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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. II. SECTIO VIII.
niemand zweiffelt/ daß ein knecht/ den der HERR selbs gehen
oder kommen heisset/ solches nothwendig thun müsse. Weil ich aber das
wort der richtigen vocation davor achte/ allein gesetzt zu seyn/ wo der beruf-
fene nichts gesucht oder erpracticiret/ und in solcherley umbständen kein fehler
vorgegangen/ so achte nicht/ daß eine jegliche solche vocation so bald verbin-
den oder stracks vor göttlich zu halten seye. Was aber das andre anlangt/
liget die decision nicht eigentlich darinnen/ ob mehr göttliches in einem und
dem andern/ was nemlich den actum vocandi anlangt/ vorhanden seye/ dann
beyde wahrhafftig und gleich göttlich seyn können: aber in solchem fall/ wo
der vorige beruff göttlich gewesen/ und der folgende auch wahrhafftig göttl.
ist/ so hebet eben deswegen dieser den ersten auf/ wie in gewisser maaß
1. B. Mos. 22/ 2. 11. 12.

Die 3. Frage.
Woher man wissen könne/ daß in der Fürstlichen
vocation
sich mehr göttliches finde/ als bey der jetzigen/ so mit aller
drey stände zuthun/ vorhergegangenem offtern öffentli-
chen und sonderlichen gebet/ kräfftigen zeichen göttlicher re-
gierung/ auch gegebenen segen im amte geschehen?

JCh erkenne in der jetzigen vocation nicht weniger göttliches als in der an-
gebotenen/ ja gar mag man sagen/ eine göttliche vocation kan nicht gött-
licher seyn/ als eine andere/ ob wohl der einen göttliche gewißheit offenbah-
rer seyn möchte als der andern. Was also vor die erste und dero göttligkeit
angeführet wird/ ist gantz richtig/ und diese richtigkeit aus den angeführten
zeugnüssen so viel kundbarer. Wann aber die gefolgte gewiß als göttlich er-
kant wird/ so hebet diese an sich selbs die erste auf.

Die 4. Frage.
Wenn etwa göttlicher rath oder mehrere göttligkeit des Fürstl.
beruffs aus der hoffnung des mehrern nutzens zu beurtheilen/
worauff die hoffnung mehrer besserung im Fürstenthum sich
gründe/ da man aus hiesiger erfahrung des würcklichen guten
an
extraneis & indigenis, illustribus & plebejis, so vieler tau-
send seelen/ die das wort lieben/ und sich dazu tringen/ einige
auch wircklich in der angst der wiedergeburt stehen/ fernerer
besserung gewiß versichert seyn kan?

JN dieser frage gehet es nun näher an die sache: weil in den folgenden beruff
nicht so wohl eine mehrere göttligkeit (wie bereits erinnert/ daß dieselbe

in

ARTIC. II. SECTIO VIII.
niemand zweiffelt/ daß ein knecht/ den der HERR ſelbs gehen
oder kommen heiſſet/ ſolches nothwendig thun muͤſſe. Weil ich aber das
wort der richtigen vocation davor achte/ allein geſetzt zu ſeyn/ wo der beruf-
fene nichts geſucht oder erpracticiret/ und in ſolcherley umbſtaͤnden kein fehler
vorgegangen/ ſo achte nicht/ daß eine jegliche ſolche vocation ſo bald verbin-
den oder ſtracks vor goͤttlich zu halten ſeye. Was aber das andre anlangt/
liget die deciſion nicht eigentlich darinnen/ ob mehr goͤttliches in einem und
dem andern/ was nemlich den actum vocandi anlangt/ vorhanden ſeye/ dann
beyde wahrhafftig und gleich goͤttlich ſeyn koͤnnen: aber in ſolchem fall/ wo
der vorige beruff goͤttlich geweſen/ und der folgende auch wahrhafftig goͤttl.
iſt/ ſo hebet eben deswegen dieſer den erſten auf/ wie in gewiſſer maaß
1. B. Moſ. 22/ 2. 11. 12.

Die 3. Frage.
Woher man wiſſen koͤnne/ daß in der Fuͤrſtlichen
vocation
ſich mehr goͤttliches finde/ als bey der jetzigen/ ſo mit aller
drey ſtaͤnde zuthun/ vorhergegangenem offtern oͤffentli-
chen und ſonderlichen gebet/ kraͤfftigen zeichen goͤttlicher re-
gierung/ auch gegebenen ſegen im amte geſchehen?

JCh erkenne in der jetzigen vocation nicht weniger goͤttliches als in der an-
gebotenen/ ja gar mag man ſagen/ eine goͤttliche vocation kan nicht goͤtt-
licher ſeyn/ als eine andere/ ob wohl der einen goͤttliche gewißheit offenbah-
rer ſeyn moͤchte als der andern. Was alſo vor die erſte und dero goͤttligkeit
angefuͤhret wird/ iſt gantz richtig/ und dieſe richtigkeit aus den angefuͤhrten
zeugnuͤſſen ſo viel kundbarer. Wann aber die gefolgte gewiß als goͤttlich er-
kant wird/ ſo hebet dieſe an ſich ſelbs die erſte auf.

Die 4. Frage.
Wenn etwa goͤttlicher rath oder mehrere goͤttligkeit des Fuͤrſtl.
beruffs aus der hoffnung des mehrern nutzens zu beurtheilen/
worauff die hoffnung mehrer beſſerung im Fuͤrſtenthum ſich
gruͤnde/ da man aus hieſiger erfahrung des wuͤrcklichen guten
an
extraneis & indigenis, illuſtribus & plebejis, ſo vieler tau-
ſend ſeelen/ die das wort lieben/ und ſich dazu tringen/ einige
auch wircklich in der angſt der wiedergeburt ſtehen/ fernerer
beſſerung gewiß verſichert ſeyn kan?

JN dieſer frage gehet es nun naͤher an die ſache: weil in dẽ folgenden beruff
nicht ſo wohl eine mehrere goͤttligkeit (wie bereits erinnert/ daß dieſelbe

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[495/0511] ARTIC. II. SECTIO VIII. niemand zweiffelt/ daß ein knecht/ den der HERR ſelbs gehen oder kommen heiſſet/ ſolches nothwendig thun muͤſſe. Weil ich aber das wort der richtigen vocation davor achte/ allein geſetzt zu ſeyn/ wo der beruf- fene nichts geſucht oder erpracticiret/ und in ſolcherley umbſtaͤnden kein fehler vorgegangen/ ſo achte nicht/ daß eine jegliche ſolche vocation ſo bald verbin- den oder ſtracks vor goͤttlich zu halten ſeye. Was aber das andre anlangt/ liget die deciſion nicht eigentlich darinnen/ ob mehr goͤttliches in einem und dem andern/ was nemlich den actum vocandi anlangt/ vorhanden ſeye/ dann beyde wahrhafftig und gleich goͤttlich ſeyn koͤnnen: aber in ſolchem fall/ wo der vorige beruff goͤttlich geweſen/ und der folgende auch wahrhafftig goͤttl. iſt/ ſo hebet eben deswegen dieſer den erſten auf/ wie in gewiſſer maaß 1. B. Moſ. 22/ 2. 11. 12. Die 3. Frage. Woher man wiſſen koͤnne/ daß in der Fuͤrſtlichen vocation ſich mehr goͤttliches finde/ als bey der jetzigen/ ſo mit aller drey ſtaͤnde zuthun/ vorhergegangenem offtern oͤffentli- chen und ſonderlichen gebet/ kraͤfftigen zeichen goͤttlicher re- gierung/ auch gegebenen ſegen im amte geſchehen? JCh erkenne in der jetzigen vocation nicht weniger goͤttliches als in der an- gebotenen/ ja gar mag man ſagen/ eine goͤttliche vocation kan nicht goͤtt- licher ſeyn/ als eine andere/ ob wohl der einen goͤttliche gewißheit offenbah- rer ſeyn moͤchte als der andern. Was alſo vor die erſte und dero goͤttligkeit angefuͤhret wird/ iſt gantz richtig/ und dieſe richtigkeit aus den angefuͤhrten zeugnuͤſſen ſo viel kundbarer. Wann aber die gefolgte gewiß als goͤttlich er- kant wird/ ſo hebet dieſe an ſich ſelbs die erſte auf. Die 4. Frage. Wenn etwa goͤttlicher rath oder mehrere goͤttligkeit des Fuͤrſtl. beruffs aus der hoffnung des mehrern nutzens zu beurtheilen/ worauff die hoffnung mehrer beſſerung im Fuͤrſtenthum ſich gruͤnde/ da man aus hieſiger erfahrung des wuͤrcklichen guten an extraneis & indigenis, illuſtribus & plebejis, ſo vieler tau- ſend ſeelen/ die das wort lieben/ und ſich dazu tringen/ einige auch wircklich in der angſt der wiedergeburt ſtehen/ fernerer beſſerung gewiß verſichert ſeyn kan? JN dieſer frage gehet es nun naͤher an die ſache: weil in dẽ folgenden beruff nicht ſo wohl eine mehrere goͤttligkeit (wie bereits erinnert/ daß dieſelbe in

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/511>, abgerufen am 22.11.2024.