Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.ARTIC. II. SECTIO XI. Cor. 8/ 8. die speise fodert uns nicht vor GOtt. Essen wir/ so wer-den wir darum nicht besser seyn/ essen wir nicht/ so werden wir dar- um nicht weniger seyn. Also daß wir uns solten lassen gefangen nehmen/ von denen die da sagten Coloss. 2/ 21. du solt das nicht angreiffen/ du solt das nicht kosten/ du solt das nicht anrühren/ und Rom. 14/ 17. das reich GOttes ist nicht essen und trincken/ sondern gerechtigkeit. etc. Sondern die art des Christenthums zeiget uns/ daß dergleichen auch von allen andern eusserlichen dingen/ und also auch von den kleidern wahr/ nem- lich daß keine an und vor sich selbs sünde seyen: sie sind je alle GOttes gute geschöpffe/ und keines geschöpffes gebrauch an und vorsich selbs dem menschen verboten/ sondern wo eine sünde in solcher sache begangen wird/ muß sie in et- was anders bestehen/ so in der seele des menschen ist/ oder vorgehet/ welcher solches eusserliche gebrauchet. 2. Daher freylich auch in dem eusserlichen gesündiget/ und dasselbe uns zur sünde werden kan/ wo nemlich etwas unor- dentlich und nicht mit demjenigen hertzen geschihet/ wie es geschehen solle/ mit wenigem/ wo der ordentlichen liebe GOttes/ unser selbs/ und des nechsten entgegen ist/ wie wir mit solchem eusserlichen umgehen. Dahero bleibet die haupt-regel/ was auch in dem eusserlichen/ folglich in den kleidern/ der liebe GOttes/ unser selbs und des nechsten entgegen ist/ das ist sünde/ nicht daß die sünde in dem kleide steckte/ sondern weil das hertz nicht recht stehet/ dessen sünde die kleider und tracht befleckt/ die an sich sonst nicht sünde sind. 3. Wo man denn betrachtet/ wie die seele an den kleidern sündigen könne/ finde ich deroselben unterschiedliche arten: als wo man die kleider also machen lässet/ daß sie bey andern einige unkeuschheit reitzen/ damit aber gemeiniglichen auch die innere geilheit zuerkennen geben; dergleichen geschihet durch solche entblössung/ die der gewöhnlichen landes-art nicht gemäß ist/ und also die lü- ste bey andern erreget: es bestehet aber die sünde nicht eigentlich in dem kleid/ sondern so wol in der eigenen unreinigkeit des hertzens/ als auch ärgernüß der andern/ welches wider die liebe streitet: man kan sich ferner versündigen mit kostbarkeit derselben/ da man also dasjenige dadurch an wird/ was rechts- wegen nützlicher solte angewendet werden/ da stehet abermal die sünde in der übelen verwaltung der von GOtt anvertrauten irrdischen mittel/ und also in einem mangel der liebe. Man kan sich auch versündigen mit allzuvielem fleiß und arbeit/ so man daran wendet/ und also die zeit/ davor wir GOtt re- chenschafft zu geben haben/ unnützlich durchbringet: die gemeinste sünde aber mit den kleidern bestehet in dero pracht/ und ist eigentlich eine hoffarth/ wol- gefallen an sich selbs und begierde andern zu gefallen/ welche eitelkeit der in- nern art des Christenthums allerdings entgegen ist/ da dasselbe eine solche seele E e 2
ARTIC. II. SECTIO XI. Cor. 8/ 8. die ſpeiſe fodert uns nicht vor GOtt. Eſſen wir/ ſo wer-den wir darum nicht beſſer ſeyn/ eſſen wir nicht/ ſo werden wir dar- um nicht weniger ſeyn. Alſo daß wir uns ſolten laſſen gefangen nehmen/ von denen die da ſagten Coloſſ. 2/ 21. du ſolt das nicht angreiffen/ du ſolt das nicht koſten/ du ſolt das nicht anruͤhren/ und Rom. 14/ 17. das reich GOttes iſt nicht eſſen und trincken/ ſondern gerechtigkeit. etc. Sondern die art des Chriſtenthums zeiget uns/ daß dergleichen auch von allen andern euſſerlichen dingen/ und alſo auch von den kleidern wahr/ nem- lich daß keine an und vor ſich ſelbs ſuͤnde ſeyen: ſie ſind je alle GOttes gute geſchoͤpffe/ und keines geſchoͤpffes gebrauch an und vorſich ſelbs dem menſchen verboten/ ſondern wo eine ſuͤnde in ſolcher ſache begangen wird/ muß ſie in et- was anders beſtehen/ ſo in der ſeele des menſchen iſt/ oder vorgehet/ welcher ſolches euſſerliche gebrauchet. 2. Daher freylich auch in dem euſſerlichen geſuͤndiget/ und daſſelbe uns zur ſuͤnde werden kan/ wo nemlich etwas unor- dentlich und nicht mit demjenigen hertzen geſchihet/ wie es geſchehen ſolle/ mit wenigem/ wo der ordentlichen liebe GOttes/ unſer ſelbs/ und des nechſten entgegen iſt/ wie wir mit ſolchem euſſerlichen umgehen. Dahero bleibet die haupt-regel/ was auch in dem euſſerlichen/ folglich in den kleidern/ der liebe GOttes/ unſer ſelbs und des nechſten entgegen iſt/ das iſt ſuͤnde/ nicht daß die ſuͤnde in dem kleide ſteckte/ ſondern weil das hertz nicht recht ſtehet/ deſſen ſuͤnde die kleider und tracht befleckt/ die an ſich ſonſt nicht ſuͤnde ſind. 3. Wo man denn betrachtet/ wie die ſeele an den kleidern ſuͤndigen koͤnne/ finde ich deroſelben unterſchiedliche arten: als wo man die kleider alſo machen laͤſſet/ daß ſie bey andern einige unkeuſchheit reitzen/ damit aber gemeiniglichen auch die innere geilheit zuerkennen geben; dergleichen geſchihet durch ſolche entbloͤſſung/ die der gewoͤhnlichen landes-art nicht gemaͤß iſt/ und alſo die luͤ- ſte bey andern erreget: es beſtehet aber die ſuͤnde nicht eigentlich in dem kleid/ ſondern ſo wol in der eigenen unreinigkeit des hertzens/ als auch aͤrgernuͤß der andern/ welches wider die liebe ſtreitet: man kan ſich ferner verſuͤndigen mit koſtbarkeit derſelben/ da man alſo dasjenige dadurch an wird/ was rechts- wegen nuͤtzlicher ſolte angewendet werden/ da ſtehet abermal die ſuͤnde in der uͤbelen verwaltung der von GOtt anvertrauten irrdiſchen mittel/ und alſo in einem mangel der liebe. Man kan ſich auch verſuͤndigen mit allzuvielem fleiß und arbeit/ ſo man daran wendet/ und alſo die zeit/ davor wir GOtt re- chenſchafft zu geben haben/ unnuͤtzlich durchbringet: die gemeinſte ſuͤnde aber mit den kleidern beſtehet in dero pracht/ und iſt eigentlich eine hoffarth/ wol- gefallen an ſich ſelbs und begierde andern zu gefallen/ welche eitelkeit der in- nern art des Chriſtenthums allerdings entgegen iſt/ da daſſelbe eine ſolche ſeele E e 2
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ARTIC. II. SECTIO XI.
Cor. 8/ 8. die ſpeiſe fodert uns nicht vor GOtt. Eſſen wir/ ſo wer-
den wir darum nicht beſſer ſeyn/ eſſen wir nicht/ ſo werden wir dar-
um nicht weniger ſeyn. Alſo daß wir uns ſolten laſſen gefangen nehmen/
von denen die da ſagten Coloſſ. 2/ 21. du ſolt das nicht angreiffen/ du ſolt
das nicht koſten/ du ſolt das nicht anruͤhren/ und Rom. 14/ 17. das
reich GOttes iſt nicht eſſen und trincken/ ſondern gerechtigkeit. etc.
Sondern die art des Chriſtenthums zeiget uns/ daß dergleichen auch von
allen andern euſſerlichen dingen/ und alſo auch von den kleidern wahr/ nem-
lich daß keine an und vor ſich ſelbs ſuͤnde ſeyen: ſie ſind je alle GOttes gute
geſchoͤpffe/ und keines geſchoͤpffes gebrauch an und vorſich ſelbs dem menſchen
verboten/ ſondern wo eine ſuͤnde in ſolcher ſache begangen wird/ muß ſie in et-
was anders beſtehen/ ſo in der ſeele des menſchen iſt/ oder vorgehet/ welcher
ſolches euſſerliche gebrauchet. 2. Daher freylich auch in dem euſſerlichen
geſuͤndiget/ und daſſelbe uns zur ſuͤnde werden kan/ wo nemlich etwas unor-
dentlich und nicht mit demjenigen hertzen geſchihet/ wie es geſchehen ſolle/ mit
wenigem/ wo der ordentlichen liebe GOttes/ unſer ſelbs/ und des nechſten
entgegen iſt/ wie wir mit ſolchem euſſerlichen umgehen. Dahero bleibet die
haupt-regel/ was auch in dem euſſerlichen/ folglich in den kleidern/ der liebe
GOttes/ unſer ſelbs und des nechſten entgegen iſt/ das iſt ſuͤnde/ nicht daß
die ſuͤnde in dem kleide ſteckte/ ſondern weil das hertz nicht recht ſtehet/ deſſen
ſuͤnde die kleider und tracht befleckt/ die an ſich ſonſt nicht ſuͤnde ſind. 3. Wo
man denn betrachtet/ wie die ſeele an den kleidern ſuͤndigen koͤnne/ finde ich
deroſelben unterſchiedliche arten: als wo man die kleider alſo machen laͤſſet/
daß ſie bey andern einige unkeuſchheit reitzen/ damit aber gemeiniglichen
auch die innere geilheit zuerkennen geben; dergleichen geſchihet durch ſolche
entbloͤſſung/ die der gewoͤhnlichen landes-art nicht gemaͤß iſt/ und alſo die luͤ-
ſte bey andern erreget: es beſtehet aber die ſuͤnde nicht eigentlich in dem kleid/
ſondern ſo wol in der eigenen unreinigkeit des hertzens/ als auch aͤrgernuͤß der
andern/ welches wider die liebe ſtreitet: man kan ſich ferner verſuͤndigen mit
koſtbarkeit derſelben/ da man alſo dasjenige dadurch an wird/ was rechts-
wegen nuͤtzlicher ſolte angewendet werden/ da ſtehet abermal die ſuͤnde in der
uͤbelen verwaltung der von GOtt anvertrauten irrdiſchen mittel/ und alſo
in einem mangel der liebe. Man kan ſich auch verſuͤndigen mit allzuvielem
fleiß und arbeit/ ſo man daran wendet/ und alſo die zeit/ davor wir GOtt re-
chenſchafft zu geben haben/ unnuͤtzlich durchbringet: die gemeinſte ſuͤnde aber
mit den kleidern beſtehet in dero pracht/ und iſt eigentlich eine hoffarth/ wol-
gefallen an ſich ſelbs und begierde andern zu gefallen/ welche eitelkeit der in-
nern art des Chriſtenthums allerdings entgegen iſt/ da daſſelbe eine ſolche
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