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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
daß mich solches in der wahrheit unserer lehr stets bekräfftiget/ weil wir
uns derselben so versichert wissen/ daß wir wol leiden mögen/ daß unser
angehörige auch andere bücher lesen mögen/ und derselben so wol als unsere
lehr prüffen: wie sich dann die wahrheit vor keiner prüffung förchtet. Wie
solten wir unserer eigenen hypotheseos und fundamenten denn vergessen/
daß wir nicht nur andern/ sondern gar den predigern/ so noch so viel mehr
recht haben/ alles zu prüffen/ und das gute zubehalten/ vor irrig geachtete bü-
cher bloß dahin verbieten wolten? Jch meines orts gewißlich verlangte mit
dergleichen nichts zu schaffen zu haben. Wolte auch nicht gern/ daß es den
papisten sonderlich bekant würde/ welche uns damit hönisch halten könten/
daß wir/ wo es das vermeinte interesse unserer religion erforderte/ eben
die maximen braucheten/ die wir an ihnen straffeten/ welches uns besorg-
lich eine schlechte ehr wäre. 3. daß diese außerordentliche visitation an
dem ordinations- und sonntag geschehen/ begreiffe ich noch weniger/ und
ob wol/ da sie darüber nicht gehöret/ das factum nicht bloß dahin verdam-
men kan/ hätte ich doch dieses bedencken dabey/ daß 1. wo einiger zweif-
fel an meinem werthen bruder gewesen/ die deßwegen anzustellende visi-
tation
scheint formlicher werckstellig gemacht zu werden können vor der
ordination, da man ja den ordinandum vorhero auff allearten/ die man
nöthig achtet/ billich prüffet/ und ihn nicht erst durch die ordination
approbi
ret nachmal aber erst auff ihn inquiriret. 2. hätte auffs wenig-
ste der jenige tag/ welcher nicht nur sonsten zu heiligen übungen gewidmet/
sondern damahl ohne daß ein so wichtiges vorgenommenes werck noch weiter
vor dem HERRN erwogen und zu solcher sache die nöthige ruh des ge-
müths meines erachtens gegönnet werden sollen. 3. sehe aus dem über-
schriebenen/ daß auch der Fürstliche Rath davor achte/ das decretum im-
portuno tempore exequi
ret worden zu seyn. 4. indessen wo ich an meines
wehrten bruders stelle wäre/ wolte ich mich gleichwol auch solche sache zu
verlassung meines ordentlichen übernommenen kirchen-diensts nicht bewegen
lassen. Meine rationes sind diese. 1. ob uns auch schon von andern/
oder auch so viel mehr von den obern/ unrecht geschihet (wann diese visi-
tation
also angesehen werden will) so ist doch dieses ein stück unserer pro-
fession,
das unrecht gedultig zu ertragen/ so viel als ohne verletzung unsers
gewissens/ das ist mit einflechtung unrecht auch unserer seite zu thun/ ge-
schehen kan. Nun siehe ich nicht/ daß ich darinnen sündige/ wo jemand

mir

Das andere Capitel.
daß mich ſolches in der wahrheit unſerer lehr ſtets bekraͤfftiget/ weil wir
uns derſelben ſo verſichert wiſſen/ daß wir wol leiden moͤgen/ daß unſer
angehoͤrige auch andere buͤcher leſen moͤgen/ und derſelben ſo wol als unſere
lehr pruͤffen: wie ſich dann die wahrheit vor keiner pruͤffung foͤrchtet. Wie
ſolten wir unſerer eigenen hypotheſeos und fundamenten denn vergeſſen/
daß wir nicht nur andern/ ſondern gar den predigern/ ſo noch ſo viel mehr
recht haben/ alles zu pruͤffen/ und das gute zubehalten/ vor irrig geachtete buͤ-
cher bloß dahin verbieten wolten? Jch meines orts gewißlich verlangte mit
dergleichen nichts zu ſchaffen zu haben. Wolte auch nicht gern/ daß es den
papiſten ſonderlich bekant wuͤrde/ welche uns damit hoͤniſch halten koͤnten/
daß wir/ wo es das vermeinte intereſſe unſerer religion erforderte/ eben
die maximen braucheten/ die wir an ihnen ſtraffeten/ welches uns beſorg-
lich eine ſchlechte ehr waͤre. 3. daß dieſe außerordentliche viſitation an
dem ordinations- und ſonntag geſchehen/ begreiffe ich noch weniger/ und
ob wol/ da ſie daruͤber nicht gehoͤret/ das factum nicht bloß dahin verdam-
men kan/ haͤtte ich doch dieſes bedencken dabey/ daß 1. wo einiger zweif-
fel an meinem werthen bruder geweſen/ die deßwegen anzuſtellende viſi-
tation
ſcheint formlicher werckſtellig gemacht zu werden koͤnnen vor der
ordination, da man ja den ordinandum vorhero auff allearten/ die man
noͤthig achtet/ billich pruͤffet/ und ihn nicht erſt durch die ordination
approbi
ret nachmal aber erſt auff ihn inquiriret. 2. haͤtte auffs wenig-
ſte der jenige tag/ welcher nicht nur ſonſten zu heiligen uͤbungen gewidmet/
ſondern damahl ohne daß ein ſo wichtiges vorgenommenes werck noch weiter
vor dem HERRN erwogen und zu ſolcher ſache die noͤthige ruh des ge-
muͤths meines erachtens gegoͤnnet werden ſollen. 3. ſehe aus dem uͤber-
ſchriebenen/ daß auch der Fuͤrſtliche Rath davor achte/ das decretum im-
portuno tempore exequi
ret worden zu ſeyn. 4. indeſſen wo ich an meines
wehrten bruders ſtelle waͤre/ wolte ich mich gleichwol auch ſolche ſache zu
verlaſſung meines ordentlichen uͤbernommenen kirchen-dienſts nicht bewegen
laſſen. Meine rationes ſind dieſe. 1. ob uns auch ſchon von andern/
oder auch ſo viel mehr von den obern/ unrecht geſchihet (wann dieſe viſi-
tation
alſo angeſehen werden will) ſo iſt doch dieſes ein ſtuͤck unſerer pro-
feſſion,
das unrecht gedultig zu ertragen/ ſo viel als ohne verletzung unſers
gewiſſens/ das iſt mit einflechtung unrecht auch unſerer ſeite zu thun/ ge-
ſchehen kan. Nun ſiehe ich nicht/ daß ich darinnen ſuͤndige/ wo jemand

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[746/0762] Das andere Capitel. daß mich ſolches in der wahrheit unſerer lehr ſtets bekraͤfftiget/ weil wir uns derſelben ſo verſichert wiſſen/ daß wir wol leiden moͤgen/ daß unſer angehoͤrige auch andere buͤcher leſen moͤgen/ und derſelben ſo wol als unſere lehr pruͤffen: wie ſich dann die wahrheit vor keiner pruͤffung foͤrchtet. Wie ſolten wir unſerer eigenen hypotheſeos und fundamenten denn vergeſſen/ daß wir nicht nur andern/ ſondern gar den predigern/ ſo noch ſo viel mehr recht haben/ alles zu pruͤffen/ und das gute zubehalten/ vor irrig geachtete buͤ- cher bloß dahin verbieten wolten? Jch meines orts gewißlich verlangte mit dergleichen nichts zu ſchaffen zu haben. Wolte auch nicht gern/ daß es den papiſten ſonderlich bekant wuͤrde/ welche uns damit hoͤniſch halten koͤnten/ daß wir/ wo es das vermeinte intereſſe unſerer religion erforderte/ eben die maximen braucheten/ die wir an ihnen ſtraffeten/ welches uns beſorg- lich eine ſchlechte ehr waͤre. 3. daß dieſe außerordentliche viſitation an dem ordinations- und ſonntag geſchehen/ begreiffe ich noch weniger/ und ob wol/ da ſie daruͤber nicht gehoͤret/ das factum nicht bloß dahin verdam- men kan/ haͤtte ich doch dieſes bedencken dabey/ daß 1. wo einiger zweif- fel an meinem werthen bruder geweſen/ die deßwegen anzuſtellende viſi- tation ſcheint formlicher werckſtellig gemacht zu werden koͤnnen vor der ordination, da man ja den ordinandum vorhero auff allearten/ die man noͤthig achtet/ billich pruͤffet/ und ihn nicht erſt durch die ordination approbiret nachmal aber erſt auff ihn inquiriret. 2. haͤtte auffs wenig- ſte der jenige tag/ welcher nicht nur ſonſten zu heiligen uͤbungen gewidmet/ ſondern damahl ohne daß ein ſo wichtiges vorgenommenes werck noch weiter vor dem HERRN erwogen und zu ſolcher ſache die noͤthige ruh des ge- muͤths meines erachtens gegoͤnnet werden ſollen. 3. ſehe aus dem uͤber- ſchriebenen/ daß auch der Fuͤrſtliche Rath davor achte/ das decretum im- portuno tempore exequiret worden zu ſeyn. 4. indeſſen wo ich an meines wehrten bruders ſtelle waͤre/ wolte ich mich gleichwol auch ſolche ſache zu verlaſſung meines ordentlichen uͤbernommenen kirchen-dienſts nicht bewegen laſſen. Meine rationes ſind dieſe. 1. ob uns auch ſchon von andern/ oder auch ſo viel mehr von den obern/ unrecht geſchihet (wann dieſe viſi- tation alſo angeſehen werden will) ſo iſt doch dieſes ein ſtuͤck unſerer pro- feſſion, das unrecht gedultig zu ertragen/ ſo viel als ohne verletzung unſers gewiſſens/ das iſt mit einflechtung unrecht auch unſerer ſeite zu thun/ ge- ſchehen kan. Nun ſiehe ich nicht/ daß ich darinnen ſuͤndige/ wo jemand mir

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 746. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/762>, abgerufen am 21.11.2024.