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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
was sonsten an sich selbsts gut gewesen/ mit sünde beflecken. Wie nun in
allen solchen dingen es geschehen solle/ also hat diese Person/ (welches viel-
leicht schon mag geschehen seyn) solches ihr übersehen/ und durch unvorsich-
tigkeit begangenen fehler/ zu erkennen/ und sich vor ihrem GOtt deßwegen
bußfertig zu demüthigen. Welches ihr nachmal eine ziemliche erleichte-
rung ihres gewissens geben wird. 2. Der widerspruch ihrer mutter schwe-
ster ist auch nicht von geringer consideration. Wäre dieselbige/ (so ich nicht
weiß/ als dem die umstände der person nicht bekandt sind) allerdings als
Mutter bey ihr gewesen/ das ist/ sie in ihrer sorge damal gestanden/ so ge-
hets so viel kräfftiger an/ nach 4. Mos. 30. 4. und folg. Wäre aber solches
nicht/ so ist gleichwol eine person/ welche nicht nur an jahren älter/ sondern
dergleichen mütterlichen respect gegen der gelobenden hat/ wohl befugt/ aus
besserer ihrer erkäntnüß das gelübde nicht so wol auffzuheben als zu corri-
gi
ren. Daher halte ich 3. die person an dessen gelübdes art und weise/ worin-
nen sie gefehlet/ und warum ihre wase widersprochen/ nicht mehr gebunden:
wohl aber dazu gehalten/ daß sie das gelübde erfülle/ so fern sie darinnen
nicht gefehlet/ und demselben nicht hat widersprochen werden sollen. 4. Wol-
te ich nicht gerne bloß bey den geschehenen almosen beruhen. Dann ob
schon dasselbige freylich auch ein Gottgefälliges werck der danckbarkeit ist/ so
ist doch einstheils dasselbe nicht so eigentlich dem zweck des gelübdes gemäß/
welcher ohne zweiffel wird gewesen seyn/ sich allezeit bey solchem fasten der
von GOTT erwiesenen gutthat danckbarlich zu erinnern/ dazu das einma-
lige almosen geben nicht bequem; andern theils gehet es allerdings von der
sache ab/ die gelobet worden/ und kommt in ein gantz ander genus voti. Da
auffs wenigste ein zartes gewissen/ wie aus allem erhellet/ das bey dieser
person seye/ sonderlich das den anfechtungen leicht unterworffen/ sich nicht
so wohl tranquilliren kan. 5. Hielte ich rathsam zu seyn/ daß sie so nahe bey
dem gethanen gelübde bliebe/ als geschehen kan: und also dasselbe zwahr
nicht hielte in dem rigore der enthaltung aller speisen/ weil solches ihrer leibs-
constitution und etwa so offt sie gesegnetes leibes/ der frucht schädlich möch-
te seyn/ und daher ohne sünde nicht gehalten werden könte; auffs wenigste
bey einmal sich auch aus andern ursachen ereignenden znfällen das zarte
gewissen sich dadurch verletzet achten/ und die schuld dem fasten zuschreibeu
möchte; Aber daß sie es auff diese weise hielte: weil GOtt dem HErrn das
fasten nicht um sein selbs/ sondern um der ihm gefälligen geistlichen übun-
gen willen/ deren mittel es allein ist/ gefället/ so mag sie wochentlich zweymal
des abends sich des ordentlichen und zu völliger sättigung oder auch lust ge-
schehenden nacht-essens enthalten/ und hingegen allein mit weniger/ und da-
fern es eine Person ist/ die sonsten sich köstlich zu halten pflegt/ und die die

mittel

Das dritte Capitel.
was ſonſten an ſich ſelbſts gut geweſen/ mit ſuͤnde beflecken. Wie nun in
allen ſolchen dingen es geſchehen ſolle/ alſo hat dieſe Perſon/ (welches viel-
leicht ſchon mag geſchehen ſeyn) ſolches ihr uͤberſehen/ und durch unvorſich-
tigkeit begangenen fehler/ zu erkennen/ und ſich vor ihrem GOtt deßwegen
bußfertig zu demuͤthigen. Welches ihr nachmal eine ziemliche erleichte-
rung ihres gewiſſens geben wird. 2. Der widerſpruch ihrer mutter ſchwe-
ſter iſt auch nicht von geringer conſideration. Waͤre dieſelbige/ (ſo ich nicht
weiß/ als dem die umſtaͤnde der perſon nicht bekandt ſind) allerdings als
Mutter bey ihr geweſen/ das iſt/ ſie in ihrer ſorge damal geſtanden/ ſo ge-
hets ſo viel kraͤfftiger an/ nach 4. Moſ. 30. 4. und folg. Waͤre aber ſolches
nicht/ ſo iſt gleichwol eine perſon/ welche nicht nur an jahren aͤlter/ ſondern
dergleichen muͤtterlichen reſpect gegen der gelobenden hat/ wohl befugt/ aus
beſſerer ihrer erkaͤntnuͤß das geluͤbde nicht ſo wol auffzuheben als zu corri-
gi
ren. Daher halte ich 3. die perſon an deſſen geluͤbdes art und weiſe/ worin-
nen ſie gefehlet/ und warum ihre waſe widerſprochen/ nicht mehr gebunden:
wohl aber dazu gehalten/ daß ſie das geluͤbde erfuͤlle/ ſo fern ſie darinnen
nicht gefehlet/ und demſelben nicht hat widerſprochen werden ſollen. 4. Wol-
te ich nicht gerne bloß bey den geſchehenen almoſen beruhen. Dann ob
ſchon daſſelbige freylich auch ein Gottgefaͤlliges werck der danckbarkeit iſt/ ſo
iſt doch einstheils daſſelbe nicht ſo eigentlich dem zweck des geluͤbdes gemaͤß/
welcher ohne zweiffel wird geweſen ſeyn/ ſich allezeit bey ſolchem faſten der
von GOTT erwieſenen gutthat danckbarlich zu erinnern/ dazu das einma-
lige almoſen geben nicht bequem; andern theils gehet es allerdings von der
ſache ab/ die gelobet worden/ und kommt in ein gantz ander genus voti. Da
auffs wenigſte ein zartes gewiſſen/ wie aus allem erhellet/ das bey dieſer
perſon ſeye/ ſonderlich das den anfechtungen leicht unterworffen/ ſich nicht
ſo wohl tranquilliren kan. 5. Hielte ich rathſam zu ſeyn/ daß ſie ſo nahe bey
dem gethanen geluͤbde bliebe/ als geſchehen kan: und alſo daſſelbe zwahr
nicht hielte in dem rigore der enthaltung aller ſpeiſen/ weil ſolches ihrer leibs-
conſtitution und etwa ſo offt ſie geſegnetes leibes/ der frucht ſchaͤdlich moͤch-
te ſeyn/ und daher ohne ſuͤnde nicht gehalten werden koͤnte; auffs wenigſte
bey einmal ſich auch aus andern urſachen ereignenden znfaͤllen das zarte
gewiſſen ſich dadurch verletzet achten/ und die ſchuld dem faſten zuſchreibeu
moͤchte; Aber daß ſie es auff dieſe weiſe hielte: weil GOtt dem HErrn das
faſten nicht um ſein ſelbs/ ſondern um der ihm gefaͤlligen geiſtlichen uͤbun-
gen willen/ deren mittel es allein iſt/ gefaͤllet/ ſo mag ſie wochentlich zweymal
des abends ſich des ordentlichen und zu voͤlliger ſaͤttigung oder auch luſt ge-
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mittel
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[6/0014] Das dritte Capitel. was ſonſten an ſich ſelbſts gut geweſen/ mit ſuͤnde beflecken. Wie nun in allen ſolchen dingen es geſchehen ſolle/ alſo hat dieſe Perſon/ (welches viel- leicht ſchon mag geſchehen ſeyn) ſolches ihr uͤberſehen/ und durch unvorſich- tigkeit begangenen fehler/ zu erkennen/ und ſich vor ihrem GOtt deßwegen bußfertig zu demuͤthigen. Welches ihr nachmal eine ziemliche erleichte- rung ihres gewiſſens geben wird. 2. Der widerſpruch ihrer mutter ſchwe- ſter iſt auch nicht von geringer conſideration. Waͤre dieſelbige/ (ſo ich nicht weiß/ als dem die umſtaͤnde der perſon nicht bekandt ſind) allerdings als Mutter bey ihr geweſen/ das iſt/ ſie in ihrer ſorge damal geſtanden/ ſo ge- hets ſo viel kraͤfftiger an/ nach 4. Moſ. 30. 4. und folg. Waͤre aber ſolches nicht/ ſo iſt gleichwol eine perſon/ welche nicht nur an jahren aͤlter/ ſondern dergleichen muͤtterlichen reſpect gegen der gelobenden hat/ wohl befugt/ aus beſſerer ihrer erkaͤntnuͤß das geluͤbde nicht ſo wol auffzuheben als zu corri- giren. Daher halte ich 3. die perſon an deſſen geluͤbdes art und weiſe/ worin- nen ſie gefehlet/ und warum ihre waſe widerſprochen/ nicht mehr gebunden: wohl aber dazu gehalten/ daß ſie das geluͤbde erfuͤlle/ ſo fern ſie darinnen nicht gefehlet/ und demſelben nicht hat widerſprochen werden ſollen. 4. Wol- te ich nicht gerne bloß bey den geſchehenen almoſen beruhen. Dann ob ſchon daſſelbige freylich auch ein Gottgefaͤlliges werck der danckbarkeit iſt/ ſo iſt doch einstheils daſſelbe nicht ſo eigentlich dem zweck des geluͤbdes gemaͤß/ welcher ohne zweiffel wird geweſen ſeyn/ ſich allezeit bey ſolchem faſten der von GOTT erwieſenen gutthat danckbarlich zu erinnern/ dazu das einma- lige almoſen geben nicht bequem; andern theils gehet es allerdings von der ſache ab/ die gelobet worden/ und kommt in ein gantz ander genus voti. Da auffs wenigſte ein zartes gewiſſen/ wie aus allem erhellet/ das bey dieſer perſon ſeye/ ſonderlich das den anfechtungen leicht unterworffen/ ſich nicht ſo wohl tranquilliren kan. 5. Hielte ich rathſam zu ſeyn/ daß ſie ſo nahe bey dem gethanen geluͤbde bliebe/ als geſchehen kan: und alſo daſſelbe zwahr nicht hielte in dem rigore der enthaltung aller ſpeiſen/ weil ſolches ihrer leibs- conſtitution und etwa ſo offt ſie geſegnetes leibes/ der frucht ſchaͤdlich moͤch- te ſeyn/ und daher ohne ſuͤnde nicht gehalten werden koͤnte; auffs wenigſte bey einmal ſich auch aus andern urſachen ereignenden znfaͤllen das zarte gewiſſen ſich dadurch verletzet achten/ und die ſchuld dem faſten zuſchreibeu moͤchte; Aber daß ſie es auff dieſe weiſe hielte: weil GOtt dem HErrn das faſten nicht um ſein ſelbs/ ſondern um der ihm gefaͤlligen geiſtlichen uͤbun- gen willen/ deren mittel es allein iſt/ gefaͤllet/ ſo mag ſie wochentlich zweymal des abends ſich des ordentlichen und zu voͤlliger ſaͤttigung oder auch luſt ge- ſchehenden nacht-eſſens enthalten/ und hingegen allein mit weniger/ und da- fern es eine Perſon iſt/ die ſonſten ſich koͤſtlich zu halten pflegt/ und die die mittel

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/14>, abgerufen am 23.11.2024.