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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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§. LXIX. Die 4. frage n. 88. lautet also: Ob es so unrecht/ von un-
serer kirchen zu einer andern zu treten/ weil doch der Antichrist in der
einen so wohl herrschet als in der andern?
Hierauff wird nun mit ja
geantwortet/ und eine solche leichtsinnigkeit verworffen/ und mögen wir die
angeführte ursachen so fern gelten lassen/ wo die schwehrigkeit etwa auff die-
ses ankäme/ daß wir vieles verderben in unserer kirche eben so wohl als in den
übrigen bekennen müsten. Aber wie die frage hie eigentlich lautet/ so be-
ruhet sie auff dem falschen prosupposito, daß bey uns so wohl der Antichrist
herrsche/ so nicht er wiesen ist: Deswegen der abfall von unserer kirche zu ei-
ner andern eine noch desto schwehrere sünde/ als eine blosse leichtsinnigkeit
zu seyn folget.

§. LXX. Hiernechst folget n. 90. die nöthige frage von dem ausgehen
von Babylon/
worinnen es bestehe. Wie aber vorhin in der bedeutung
Babylons gefehlet worden/ also kan es mit solcher antwort auch nicht richtig
seyn. Zwahr wo wir in einem weitlosern und von dem heiligen Geist in der
schrifft nicht gebrauchten verstand/ alles Babel nennen/ wo es
verwirret und nicht wie es solte hergehet/ da unserer kirche etwas dieses nah-
mens auch möchte beygeleget werden/ so ist nicht übel geantwortet/ daß man
allein von den Antichristischen oder Babelischen eigenschafften und also geistl.
ausgehen/ sich auch sonderlich hüten solle/ daß man nicht zugleich mit zu dem
tempel GOttes hinauß lauffe/ oder eine neue parthey in Babel mache. Wel-
ches auch als kath' anthropon gegen die jenige wohl gebraucht werden mag/ die
in der einbildung stehen/ daß unsre so wohl als die Römische kirche Babel
seye/ und man also derselben eusserliche gemeinschafft verlassen müste: Das
nemlich auch aus solcher hypothesi dennoch dieses nicht folgen würde.

§. LXXI. Der eigentlichen wahrheit grunde nach ist eigentlich so zu
antworten/ daß weil gleichwohl Babel wahrhafftig auch ein eusserliches von
andern unterschiedenes reich ist/ also auch ein eusserliches ausgehen aus dem-
selben/ nemlich der Römischen kirche/ erfordert wird: und also gebeut GOtt
seinem volck/ das in Babel gefangen liget/ und welche in solcher kirchen dero-
selben Babylonische verderbnüß erkennen/ sich auch wo sie einen ausgang se-
hen/ eusserlich davon abzusondern/ und ihren gewissen damit rathzuschaffen/
sich nicht weiter der greuel theilhafftig zu machen: so dann nicht mit in dersel-
ben eusserliche schreckliche straff-gerichte zu fallen/ welche das gantze volck zu
Babel/ und was noch darunter ist/ betreffen solle. Weil aber/ wie oben be-
reits etwas anregung gethan/ sich in der eusserlichen gemeinschafft der Rö-
mischen kirchen auch einige befinden/ die wohl das schreckliche verderben zim-
lich erkennen/ aber von einigem ort oder gemeinde nicht wissen/ die sich der

HERR
Anhang

§. LXIX. Die 4. frage n. 88. lautet alſo: Ob es ſo unrecht/ von un-
ſerer kirchen zu einer andern zu treten/ weil doch der Antichriſt in der
einen ſo wohl herrſchet als in der andern?
Hierauff wird nun mit ja
geantwortet/ und eine ſolche leichtſinnigkeit verworffen/ und moͤgen wir die
angefuͤhrte urſachen ſo fern gelten laſſen/ wo die ſchwehrigkeit etwa auff die-
ſes ankaͤme/ daß wir vieles verderben in unſerer kirche eben ſo wohl als in den
uͤbrigen bekennen muͤſten. Aber wie die frage hie eigentlich lautet/ ſo be-
ruhet ſie auff dem falſchen proſuppoſito, daß bey uns ſo wohl der Antichriſt
herrſche/ ſo nicht er wieſen iſt: Deswegen der abfall von unſerer kirche zu ei-
ner andern eine noch deſto ſchwehrere ſuͤnde/ als eine bloſſe leichtſinnigkeit
zu ſeyn folget.

§. LXX. Hiernechſt folget n. 90. die noͤthige frage von dem ausgehen
von Babylon/
worinnen es beſtehe. Wie aber vorhin in der bedeutung
Babylons gefehlet worden/ alſo kan es mit ſolcher antwort auch nicht richtig
ſeyn. Zwahr wo wir in einem weitloſern und von dem heiligen Geiſt in der
ſchrifft nicht gebrauchten verſtand/ alles Babel nennen/ wo es
verwirret und nicht wie es ſolte hergehet/ da unſerer kirche etwas dieſes nah-
mens auch moͤchte beygeleget werden/ ſo iſt nicht uͤbel geantwortet/ daß man
allein von den Antichriſtiſchen oder Babeliſchen eigenſchafften und alſo geiſtl.
ausgehen/ ſich auch ſonderlich huͤten ſolle/ daß man nicht zugleich mit zu dem
tempel GOttes hinauß lauffe/ oder eine neue parthey in Babel mache. Wel-
ches auch als ϰαϑ᾽ ἄνθϱωπον gegen die jenige wohl gebraucht werden mag/ die
in der einbildung ſtehen/ daß unſre ſo wohl als die Roͤmiſche kirche Babel
ſeye/ und man alſo derſelben euſſerliche gemeinſchafft verlaſſen muͤſte: Das
nemlich auch aus ſolcher hypotheſi dennoch dieſes nicht folgen wuͤrde.

§. LXXI. Der eigentlichen wahrheit grunde nach iſt eigentlich ſo zu
antworten/ daß weil gleichwohl Babel wahrhafftig auch ein euſſerliches von
andern unterſchiedenes reich iſt/ alſo auch ein euſſerliches ausgehen aus dem-
ſelben/ nemlich der Roͤmiſchen kirche/ erfordert wird: und alſo gebeut GOtt
ſeinem volck/ das in Babel gefangen liget/ und welche in ſolcher kirchen dero-
ſelben Babyloniſche verderbnuͤß erkennen/ ſich auch wo ſie einen ausgang ſe-
hen/ euſſerlich davon abzuſondern/ und ihren gewiſſen damit rathzuſchaffen/
ſich nicht weiter der greuel theilhafftig zu machen: ſo dann nicht mit in derſel-
ben euſſerliche ſchreckliche ſtraff-gerichte zu fallen/ welche das gantze volck zu
Babel/ und was noch darunter iſt/ betreffen ſolle. Weil aber/ wie oben be-
reits etwas anregung gethan/ ſich in der euſſerlichen gemeinſchafft der Roͤ-
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[390/0406] Anhang §. LXIX. Die 4. frage n. 88. lautet alſo: Ob es ſo unrecht/ von un- ſerer kirchen zu einer andern zu treten/ weil doch der Antichriſt in der einen ſo wohl herrſchet als in der andern? Hierauff wird nun mit ja geantwortet/ und eine ſolche leichtſinnigkeit verworffen/ und moͤgen wir die angefuͤhrte urſachen ſo fern gelten laſſen/ wo die ſchwehrigkeit etwa auff die- ſes ankaͤme/ daß wir vieles verderben in unſerer kirche eben ſo wohl als in den uͤbrigen bekennen muͤſten. Aber wie die frage hie eigentlich lautet/ ſo be- ruhet ſie auff dem falſchen proſuppoſito, daß bey uns ſo wohl der Antichriſt herrſche/ ſo nicht er wieſen iſt: Deswegen der abfall von unſerer kirche zu ei- ner andern eine noch deſto ſchwehrere ſuͤnde/ als eine bloſſe leichtſinnigkeit zu ſeyn folget. §. LXX. Hiernechſt folget n. 90. die noͤthige frage von dem ausgehen von Babylon/ worinnen es beſtehe. Wie aber vorhin in der bedeutung Babylons gefehlet worden/ alſo kan es mit ſolcher antwort auch nicht richtig ſeyn. Zwahr wo wir in einem weitloſern und von dem heiligen Geiſt in der ſchrifft nicht gebrauchten verſtand/ alles Babel nennen/ wo es verwirret und nicht wie es ſolte hergehet/ da unſerer kirche etwas dieſes nah- mens auch moͤchte beygeleget werden/ ſo iſt nicht uͤbel geantwortet/ daß man allein von den Antichriſtiſchen oder Babeliſchen eigenſchafften und alſo geiſtl. ausgehen/ ſich auch ſonderlich huͤten ſolle/ daß man nicht zugleich mit zu dem tempel GOttes hinauß lauffe/ oder eine neue parthey in Babel mache. Wel- ches auch als ϰαϑ᾽ ἄνθϱωπον gegen die jenige wohl gebraucht werden mag/ die in der einbildung ſtehen/ daß unſre ſo wohl als die Roͤmiſche kirche Babel ſeye/ und man alſo derſelben euſſerliche gemeinſchafft verlaſſen muͤſte: Das nemlich auch aus ſolcher hypotheſi dennoch dieſes nicht folgen wuͤrde. §. LXXI. Der eigentlichen wahrheit grunde nach iſt eigentlich ſo zu antworten/ daß weil gleichwohl Babel wahrhafftig auch ein euſſerliches von andern unterſchiedenes reich iſt/ alſo auch ein euſſerliches ausgehen aus dem- ſelben/ nemlich der Roͤmiſchen kirche/ erfordert wird: und alſo gebeut GOtt ſeinem volck/ das in Babel gefangen liget/ und welche in ſolcher kirchen dero- ſelben Babyloniſche verderbnuͤß erkennen/ ſich auch wo ſie einen ausgang ſe- hen/ euſſerlich davon abzuſondern/ und ihren gewiſſen damit rathzuſchaffen/ ſich nicht weiter der greuel theilhafftig zu machen: ſo dann nicht mit in derſel- ben euſſerliche ſchreckliche ſtraff-gerichte zu fallen/ welche das gantze volck zu Babel/ und was noch darunter iſt/ betreffen ſolle. Weil aber/ wie oben be- reits etwas anregung gethan/ ſich in der euſſerlichen gemeinſchafft der Roͤ- miſchen kirchen auch einige befinden/ die wohl das ſchreckliche verderben zim- lich erkennen/ aber von einigem ort oder gemeinde nicht wiſſen/ die ſich der HERR

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/406>, abgerufen am 22.11.2024.