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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. IV. SECTIO XXII.
indem er in der tauffe die wiedergeburt nicht zu geschehen glaubet. Die haupt-
ursache war/ weil er an so vielen erwachsenen getaufften die kennzeichen der
wiedergeburt nicht fand/ sondern sie vielmehr vor unwiedergebohren halten
muste/ daher er gemeinet/ sie könten denn niemal wiedergebohren worden seyn.
Die ursach solches verstosses kam ferner daher/ daß der gottselige mann nicht
verstund/ daß die widergeburt wieder verlohren werde/ und ein mensch zum an-
dern oder mehrmaln auffs neue wiedergebohren zu werden bedörffe. Welche
materie ich vor deme in meinen lectionibus cursoriis pro gradu aus Gal. 4/ 19.
gehandelt habe. Also erkenne ich einmal alle getauffte/ ob sie auch wieder gott-
loß worden seynd pro regenitis participialiter cum connotatione temporis
praeteriti,
die einmal wiedergebohren worden sind/ nicht aber alle mehr pro re-
genitis nominaliter,
die noch in dem stande der wiedergeburt stünden. Nun
der HErr gebe zu dieser und aller anderer in treuer absicht auff seine ehre und der
seelen heil verrichtender arbeit seinen reichen segen/ welchen auch den bedeuteten
andächtigen zufällen von grund der seelen wünsche. 1689.

SECTIO XXII.
Uber eine vorbitte in zweiffelhafftiger rechts-
sache.
Species facti.

Qvaeritur. Ob einem Prediger und Seelsorger wol anstehe
ad instantiam eines dissoluten menschen/ wegen einer für gericht
schwebenden vormunds- oder
civil rechtssache/ derge-
stalt nach der predigt zu bitten?

SO tragen wir auch dem lieben GOtt vor einen patricium und jun-
gen menschen/ der sein glücke in der frembde zu suchen gedencket/
immittelst in einer rechtssache
implicirt; Der höchste GOtt sey
sein trost/ erleuchte den Richter/ schaffe ihm recht/ gebe ihm gedult/
bringesein recht ans licht/ und lasse ihm seine lust an seiner gnade sehen.

Wobey absonderlich zu mercken 1. daß der Impetrant des vorbittens das-
selbe schlechterdings dem beklagten thue zum verdruß/ und aus grosser maliz
bestellet.

2. Daß der Priester/ den zustand der sachen nicht weiß/ daß aber wol weiß/
daß die leute/ wider welche er bittet/ ehrliche/ vornehme und bemittelte leute/
auch des klägers näheste blutsfreunde/ und der Priester wohlthäter seyn.

3. Daß der Priester weiß/ daß die leute/ wider welche er bittet/ durch das
vorbitten nicht allein ihr recht eiffriger zu proseqviren/ und solcher gestalt ihre

unschuld
l

ARTIC. IV. SECTIO XXII.
indem er in der tauffe die wiedergeburt nicht zu geſchehen glaubet. Die haupt-
urſache war/ weil er an ſo vielen erwachſenen getaufften die kennzeichen der
wiedergeburt nicht fand/ ſondern ſie vielmehr vor unwiedergebohren halten
muſte/ daher er gemeinet/ ſie koͤnten denn niemal wiedergebohren worden ſeyn.
Die urſach ſolches verſtoſſes kam ferner daher/ daß der gottſelige mann nicht
verſtund/ daß die widergeburt wieder verlohren werde/ und ein menſch zum an-
dern oder mehrmaln auffs neue wiedergebohren zu werden bedoͤrffe. Welche
materie ich vor deme in meinen lectionibus curſoriis pro gradu aus Gal. 4/ 19.
gehandelt habe. Alſo erkenne ich einmal alle getauffte/ ob ſie auch wieder gott-
loß worden ſeynd pro regenitis participialiter cum connotatione temporis
præteriti,
die einmal wiedergebohren worden ſind/ nicht aber alle mehr pro re-
genitis nominaliter,
die noch in dem ſtande der wiedergeburt ſtuͤnden. Nun
der HErr gebe zu dieſer und aller anderer in treuer abſicht auff ſeine ehre und der
ſeelen heil verrichtender arbeit ſeinen reichen ſegen/ welchen auch den bedeuteten
andaͤchtigen zufaͤllen von grund der ſeelen wuͤnſche. 1689.

SECTIO XXII.
Uber eine vorbitte in zweiffelhafftiger rechts-
ſache.
Species facti.

Qværitur. Ob einem Prediger und Seelſorger wol anſtehe
ad inſtantiam eines diſſoluten menſchen/ wegen einer fuͤr gericht
ſchwebenden vormunds- oder
civil rechtsſache/ derge-
ſtalt nach der predigt zu bitten?

SO tragen wir auch dem lieben GOtt vor einen patricium und jun-
gen menſchen/ der ſein gluͤcke in der frembde zu ſuchen gedencket/
immittelſt in einer rechtsſache
implicirt; Der hoͤchſte GOtt ſey
ſein troſt/ erleuchte den Richter/ ſchaffe ihm recht/ gebe ihm gedult/
bringeſein recht ans licht/ und laſſe ihm ſeine luſt an ſeiner gnade ſehen.

Wobey abſonderlich zu mercken 1. daß der Impetrant des vorbittens daſ-
ſelbe ſchlechterdings dem beklagten thue zum verdruß/ und aus groſſer maliz
beſtellet.

2. Daß der Prieſter/ den zuſtand der ſachen nicht weiß/ daß aber wol weiß/
daß die leute/ wider welche er bittet/ ehrliche/ vornehme und bemittelte leute/
auch des klaͤgers naͤheſte blutsfreunde/ und der Prieſter wohlthaͤter ſeyn.

3. Daß der Prieſter weiß/ daß die leute/ wider welche er bittet/ durch das
vorbitten nicht allein ihr recht eiffriger zu proſeqviren/ und ſolcher geſtalt ihre

unſchuld
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[81/0881] ARTIC. IV. SECTIO XXII. indem er in der tauffe die wiedergeburt nicht zu geſchehen glaubet. Die haupt- urſache war/ weil er an ſo vielen erwachſenen getaufften die kennzeichen der wiedergeburt nicht fand/ ſondern ſie vielmehr vor unwiedergebohren halten muſte/ daher er gemeinet/ ſie koͤnten denn niemal wiedergebohren worden ſeyn. Die urſach ſolches verſtoſſes kam ferner daher/ daß der gottſelige mann nicht verſtund/ daß die widergeburt wieder verlohren werde/ und ein menſch zum an- dern oder mehrmaln auffs neue wiedergebohren zu werden bedoͤrffe. Welche materie ich vor deme in meinen lectionibus curſoriis pro gradu aus Gal. 4/ 19. gehandelt habe. Alſo erkenne ich einmal alle getauffte/ ob ſie auch wieder gott- loß worden ſeynd pro regenitis participialiter cum connotatione temporis præteriti, die einmal wiedergebohren worden ſind/ nicht aber alle mehr pro re- genitis nominaliter, die noch in dem ſtande der wiedergeburt ſtuͤnden. Nun der HErr gebe zu dieſer und aller anderer in treuer abſicht auff ſeine ehre und der ſeelen heil verrichtender arbeit ſeinen reichen ſegen/ welchen auch den bedeuteten andaͤchtigen zufaͤllen von grund der ſeelen wuͤnſche. 1689. SECTIO XXII. Uber eine vorbitte in zweiffelhafftiger rechts- ſache. Species facti. Qværitur. Ob einem Prediger und Seelſorger wol anſtehe ad inſtantiam eines diſſoluten menſchen/ wegen einer fuͤr gericht ſchwebenden vormunds- oder civil rechtsſache/ derge- ſtalt nach der predigt zu bitten? SO tragen wir auch dem lieben GOtt vor einen patricium und jun- gen menſchen/ der ſein gluͤcke in der frembde zu ſuchen gedencket/ immittelſt in einer rechtsſache implicirt; Der hoͤchſte GOtt ſey ſein troſt/ erleuchte den Richter/ ſchaffe ihm recht/ gebe ihm gedult/ bringeſein recht ans licht/ und laſſe ihm ſeine luſt an ſeiner gnade ſehen. Wobey abſonderlich zu mercken 1. daß der Impetrant des vorbittens daſ- ſelbe ſchlechterdings dem beklagten thue zum verdruß/ und aus groſſer maliz beſtellet. 2. Daß der Prieſter/ den zuſtand der ſachen nicht weiß/ daß aber wol weiß/ daß die leute/ wider welche er bittet/ ehrliche/ vornehme und bemittelte leute/ auch des klaͤgers naͤheſte blutsfreunde/ und der Prieſter wohlthaͤter ſeyn. 3. Daß der Prieſter weiß/ daß die leute/ wider welche er bittet/ durch das vorbitten nicht allein ihr recht eiffriger zu proſeqviren/ und ſolcher geſtalt ihre unſchuld l

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/881>, abgerufen am 23.06.2024.