Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.Das andere Capitel. welche bereits durch das gesetz so gerühret/ daß sie des evangelischen trostesbedörfftig: andern theils/ weil die Christ-kluge handlung der evangelischen materien offtmahls auch in gantz boßhaffte seelen eindringt/ daß wenn sie das trohen göttlichen zorns nicht bewogen/ ja vielmahl nur desto halßstarriger gemacht/ hingegen die bewegliche vorstellung der zur busse lockenden göttli- chen langmuth und liebe/ so dann der theuren schätze der seligkeit hier und dort/ dero man sich durch die sünde verlustig mache/ dero härtigkeit erweichet/ und den ersten anfang der busse macht. 7. dieses aber gestehe ich gern/ daß mit solchen evangelischen materien vorsichtig und Christ klüglich umgegan- gen müsse werden: ich brauche diese art/ da ich das gantze jahr in einem au- ditorio, da ich leider der zuhörer allzuviel habe/ die ich in gegenwärtigem stan- de der göttlichen gnade wenig versichern kan/ aus allen evangelien die theure schätze der seligkeit der kinder GOttes vorstelle: aber in dieser ordnung/ daß ich jedesmahl den vorkommenden schatz/ auffs beste/ als mir GOTT gnade gibet/ ausstreiche/ damit er ja herrlich gnug erkant werde/ auff dieses folget so bald/ daß ich zeige/ wer und in welcher ordnung sich solches schatzes anzunehmen habe/ welche hingegen sich desselben vergeblich tröste- ten: da ich denn alle und jede zu der prüffung ihrer selbst nach den stücken/ welche vorhin angedeutet/ auffs treulichste vermahne/ und vor allem selbs- betrug warne. Von diesem methodo weiß ich schon/ daß ob wol die ei- gentliche materie das pure evangelium ist/ gleichwol leute bekant haben/ daß keine ernstliche gesetz-predigten sie mehr rühreten. Denn gegen diese weiß sich ein sicherer mensch allezeit der gnade GOttes und des glaubens bey sich selbst zu getrösten. Wo aber die evangelische trost-materien selbst so deutlich clausuliret/ und allein den bußfertigen und gläubigen zugesprochen/ auch was wahre oder betrogene buß/ wahrer oder eingebildete glauber seye/ ohne übriglassung der gemeinen ausflüchten der menschlichen schwachheit und dergleichen/ dermassen beschrieben werden/ daß jeglichem sein gewissen selbst sagt/ zu welchem hauffen er gehöre/ da bleibt einem menschen der sich nicht in die wahre buß-ordnung schicken will/ nichts mehr übrig/ damit er sich in seiner sicherheit steiffen könte: sondern es heist/ entweder Gottes zug platz gegeben/ oder die hoffnung der seligkeit fahren gelassen. Jndessen nach dem sie gleich- wol immer hören/ wie es die kinder GOttes so gut haben/ und das Chri- stenthum nicht eine solche last wie sich viele einbilden/ sondern ein solches seliges leben seye/ sind die angeregte noch stets die nachdrücklichste lockun- gen zur wahren buß/ damit gewiß mehr/ als mit dem blosen donnern und
Das andere Capitel. welche bereits durch das geſetz ſo geruͤhret/ daß ſie des evangeliſchen troſtesbedoͤrfftig: andern theils/ weil die Chriſt-kluge handlung der evangeliſchen materien offtmahls auch in gantz boßhaffte ſeelen eindringt/ daß wenn ſie das trohen goͤttlichen zorns nicht bewogen/ ja vielmahl nur deſto halßſtarriger gemacht/ hingegen die bewegliche vorſtellung der zur buſſe lockenden goͤttli- chen langmuth und liebe/ ſo dann der theuren ſchaͤtze der ſeligkeit hier und dort/ dero man ſich durch die ſuͤnde verluſtig mache/ dero haͤrtigkeit erweichet/ und den erſten anfang der buſſe macht. 7. dieſes aber geſtehe ich gern/ daß mit ſolchen evangeliſchen materien vorſichtig und Chriſt kluͤglich umgegan- gen muͤſſe werden: ich brauche dieſe art/ da ich das gantze jahr in einem au- ditorio, da ich leider der zuhoͤrer allzuviel habe/ die ich in gegenwaͤrtigem ſtan- de der goͤttlichen gnade wenig verſichern kan/ aus allen evangelien die theure ſchaͤtze der ſeligkeit der kinder GOttes vorſtelle: aber in dieſer ordnung/ daß ich jedesmahl den vorkommenden ſchatz/ auffs beſte/ als mir GOTT gnade gibet/ ausſtreiche/ damit er ja herrlich gnug erkant werde/ auff dieſes folget ſo bald/ daß ich zeige/ wer und in welcher ordnung ſich ſolches ſchatzes anzunehmen habe/ welche hingegen ſich deſſelben vergeblich troͤſte- ten: da ich denn alle und jede zu der pruͤffung ihrer ſelbſt nach den ſtuͤcken/ welche vorhin angedeutet/ auffs treulichſte vermahne/ und vor allem ſelbs- betrug warne. Von dieſem methodo weiß ich ſchon/ daß ob wol die ei- gentliche materie das pure evangelium iſt/ gleichwol leute bekant haben/ daß keine ernſtliche geſetz-predigten ſie mehr ruͤhreten. Denn gegen dieſe weiß ſich ein ſicherer menſch allezeit der gnade GOttes und des glaubens bey ſich ſelbſt zu getroͤſten. Wo aber die evangeliſche troſt-materien ſelbſt ſo deutlich clauſuliret/ und allein den bußfertigen und glaͤubigen zugeſprochen/ auch was wahre oder betrogene buß/ wahrer oder eingebildete glauber ſeye/ ohne uͤbriglaſſung der gemeinen ausfluͤchten der menſchlichen ſchwachheit und dergleichen/ dermaſſen beſchrieben werden/ daß jeglichem ſein gewiſſen ſelbſt ſagt/ zu welchem hauffen er gehoͤre/ da bleibt einem menſchen der ſich nicht in die wahre buß-ordnung ſchicken will/ nichts mehr uͤbrig/ damit er ſich in ſeiner ſicherheit ſteiffen koͤnte: ſondern es heiſt/ entweder Gottes zug platz gegeben/ oder die hoffnung der ſeligkeit fahren gelaſſen. Jndeſſen nach dem ſie gleich- wol immer hoͤren/ wie es die kinder GOttes ſo gut haben/ und das Chri- ſtenthum nicht eine ſolche laſt wie ſich viele einbilden/ ſondern ein ſolches ſeliges leben ſeye/ ſind die angeregte noch ſtets die nachdruͤcklichſte lockun- gen zur wahren buß/ damit gewiß mehr/ als mit dem bloſen donnern und
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Das andere Capitel.
welche bereits durch das geſetz ſo geruͤhret/ daß ſie des evangeliſchen troſtes
bedoͤrfftig: andern theils/ weil die Chriſt-kluge handlung der evangeliſchen
materien offtmahls auch in gantz boßhaffte ſeelen eindringt/ daß wenn ſie das
trohen goͤttlichen zorns nicht bewogen/ ja vielmahl nur deſto halßſtarriger
gemacht/ hingegen die bewegliche vorſtellung der zur buſſe lockenden goͤttli-
chen langmuth und liebe/ ſo dann der theuren ſchaͤtze der ſeligkeit hier und
dort/ dero man ſich durch die ſuͤnde verluſtig mache/ dero haͤrtigkeit erweichet/
und den erſten anfang der buſſe macht. 7. dieſes aber geſtehe ich gern/ daß
mit ſolchen evangeliſchen materien vorſichtig und Chriſt kluͤglich umgegan-
gen muͤſſe werden: ich brauche dieſe art/ da ich das gantze jahr in einem au-
ditorio, da ich leider der zuhoͤrer allzuviel habe/ die ich in gegenwaͤrtigem ſtan-
de der goͤttlichen gnade wenig verſichern kan/ aus allen evangelien die theure
ſchaͤtze der ſeligkeit der kinder GOttes vorſtelle: aber in dieſer ordnung/ daß
ich jedesmahl den vorkommenden ſchatz/ auffs beſte/ als mir GOTT
gnade gibet/ ausſtreiche/ damit er ja herrlich gnug erkant werde/ auff
dieſes folget ſo bald/ daß ich zeige/ wer und in welcher ordnung ſich ſolches
ſchatzes anzunehmen habe/ welche hingegen ſich deſſelben vergeblich troͤſte-
ten: da ich denn alle und jede zu der pruͤffung ihrer ſelbſt nach den ſtuͤcken/
welche vorhin angedeutet/ auffs treulichſte vermahne/ und vor allem ſelbs-
betrug warne. Von dieſem methodo weiß ich ſchon/ daß ob wol die ei-
gentliche materie das pure evangelium iſt/ gleichwol leute bekant haben/
daß keine ernſtliche geſetz-predigten ſie mehr ruͤhreten. Denn gegen dieſe
weiß ſich ein ſicherer menſch allezeit der gnade GOttes und des glaubens
bey ſich ſelbſt zu getroͤſten. Wo aber die evangeliſche troſt-materien ſelbſt ſo
deutlich clauſuliret/ und allein den bußfertigen und glaͤubigen zugeſprochen/
auch was wahre oder betrogene buß/ wahrer oder eingebildete glauber ſeye/
ohne uͤbriglaſſung der gemeinen ausfluͤchten der menſchlichen ſchwachheit und
dergleichen/ dermaſſen beſchrieben werden/ daß jeglichem ſein gewiſſen ſelbſt
ſagt/ zu welchem hauffen er gehoͤre/ da bleibt einem menſchen der ſich nicht in
die wahre buß-ordnung ſchicken will/ nichts mehr uͤbrig/ damit er ſich in ſeiner
ſicherheit ſteiffen koͤnte: ſondern es heiſt/ entweder Gottes zug platz gegeben/
oder die hoffnung der ſeligkeit fahren gelaſſen. Jndeſſen nach dem ſie gleich-
wol immer hoͤren/ wie es die kinder GOttes ſo gut haben/ und das Chri-
ſtenthum nicht eine ſolche laſt wie ſich viele einbilden/ ſondern ein ſolches
ſeliges leben ſeye/ ſind die angeregte noch ſtets die nachdruͤcklichſte lockun-
gen zur wahren buß/ damit gewiß mehr/ als mit dem bloſen donnern
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Zitationshilfe: | Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 740. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/756>, abgerufen am 24.06.2024. |