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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. II. SECTIO VII.
(Ach daß der HErr mich hierinnen/ wie schwach oder starck jegliches seye/ o-
der wie schwehr es wiege/ recht und nach der wahrheit einsehen lasse!) Was
nun die werthe stadt H. und die stelle/ die geliebter bruder dißmahl daselbs
bedienet/ anlangt/ so sind vor das verbleiben in und bey derselben folgende
ursachen angeführet. 1. Der unstreitbare göttliche und wunderbare beruff/
den derselbe ohn alles sein suchen und anhalten dazu bekommen. Dieses ist
wohl an sich selbsten ein stattlicher grund/ und würdig/ daß wie er auch bezeu-
get/ er seine sonderlichste freude davon mache: er richtet auch so viel aus/ daß
er getrost an dem ort/ dahin ihn der HErr ohn zweiffel beruffen/ bleiben kön-
ne/ als lange nicht die göttliche anderwertlich hin ruffende stimme sich mit
gleicher gewißheit oder noch kräfftiger offenbahre; ja sie verbindet ihn so/
daß er nach andrer stelle sich niemahls mit gutem gewissen bewerben darff/
als der nicht befugt ist/ GOTT dem HERRN aus seiner ordnung/ wo-
hin er ihn selbs gesetzet/ auszutreten. Jndessen bringet solche versicherung
der göttligkeit dieses beruffs nicht mit sich/ daß derselbe unmüglich von der
stelle wiederum abgehen könte/ an dero er itzo GOtt dienet/ sondern allein/
daß er nicht selbs austreten dörffe/ sondern es dem HErrn allein überlassen
müsse/ ob er ihn auffs neue anderwertlich hin versetzen wolle. Denn dieser
behält sich auch billig das recht/ wie er beruffen/ daß er mit nicht weniger
krafft abruffen könne/ und wo des wegen auch diese stimme gehöret wird/ der-
selben so wohl als bey dem ersten ruff/ auffs neue folge geleistet werden müsse.
Wie nun Christliche lehrer an eignem exempel dieses offt erfahren/ da sie der
HErr von einem ort zum andern gehen heisset/ und sie gleichwohl daraus
nicht schliessen/ daß deswegen der vorige beruff nicht wahrhafftig göttlich
gewesen wäre/ sondern GOtt die macht lassen/ auch in seinem eignen beruff
eine änderung wieder zu treffen: Also hat geliebter bruder an sich selbs sein
exempel/ wie er in L. vorhin eben so wohl in göttlichem beruff gestanden/ dessen
zeugnüssen ich weiß mir von demselben erzehlet seyn zu worden/ ob mich wohl
der umstände nicht mehr erinnere: Da nun GOtt einmahl eine solche verse-
tzung anbefohlen/ und derselbe geglaubet/ daß der folgende ruff in gewisser
maaß den ersten auffhebe/ so bleibet GOtt noch gleiches recht zum andern
und drittenmahl seinen gehorsam zu üben. Wo hingegen wolte als eine wahr-
heit gehalten werden/ daß ein göttl. beruff auch unveränderlich seye/ müste
man entweder alle versetzungen der prediger schlechter dinges vor unzuläßig
und göttlichem willen zuwider zu seyn erkennen/ oder davor halten/ es habe ei-
ner nicht eher zu glauben/ daß er anderwertlich hin beruffen werden könte/ biß
er an der wahrheit seines beruffs zu zweiffeln ursach finde. Welches aber bey-
des gantz ungereimt wäre. Also hebet der letzte beruff/ da er wahrhäfftig von

Gott
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ARTIC. II. SECTIO VII.
(Ach daß der HErr mich hierinnen/ wie ſchwach oder ſtarck jegliches ſeye/ o-
der wie ſchwehr es wiege/ recht und nach der wahrheit einſehen laſſe!) Was
nun die werthe ſtadt H. und die ſtelle/ die geliebter bruder dißmahl daſelbs
bedienet/ anlangt/ ſo ſind vor das verbleiben in und bey derſelben folgende
urſachen angefuͤhret. 1. Der unſtreitbare goͤttliche und wunderbare beruff/
den derſelbe ohn alles ſein ſuchen und anhalten dazu bekommen. Dieſes iſt
wohl an ſich ſelbſten ein ſtattlicher grund/ und wuͤrdig/ daß wie er auch bezeu-
get/ er ſeine ſonderlichſte freude davon mache: er richtet auch ſo viel aus/ daß
er getroſt an dem ort/ dahin ihn der HErr ohn zweiffel beruffen/ bleiben koͤn-
ne/ als lange nicht die goͤttliche anderwertlich hin ruffende ſtimme ſich mit
gleicher gewißheit oder noch kraͤfftiger offenbahre; ja ſie verbindet ihn ſo/
daß er nach andrer ſtelle ſich niemahls mit gutem gewiſſen bewerben darff/
als der nicht befugt iſt/ GOTT dem HERRN aus ſeiner ordnung/ wo-
hin er ihn ſelbs geſetzet/ auszutreten. Jndeſſen bringet ſolche verſicherung
der goͤttligkeit dieſes beruffs nicht mit ſich/ daß derſelbe unmuͤglich von der
ſtelle wiederum abgehen koͤnte/ an dero er itzo GOtt dienet/ ſondern allein/
daß er nicht ſelbs austreten doͤrffe/ ſondern es dem HErrn allein uͤberlaſſen
muͤſſe/ ob er ihn auffs neue anderwertlich hin verſetzen wolle. Denn dieſer
behaͤlt ſich auch billig das recht/ wie er beruffen/ daß er mit nicht weniger
krafft abruffen koͤnne/ und wo des wegen auch dieſe ſtimme gehoͤret wird/ der-
ſelben ſo wohl als bey dem erſten ruff/ auffs neue folge geleiſtet werden muͤſſe.
Wie nun Chriſtliche lehrer an eignem exempel dieſes offt erfahren/ da ſie der
HErr von einem ort zum andern gehen heiſſet/ und ſie gleichwohl daraus
nicht ſchlieſſen/ daß deswegen der vorige beruff nicht wahrhafftig goͤttlich
geweſen waͤre/ ſondern GOtt die macht laſſen/ auch in ſeinem eignen beruff
eine aͤnderung wieder zu treffen: Alſo hat geliebter bruder an ſich ſelbs ſein
exempel/ wie er in L. vorhin eben ſo wohl in goͤttlichem beruff geſtanden/ deſſen
zeugnuͤſſen ich weiß mir von demſelben erzehlet ſeyn zu worden/ ob mich wohl
der umſtaͤnde nicht mehr erinnere: Da nun GOtt einmahl eine ſolche verſe-
tzung anbefohlen/ und derſelbe geglaubet/ daß der folgende ruff in gewiſſer
maaß den erſten auffhebe/ ſo bleibet GOtt noch gleiches recht zum andern
und drittenmahl ſeinen gehorſam zu uͤben. Wo hingegen wolte als eine wahr-
heit gehalten werden/ daß ein goͤttl. beruff auch unveraͤnderlich ſeye/ muͤſte
man entweder alle verſetzungen der prediger ſchlechter dinges vor unzulaͤßig
und goͤttlichem willen zuwider zu ſeyn erkennen/ oder davor halten/ es habe ei-
ner nicht eher zu glauben/ daß er anderwertlich hin beruffen werden koͤnte/ biß
er an der wahrheit ſeines beruffs zu zweiffeln urſach finde. Welches aber bey-
des gantz ungereimt waͤre. Alſo hebet der letzte beruff/ da er wahrhaͤfftig von

Gott
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[483/0499] ARTIC. II. SECTIO VII. (Ach daß der HErr mich hierinnen/ wie ſchwach oder ſtarck jegliches ſeye/ o- der wie ſchwehr es wiege/ recht und nach der wahrheit einſehen laſſe!) Was nun die werthe ſtadt H. und die ſtelle/ die geliebter bruder dißmahl daſelbs bedienet/ anlangt/ ſo ſind vor das verbleiben in und bey derſelben folgende urſachen angefuͤhret. 1. Der unſtreitbare goͤttliche und wunderbare beruff/ den derſelbe ohn alles ſein ſuchen und anhalten dazu bekommen. Dieſes iſt wohl an ſich ſelbſten ein ſtattlicher grund/ und wuͤrdig/ daß wie er auch bezeu- get/ er ſeine ſonderlichſte freude davon mache: er richtet auch ſo viel aus/ daß er getroſt an dem ort/ dahin ihn der HErr ohn zweiffel beruffen/ bleiben koͤn- ne/ als lange nicht die goͤttliche anderwertlich hin ruffende ſtimme ſich mit gleicher gewißheit oder noch kraͤfftiger offenbahre; ja ſie verbindet ihn ſo/ daß er nach andrer ſtelle ſich niemahls mit gutem gewiſſen bewerben darff/ als der nicht befugt iſt/ GOTT dem HERRN aus ſeiner ordnung/ wo- hin er ihn ſelbs geſetzet/ auszutreten. Jndeſſen bringet ſolche verſicherung der goͤttligkeit dieſes beruffs nicht mit ſich/ daß derſelbe unmuͤglich von der ſtelle wiederum abgehen koͤnte/ an dero er itzo GOtt dienet/ ſondern allein/ daß er nicht ſelbs austreten doͤrffe/ ſondern es dem HErrn allein uͤberlaſſen muͤſſe/ ob er ihn auffs neue anderwertlich hin verſetzen wolle. Denn dieſer behaͤlt ſich auch billig das recht/ wie er beruffen/ daß er mit nicht weniger krafft abruffen koͤnne/ und wo des wegen auch dieſe ſtimme gehoͤret wird/ der- ſelben ſo wohl als bey dem erſten ruff/ auffs neue folge geleiſtet werden muͤſſe. Wie nun Chriſtliche lehrer an eignem exempel dieſes offt erfahren/ da ſie der HErr von einem ort zum andern gehen heiſſet/ und ſie gleichwohl daraus nicht ſchlieſſen/ daß deswegen der vorige beruff nicht wahrhafftig goͤttlich geweſen waͤre/ ſondern GOtt die macht laſſen/ auch in ſeinem eignen beruff eine aͤnderung wieder zu treffen: Alſo hat geliebter bruder an ſich ſelbs ſein exempel/ wie er in L. vorhin eben ſo wohl in goͤttlichem beruff geſtanden/ deſſen zeugnuͤſſen ich weiß mir von demſelben erzehlet ſeyn zu worden/ ob mich wohl der umſtaͤnde nicht mehr erinnere: Da nun GOtt einmahl eine ſolche verſe- tzung anbefohlen/ und derſelbe geglaubet/ daß der folgende ruff in gewiſſer maaß den erſten auffhebe/ ſo bleibet GOtt noch gleiches recht zum andern und drittenmahl ſeinen gehorſam zu uͤben. Wo hingegen wolte als eine wahr- heit gehalten werden/ daß ein goͤttl. beruff auch unveraͤnderlich ſeye/ muͤſte man entweder alle verſetzungen der prediger ſchlechter dinges vor unzulaͤßig und goͤttlichem willen zuwider zu ſeyn erkennen/ oder davor halten/ es habe ei- ner nicht eher zu glauben/ daß er anderwertlich hin beruffen werden koͤnte/ biß er an der wahrheit ſeines beruffs zu zweiffeln urſach finde. Welches aber bey- des gantz ungereimt waͤre. Alſo hebet der letzte beruff/ da er wahrhaͤfftig von Gott P p p 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/499>, abgerufen am 22.11.2024.