Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.Das erste Capitel. der liebe hätte hernehmen wollen. Das vornehmste aber ist dieses/ daß unsnicht frey stehet/ die redens-art von deckung der sünden menge zuerklähren/ wie wir wollen/ sondern nachdem etwa bey niemand wird in zweiffel gezogen werden/ daß der Apostel auff den spruch Proverb. 10, 12. als an die verstreute Juden schreibend (denen Salomonis schrifften bekannt waren) seine absicht habe. Da zeiget sich offenbahrlich/ weil es ein gegensatz dessen ist/ was da- selbs stehet/ haß erreget hader/ daß die deckung der sünde oder übertretung nichts anders sagen wolle/ als die liebe verursache/ daß man des nechsten feh- ler mit sanfftmuth und gedult übertrage und also decke/ daß man nicht deß- wegen mit demselben zu hadern anfange/ als welches dem haß zukommt. Dieses praedicatum nun schicket sich nicht zu den übrigen arten der liebe/ und also sehen wir aus dem praedicato was vor ein subjectum gemeinet seye. Wolte man aber sagen/ daß eben solches praedicatum auch von den andern ge- sagt werden könte/ so geschiehet solches in sensu plane aequivoco, nur daß es endlich eine phrasis wäre. Die liebe GOttes gegen uns decket der sünden menge/ das ist/ sie vergibet sie aus gnaden. Unsre liebe gegen Gott solle auch nach geliebten bruders meinung der sünden menge decken/ in dem verstand/ daß sie durch den Glauben die göttliche vergebung annehme. Endlich die bruder-liebe bedecket auff angeführte weise. Hier hören wir zwahr eine re- dens-art/ aber in allen dreyen propositionibus in solchem ungleichen ver- stand/ daß in der wahrheit nichts als der fall der wort einerley ist unter drey- erley meinung. So will sich hingegen nicht wol fügen/ dem Heil. Geist. zu- zuschreiben/ daß derselbe in einer proposition unter einer phrasi dreyerley gantz unterschiedene sensus intendiret hätte. Daher ich meine klahr gnung zu seyn/ da nichts dieser difficultäten sich findet/ wo wir den gantzen spruch allein von der liebe des nechsten verstehen/ daß wir auch bey demselben allein blei- ben/ und ihn nicht weiter extendiren sollen. Würde er aber weiter extendi- ret/ möchte es nicht anders entschuldiget werden/ als per accommodatio- nem, wie man zuweilen bey einem spruch gelegenheit nimmet von einer ma- terie zu handlen/ die man bekennt nicht eigentlich in dem spruch zu stecken. Jn welcher sache man gleichwol auch sehr behutsam seyn muß. 3. Was an- langt/ ob glaube oder liebe erst bey dem menschen seye/ bekenne/ daß noch nicht davon weichen könne/ da ich jenem den vorzug gegeben. Zwahr gebe ich zu/ daß auff erkäntnüß der güte einer sache natürlich die liebe erfolge/ daß man sagen solte/ wo der erst in der bekehrung stehende mensch GOtt anfängt zuer- kennen/ daß sein wesen das höchste gut seye/ daß nothwendig alsobald eine liebe gegen denselben folgen müste. Aber ich bitte zuerwegen/ daß alle un- sre liebe nunmehr so verdorben seye/ daß sie natürlich die eigenliebe zum grun-
Das erſte Capitel. der liebe haͤtte hernehmen wollen. Das vornehmſte aber iſt dieſes/ daß unsnicht frey ſtehet/ die redens-art von deckung der ſuͤnden menge zuerklaͤhren/ wie wir wollen/ ſondern nachdem etwa bey niemand wird in zweiffel gezogen werden/ daß der Apoſtel auff den ſpruch Proverb. 10, 12. als an die verſtreute Juden ſchreibend (denen Salomonis ſchrifften bekannt waren) ſeine abſicht habe. Da zeiget ſich offenbahrlich/ weil es ein gegenſatz deſſen iſt/ was da- ſelbs ſtehet/ haß erreget hader/ daß die deckung der ſuͤnde oder uͤbertretung nichts anders ſagen wolle/ als die liebe verurſache/ daß man des nechſten feh- ler mit ſanfftmuth und gedult uͤbertrage und alſo decke/ daß man nicht deß- wegen mit demſelben zu hadern anfange/ als welches dem haß zukommt. Dieſes prædicatum nun ſchicket ſich nicht zu den uͤbrigen arten der liebe/ und alſo ſehen wir aus dem prædicato was vor ein ſubjectum gemeinet ſeye. Wolte man aber ſagen/ daß eben ſolches prædicatum auch von den andern ge- ſagt werden koͤnte/ ſo geſchiehet ſolches in ſenſu plane æquivoco, nur daß es endlich eine phraſis waͤre. Die liebe GOttes gegen uns decket der ſuͤnden menge/ das iſt/ ſie vergibet ſie aus gnaden. Unſre liebe gegen Gott ſolle auch nach geliebten bruders meinung der ſuͤnden menge decken/ in dem verſtand/ daß ſie durch den Glauben die goͤttliche vergebung annehme. Endlich die bruder-liebe bedecket auff angefuͤhrte weiſe. Hier hoͤren wir zwahr eine re- dens-art/ aber in allen dreyen propoſitionibus in ſolchem ungleichen ver- ſtand/ daß in der wahrheit nichts als der fall der wort einerley iſt unter drey- erley meinung. So will ſich hingegen nicht wol fuͤgen/ dem Heil. Geiſt. zu- zuſchreiben/ daß derſelbe in einer propoſition unter einer phraſi dreyerley gantz unterſchiedene ſenſus intendiret haͤtte. Daher ich meine klahr gnung zu ſeyn/ da nichts dieſer difficultäten ſich findet/ wo wir den gantzen ſpruch allein von der liebe des nechſten verſtehen/ daß wir auch bey demſelben allein blei- ben/ und ihn nicht weiter extendiren ſollen. Wuͤrde er aber weiter extendi- ret/ moͤchte es nicht anders entſchuldiget werden/ als per accommodatio- nem, wie man zuweilen bey einem ſpruch gelegenheit nimmet von einer ma- terie zu handlen/ die man bekennt nicht eigentlich in dem ſpruch zu ſtecken. Jn welcher ſache man gleichwol auch ſehr behutſam ſeyn muß. 3. Was an- langt/ ob glaube oder liebe erſt bey dem menſchen ſeye/ bekenne/ daß noch nicht davon weichen koͤnne/ da ich jenem den vorzug gegeben. Zwahr gebe ich zu/ daß auff erkaͤntnuͤß der guͤte einer ſache natuͤrlich die liebe erfolge/ daß man ſagen ſolte/ wo der erſt in der bekehrung ſtehende menſch GOtt anfaͤngt zuer- kennen/ daß ſein weſen das hoͤchſte gut ſeye/ daß nothwendig alſobald eine liebe gegen denſelben folgen muͤſte. Aber ich bitte zuerwegen/ daß alle un- ſre liebe nunmehr ſo verdorben ſeye/ daß ſie natuͤrlich die eigenliebe zum grun-
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Das erſte Capitel.
der liebe haͤtte hernehmen wollen. Das vornehmſte aber iſt dieſes/ daß uns
nicht frey ſtehet/ die redens-art von deckung der ſuͤnden menge zuerklaͤhren/
wie wir wollen/ ſondern nachdem etwa bey niemand wird in zweiffel gezogen
werden/ daß der Apoſtel auff den ſpruch Proverb. 10, 12. als an die verſtreute
Juden ſchreibend (denen Salomonis ſchrifften bekannt waren) ſeine abſicht
habe. Da zeiget ſich offenbahrlich/ weil es ein gegenſatz deſſen iſt/ was da-
ſelbs ſtehet/ haß erreget hader/ daß die deckung der ſuͤnde oder uͤbertretung
nichts anders ſagen wolle/ als die liebe verurſache/ daß man des nechſten feh-
ler mit ſanfftmuth und gedult uͤbertrage und alſo decke/ daß man nicht deß-
wegen mit demſelben zu hadern anfange/ als welches dem haß zukommt.
Dieſes prædicatum nun ſchicket ſich nicht zu den uͤbrigen arten der liebe/ und
alſo ſehen wir aus dem prædicato was vor ein ſubjectum gemeinet ſeye.
Wolte man aber ſagen/ daß eben ſolches prædicatum auch von den andern ge-
ſagt werden koͤnte/ ſo geſchiehet ſolches in ſenſu plane æquivoco, nur daß es
endlich eine phraſis waͤre. Die liebe GOttes gegen uns decket der ſuͤnden
menge/ das iſt/ ſie vergibet ſie aus gnaden. Unſre liebe gegen Gott ſolle auch
nach geliebten bruders meinung der ſuͤnden menge decken/ in dem verſtand/
daß ſie durch den Glauben die goͤttliche vergebung annehme. Endlich die
bruder-liebe bedecket auff angefuͤhrte weiſe. Hier hoͤren wir zwahr eine re-
dens-art/ aber in allen dreyen propoſitionibus in ſolchem ungleichen ver-
ſtand/ daß in der wahrheit nichts als der fall der wort einerley iſt unter drey-
erley meinung. So will ſich hingegen nicht wol fuͤgen/ dem Heil. Geiſt. zu-
zuſchreiben/ daß derſelbe in einer propoſition unter einer phraſi dreyerley
gantz unterſchiedene ſenſus intendiret haͤtte. Daher ich meine klahr gnung zu
ſeyn/ da nichts dieſer difficultäten ſich findet/ wo wir den gantzen ſpruch allein
von der liebe des nechſten verſtehen/ daß wir auch bey demſelben allein blei-
ben/ und ihn nicht weiter extendiren ſollen. Wuͤrde er aber weiter extendi-
ret/ moͤchte es nicht anders entſchuldiget werden/ als per accommodatio-
nem, wie man zuweilen bey einem ſpruch gelegenheit nimmet von einer ma-
terie zu handlen/ die man bekennt nicht eigentlich in dem ſpruch zu ſtecken.
Jn welcher ſache man gleichwol auch ſehr behutſam ſeyn muß. 3. Was an-
langt/ ob glaube oder liebe erſt bey dem menſchen ſeye/ bekenne/ daß noch nicht
davon weichen koͤnne/ da ich jenem den vorzug gegeben. Zwahr gebe ich zu/
daß auff erkaͤntnuͤß der guͤte einer ſache natuͤrlich die liebe erfolge/ daß man
ſagen ſolte/ wo der erſt in der bekehrung ſtehende menſch GOtt anfaͤngt zuer-
kennen/ daß ſein weſen das hoͤchſte gut ſeye/ daß nothwendig alſobald eine
liebe gegen denſelben folgen muͤſte. Aber ich bitte zuerwegen/ daß alle un-
ſre liebe nunmehr ſo verdorben ſeye/ daß ſie natuͤrlich die eigenliebe zum
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