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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. III. SECTIO XXXI.
evangelio folget/ nehmlich dem glauben geschickt werde: man hat auch mit
demselben so viel stärcker anzuhalten/ als man der leute boßheit halßstarri-
ger wahrnimmet. 3. wo man aber das gesetz allein treibet/ wird man nicht
nur keinen menschen dadurch selig machen/ weil es den geist und glauben ge-
dachter massen nicht giebet/ sondern es wird nimmermehr aus demselben al-
lein eine rechte gottgefällige reue folgen/ vielmehr nur eine knechtische
forcht/ und wo man zu lange anhält/ eine blosse verstockung/ daß man des
scheltens gar nicht achtet/ und manche nur so viel verruchter darüber werden/
wie es denn an dergleichen exempeln nicht mangelt. 4. wenn aber unsere
Christl. Theologi sagen/ daß das gesetz geprediget werden müsse den rohen/
sichern und unbußfertigen/ das evangelium aber allein den bußfertigen und
gnaden-hungrigen hertzen/ ists durch aus die meinung nicht von der allge-
meinen predigt beyder stücke bey gantzen gemeinden/ sondern von der abson-
derlichen application derselben auff gewisse personen: das ist/ ich habe
keinen andern den evangelischen trost zu appliciren/ und sie damit auffzu-
richten/ als allein den bußfertigen/ hingegen wo ichs mit rohen und gottlosen
zuthun habe/ kan ich sie nichts anders von solchem ihrem stand als des göttli-
chen zorns versichern. 5. indessen wenn ichs auch schon mit einzeln personen
zuthun habe/ ists weder verbothen noch unrathsam/ auch dem gottlosesten/
dem ich göttlichen zorn ankündigen muß/ welcher über ihm schwebe/ eben so
wol von den theuersten schätzen der seligkeit und also von dem evangelio zu
sagen/ nicht ihn damit sicher zumachen/ als wenn er sich derselben in gegen-
wärtigem stande anzunehmen hätte/ wie ich ihm denn solchen trost glatt ab-
schneiden muß/ sondern theils ihm eben dadurch das elend seines sündlichen
zustandes zuzeigen/ in dem er sich um solche theure güter/ die ihm sonst auch
hätten werden können/ bringe/ theils ihn vermittelst solcher vorstellung zu
einer begierde darnach und folgends zur buß zureitzen. Wie hingegen auch
bey den bußfertigen des gesetzes auch nicht gantz vergessen/ sondern damit ihre
buß so vielmehr befordert/ und ihnen die grösse der gnade/ wenn sie die schweh-
re der sünden tieffer einsehen/ kräfftiger vorgestellet werden muß. 6. wie dann
beyderley/ ob wol mit gewissem unterscheid/ so gar bey bußfertigen und unbuß-
fertigen/ wenn mans mit einzeln personen zuthun hat/ getrieben werden muß/
so kan so viel weniger eines davon bey gantzen gemeinden ausgelassen werden.
Sonderlich würde unverantwortlich seyn/ einer gantzen gemeinde/ wie vor
böse man sie hielte/ die evangelische materien vorzuenthalten/ eines theils/
weil wir nicht gewiß/ ob nicht auffs wenigste einige seelen in derselben wären/

welche
A a a a a 2

ARTIC. III. SECTIO XXXI.
evangelio folget/ nehmlich dem glauben geſchickt werde: man hat auch mit
demſelben ſo viel ſtaͤrcker anzuhalten/ als man der leute boßheit halßſtarri-
ger wahrnimmet. 3. wo man aber das geſetz allein treibet/ wird man nicht
nur keinen menſchen dadurch ſelig machen/ weil es den geiſt und glauben ge-
dachter maſſen nicht giebet/ ſondern es wird nimmermehr aus demſelben al-
lein eine rechte gottgefaͤllige reue folgen/ vielmehr nur eine knechtiſche
forcht/ und wo man zu lange anhaͤlt/ eine bloſſe verſtockung/ daß man des
ſcheltens gar nicht achtet/ und manche nur ſo viel verruchter daruͤber werden/
wie es denn an dergleichen exempeln nicht mangelt. 4. wenn aber unſere
Chriſtl. Theologi ſagen/ daß das geſetz geprediget werden muͤſſe den rohen/
ſichern und unbußfertigen/ das evangelium aber allein den bußfertigen und
gnaden-hungrigen hertzen/ iſts durch aus die meinung nicht von der allge-
meinen predigt beyder ſtuͤcke bey gantzen gemeinden/ ſondern von der abſon-
derlichen application derſelben auff gewiſſe perſonen: das iſt/ ich habe
keinen andern den evangeliſchen troſt zu appliciren/ und ſie damit auffzu-
richten/ als allein den bußfertigen/ hingegen wo ichs mit rohen und gottloſen
zuthun habe/ kan ich ſie nichts anders von ſolchem ihrem ſtand als des goͤttli-
chen zorns verſichern. 5. indeſſen wenn ichs auch ſchon mit einzeln perſonen
zuthun habe/ iſts weder verbothen noch unrathſam/ auch dem gottloſeſten/
dem ich goͤttlichen zorn ankuͤndigen muß/ welcher uͤber ihm ſchwebe/ eben ſo
wol von den theuerſten ſchaͤtzen der ſeligkeit und alſo von dem evangelio zu
ſagen/ nicht ihn damit ſicher zumachen/ als wenn er ſich derſelben in gegen-
waͤrtigem ſtande anzunehmen haͤtte/ wie ich ihm denn ſolchen troſt glatt ab-
ſchneiden muß/ ſondern theils ihm eben dadurch das elend ſeines ſuͤndlichen
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haͤtten werden koͤnnen/ bringe/ theils ihn vermittelſt ſolcher vorſtellung zu
einer begierde darnach und folgends zur buß zureitzen. Wie hingegen auch
bey den bußfertigen des geſetzes auch nicht gantz vergeſſen/ ſondern damit ihre
buß ſo vielmehr befordert/ und ihnen die groͤſſe der gnade/ wenn ſie die ſchweh-
re der ſuͤnden tieffer einſehen/ kraͤfftiger vorgeſtellet werden muß. 6. wie dann
beyderley/ ob wol mit gewiſſem unterſcheid/ ſo gar bey bußfertigen und unbuß-
fertigen/ wenn mans mit einzeln perſonen zuthun hat/ getrieben werden muß/
ſo kan ſo viel weniger eines davon bey gantzen gemeinden ausgelaſſen werden.
Sonderlich wuͤrde unverantwortlich ſeyn/ einer gantzen gemeinde/ wie vor
boͤſe man ſie hielte/ die evangeliſche materien vorzuenthalten/ eines theils/
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welche
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[739/0755] ARTIC. III. SECTIO XXXI. evangelio folget/ nehmlich dem glauben geſchickt werde: man hat auch mit demſelben ſo viel ſtaͤrcker anzuhalten/ als man der leute boßheit halßſtarri- ger wahrnimmet. 3. wo man aber das geſetz allein treibet/ wird man nicht nur keinen menſchen dadurch ſelig machen/ weil es den geiſt und glauben ge- dachter maſſen nicht giebet/ ſondern es wird nimmermehr aus demſelben al- lein eine rechte gottgefaͤllige reue folgen/ vielmehr nur eine knechtiſche forcht/ und wo man zu lange anhaͤlt/ eine bloſſe verſtockung/ daß man des ſcheltens gar nicht achtet/ und manche nur ſo viel verruchter daruͤber werden/ wie es denn an dergleichen exempeln nicht mangelt. 4. wenn aber unſere Chriſtl. Theologi ſagen/ daß das geſetz geprediget werden muͤſſe den rohen/ ſichern und unbußfertigen/ das evangelium aber allein den bußfertigen und gnaden-hungrigen hertzen/ iſts durch aus die meinung nicht von der allge- meinen predigt beyder ſtuͤcke bey gantzen gemeinden/ ſondern von der abſon- derlichen application derſelben auff gewiſſe perſonen: das iſt/ ich habe keinen andern den evangeliſchen troſt zu appliciren/ und ſie damit auffzu- richten/ als allein den bußfertigen/ hingegen wo ichs mit rohen und gottloſen zuthun habe/ kan ich ſie nichts anders von ſolchem ihrem ſtand als des goͤttli- chen zorns verſichern. 5. indeſſen wenn ichs auch ſchon mit einzeln perſonen zuthun habe/ iſts weder verbothen noch unrathſam/ auch dem gottloſeſten/ dem ich goͤttlichen zorn ankuͤndigen muß/ welcher uͤber ihm ſchwebe/ eben ſo wol von den theuerſten ſchaͤtzen der ſeligkeit und alſo von dem evangelio zu ſagen/ nicht ihn damit ſicher zumachen/ als wenn er ſich derſelben in gegen- waͤrtigem ſtande anzunehmen haͤtte/ wie ich ihm denn ſolchen troſt glatt ab- ſchneiden muß/ ſondern theils ihm eben dadurch das elend ſeines ſuͤndlichen zuſtandes zuzeigen/ in dem er ſich um ſolche theure guͤter/ die ihm ſonſt auch haͤtten werden koͤnnen/ bringe/ theils ihn vermittelſt ſolcher vorſtellung zu einer begierde darnach und folgends zur buß zureitzen. Wie hingegen auch bey den bußfertigen des geſetzes auch nicht gantz vergeſſen/ ſondern damit ihre buß ſo vielmehr befordert/ und ihnen die groͤſſe der gnade/ wenn ſie die ſchweh- re der ſuͤnden tieffer einſehen/ kraͤfftiger vorgeſtellet werden muß. 6. wie dann beyderley/ ob wol mit gewiſſem unterſcheid/ ſo gar bey bußfertigen und unbuß- fertigen/ wenn mans mit einzeln perſonen zuthun hat/ getrieben werden muß/ ſo kan ſo viel weniger eines davon bey gantzen gemeinden ausgelaſſen werden. Sonderlich wuͤrde unverantwortlich ſeyn/ einer gantzen gemeinde/ wie vor boͤſe man ſie hielte/ die evangeliſche materien vorzuenthalten/ eines theils/ weil wir nicht gewiß/ ob nicht auffs wenigſte einige ſeelen in derſelben waͤren/ welche A a a a a 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/755>, abgerufen am 24.06.2024.