
nach welchen die juͤdiſche policey gefuͤhret werden ſolte; da kommet nun alles
darauf an/ weil allein die erſte art uns Chriſten in dem N. T. verbindet/ die
andre beyde aber mit der juͤdiſchen kirche und policey ſo fern auffgehoͤret ha-
ben/ daß ſonderlich die letzte betreffend keine Obrigkeit weiter verbunden iſt/
davon einzufuͤhren/ als ſo viel ſie ihrem land und unterthanen nach ihrer ver-
faſſung dienlich zu ſeynerkennet/ ob dieſes verbot des wuchers unter die erſte
oder dritte art gehoͤre? Hie traue ich nun mit gutem grund zu antworten/ daß
es allerdings nicht zu der erſten ſondern dritten art/ nemlich den policey-geſe-
tzen/ zu rechnen ſeye. Die urſachen ſind folgende. 1. Jſt die materie etwas
weltliches/ und alſo auffs wenigſte vermuthlich/ daß die geſetze/ welche dieſelbe
angehen/ zu der claſſe derjenigen gehoͤren/ welche der policey gegeben worden;
daher GOTT in ſolcher gebung nicht als GOTT insgemein/ ſondern als
derjenige/ der ſich auch die weltliche gewalt uͤber ſein volck/ ihr einiger HErr
und Koͤnig zu ſeyn/ genommen hat/ gehandelt/ und deswegen dieſelbe nicht
weiter zu gelten gewolt hat/ als bey ſeinem volck. 2. Wird ſolches gebot
nirgend in dem N. T. wiederholet/ noch damit gezeiget/ daß es noch auch un-

ter
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[334/0342] Das dritte Capitel. hoͤret; daher ſie auch jedes orts/ wie ſie es dem gemeinen weſen am dienlichſten findet/ mit geſetzen und ordnung dieſelbe hat determiniren koͤnnen: Wann dann durch die Obrigkeiten und unſre weltliche geſetze die zinſe oder intereſſe nicht verboten/ ſondern vielmehr eingefuͤhret/ und in gewiſſe ordnungen ver- faſſet ſind/ und im uͤbrigen alle ſolche weltliche geſetze die unterthanen auch in dem gewiſſen verbinden/ es ſeye dann/ daß ſie klahr goͤttlichem wort entgegen waͤren/ ſo hebet alſo das Evangelium auch dieſes ſtuͤck der policey/ ſo wider GOttes wort zu ſtreiten nicht gezeiget werden kan/ nicht auf/ noch ſuͤndiget derjenige/ der ſich nach ſolchen ordnungen haͤlt. Allem dieſem wird nun mit groͤſſeſtem ſchein entgegen gehalten das viel- faͤltige goͤttliche verbot des wuchers und uͤberſetzens/ ſo in heiliger ſchrifft offt wiederholet wird/ als 2. Moſ. 22/ 25. 27. 3. Moſ. 25/ 35. 36. 37. 38. 5. Moſ. 23/ 19. Pſalm 15/ 5. Spruͤch. 28/ 8. Ezech. 18/ 8. 22/ 12. 13. Da man alſo ſagen moͤchte/ was GOTT ſo deutlich verboten habe/ doͤrfften wir durch keine ausgeſonnene urſachen erlaubt machen/ ſondern muͤſten bey ſolchem goͤttlichen ausſpruch bleiben: Daher ich nicht in abrede bin/ daß ſo wol viele altvaͤter als auch chriſtliche lehrer unſrerkirchen alle intereſſe, oder wo man von geld uͤber das capital etwas nimmet/ verworffen haben. Wir wiſ- ſen aber/ daß in dem A. T. nicht nur einerley geſetze ſich finden/ ſondern nebens den ſitten geſetzen/ deren ſumme in den zehen geboten ſtehet/ und welche alle menſchen verbinden/ ſind durch Moſen auch gegeben ſo wol die kirchen geſetze/ welche den juͤdiſchen Gottesdienſt regulirten/ als auch andre weltliche geſetze/ nach welchen die juͤdiſche policey gefuͤhret werden ſolte; da kommet nun alles darauf an/ weil allein die erſte art uns Chriſten in dem N. T. verbindet/ die andre beyde aber mit der juͤdiſchen kirche und policey ſo fern auffgehoͤret ha- ben/ daß ſonderlich die letzte betreffend keine Obrigkeit weiter verbunden iſt/ davon einzufuͤhren/ als ſo viel ſie ihrem land und unterthanen nach ihrer ver- faſſung dienlich zu ſeynerkennet/ ob dieſes verbot des wuchers unter die erſte oder dritte art gehoͤre? Hie traue ich nun mit gutem grund zu antworten/ daß es allerdings nicht zu der erſten ſondern dritten art/ nemlich den policey-geſe- tzen/ zu rechnen ſeye. Die urſachen ſind folgende. 1. Jſt die materie etwas weltliches/ und alſo auffs wenigſte vermuthlich/ daß die geſetze/ welche dieſelbe angehen/ zu der claſſe derjenigen gehoͤren/ welche der policey gegeben worden; daher GOTT in ſolcher gebung nicht als GOTT insgemein/ ſondern als derjenige/ der ſich auch die weltliche gewalt uͤber ſein volck/ ihr einiger HErr und Koͤnig zu ſeyn/ genommen hat/ gehandelt/ und deswegen dieſelbe nicht weiter zu gelten gewolt hat/ als bey ſeinem volck. 2. Wird ſolches gebot nirgend in dem N. T. wiederholet/ noch damit gezeiget/ daß es noch auch un- ter

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/342>, abgerufen am 22.11.2024.