Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.SECTIO VII. menschen gewircket wird/ und glaubet der mensch nicht so wol deswegen/ weiler GOtt bereits liebet/ sondern daher fängt er an GOtt zu lieben/ weiln er an ihn zu glauben und ein hertzliches vertrauen zu ihm zu fassen angefangen hat. Dahingegen als lang der mensch seinen GOtt noch ausser glauben an- sihet/ als einen strengen und erzürnten richter/ er ihn nicht lieben kan/ son- dern sich bey ihm vielmehr ein haß gegen denselben findet/ den der glaube erst wegnimmt. Daher mögen wir wol den glauben der liebe krafft/ nicht a- ber die liebe des glaubens leben nennen/ als welches er in sich selbs bereits hat/ weil er selbs eine kräfftige wirckung des lebendigen Geistes aus dem le- bendigen wort ist/ und also seine ihm eigne krafft/ sonderlich mit welcher er die gerechtigkeit JEsu Christi ergreifft/ nicht aus der liebe sondern aus sich und der wirckung des Geistes hat. Daher nicht eigentlich/ und wo die wor- te stricte und scharff genommen werden/ der liebe beygeleget werden kan/ daß sie/ ob wol durch die glaubens-hand/ die sünde bedecke/ indem solches werck in der schrifft von Paulo dem glauben in gegensatz gegen alle wercke/ dazu auch der glaubige in Christo JEsu geschaffen ist/ und also auch gegen die liebe/ zu- geeignet wird/ daher er nicht als das werckzeug der liebe/ durch welche diesel- be uns rechtfertigte/ (dann dieses wäre es gleichwol/ wo sie die sünde vor GOttes gericht deckete) angesehen oder genennet werden darff. 3. Wo man aber den nahmen der liebe weiter ausdähnen und also rechnen will/ wie er insgesamt/ sonderlich wo wir von der liebe gegen GOtt reden/ alle pflichten gegen GOtt in sich fasset/ als welche nach der summa in demjenigen begrief- fen werden/ du solt GOtt deinen HErrn lieben von gantzem hertzen/ von gantzer seelen und von allen kräfften/ so ist nicht ohn/ daß alsdann der glaube/ wie er eine tugend ist/ auch mit in der liebe allgemeinen concept stecket/ wie auch deswegen unser Lutherus/ was unter solchem allgemeinen gebot der liebe befohlen wird/ in der erklährung des ersten gebots erklähret: Wir sollen GOtt über alle dinge fürchten/ lieben und vertrauen/ zu welchem letztern ohne wiederspruch der glaube gehöret/ und so möchte man dann/ wo die liebe die gantze wirckung des Heil. Geistes in der seele eines kin- des Gottes/ wie dieselbe sich gegen Gott erstrecket/ bedeutet/ einigerley mas- sen sagen/ daß diese liebe/ nemlich nach dero absonderlichen stück/ wie sie viel- mehr von GOtt etwas annimmet/ und also so fern sich gegen ihn neiget/ das ist in dem glauben/ also nachdem sie eigentlich die liebe heisset/ die sünde decke. Aber wir werden in der schrifft/ wo sie eigentlich in sede propria von dieser materie redet/ solches wort in solchem allgemeinem verstand nicht leicht fin- den/ sondern immer also/ daß sie vielmehr dem glauben entgegen gesetzt und contradistinguiret werde/ als denselben in sich begreiffe. Auch ist um dieser ursache willen so viel weniger also zureden/ daß die liebe durch die glaubens- hand C 2
SECTIO VII. menſchen gewircket wird/ und glaubet der menſch nicht ſo wol deswegen/ weiler GOtt bereits liebet/ ſondern daher faͤngt er an GOtt zu lieben/ weiln er an ihn zu glauben und ein hertzliches vertrauen zu ihm zu faſſen angefangen hat. Dahingegen als lang der menſch ſeinen GOtt noch auſſer glauben an- ſihet/ als einen ſtrengen und erzuͤrnten richter/ er ihn nicht lieben kan/ ſon- dern ſich bey ihm vielmehr ein haß gegen denſelben findet/ den der glaube erſt wegnimmt. Daher moͤgen wir wol den glauben der liebe krafft/ nicht a- ber die liebe des glaubens leben nennen/ als welches er in ſich ſelbs bereits hat/ weil er ſelbs eine kraͤfftige wirckung des lebendigen Geiſtes aus dem le- bendigen wort iſt/ und alſo ſeine ihm eigne krafft/ ſonderlich mit welcher er die gerechtigkeit JEſu Chriſti ergreifft/ nicht aus der liebe ſondern aus ſich und der wirckung des Geiſtes hat. Daher nicht eigentlich/ und wo die wor- te ſtricte und ſcharff genommen werden/ der liebe beygeleget werden kan/ daß ſie/ ob wol durch die glaubens-hand/ die ſuͤnde bedecke/ indem ſolches werck in der ſchrifft von Paulo dem glauben in gegenſatz gegen alle wercke/ dazu auch der glaubige in Chriſto JEſu geſchaffen iſt/ und alſo auch gegen die liebe/ zu- geeignet wird/ daher er nicht als das werckzeug der liebe/ durch welche dieſel- be uns rechtfertigte/ (dann dieſes waͤre es gleichwol/ wo ſie die ſuͤnde vor GOttes gericht deckete) angeſehen oder genennet werden darff. 3. Wo man aber den nahmen der liebe weiter ausdaͤhnen und alſo rechnen will/ wie er insgeſamt/ ſonderlich wo wir von der liebe gegen GOtt reden/ alle pflichten gegen GOtt in ſich faſſet/ als welche nach der ſumma in demjenigen begrief- fen werden/ du ſolt GOtt deinen HErrn lieben von gantzem hertzen/ von gantzer ſeelen und von allen kraͤfften/ ſo iſt nicht ohn/ daß alsdann der glaube/ wie er eine tugend iſt/ auch mit in der liebe allgemeinen concept ſtecket/ wie auch deswegen unſer Lutherus/ was unter ſolchem allgemeinen gebot der liebe befohlen wird/ in der erklaͤhrung des erſten gebots erklaͤhret: Wir ſollen GOtt uͤber alle dinge fuͤrchten/ lieben und vertrauen/ zu welchem letztern ohne wiederſpruch der glaube gehoͤret/ und ſo moͤchte man dann/ wo die liebe die gantze wirckung des Heil. Geiſtes in der ſeele eines kin- des Gottes/ wie dieſelbe ſich gegen Gott erſtrecket/ bedeutet/ einigerley maſ- ſen ſagen/ daß dieſe liebe/ nemlich nach dero abſonderlichen ſtuͤck/ wie ſie viel- mehr von GOtt etwas annimmet/ und alſo ſo fern ſich gegen ihn neiget/ das iſt in dem glauben/ alſo nachdem ſie eigentlich die liebe heiſſet/ die ſuͤnde decke. Aber wir werden in der ſchrifft/ wo ſie eigentlich in ſede propria von dieſer materie redet/ ſolches wort in ſolchem allgemeinem verſtand nicht leicht fin- den/ ſondern immer alſo/ daß ſie vielmehr dem glauben entgegen geſetzt und contradiſtinguiret werde/ als denſelben in ſich begreiffe. Auch iſt um dieſer urſache willen ſo viel weniger alſo zureden/ daß die liebe durch die glaubens- hand C 2
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SECTIO VII.
menſchen gewircket wird/ und glaubet der menſch nicht ſo wol deswegen/ weil
er GOtt bereits liebet/ ſondern daher faͤngt er an GOtt zu lieben/ weiln er
an ihn zu glauben und ein hertzliches vertrauen zu ihm zu faſſen angefangen
hat. Dahingegen als lang der menſch ſeinen GOtt noch auſſer glauben an-
ſihet/ als einen ſtrengen und erzuͤrnten richter/ er ihn nicht lieben kan/ ſon-
dern ſich bey ihm vielmehr ein haß gegen denſelben findet/ den der glaube
erſt wegnimmt. Daher moͤgen wir wol den glauben der liebe krafft/ nicht a-
ber die liebe des glaubens leben nennen/ als welches er in ſich ſelbs bereits
hat/ weil er ſelbs eine kraͤfftige wirckung des lebendigen Geiſtes aus dem le-
bendigen wort iſt/ und alſo ſeine ihm eigne krafft/ ſonderlich mit welcher er
die gerechtigkeit JEſu Chriſti ergreifft/ nicht aus der liebe ſondern aus ſich
und der wirckung des Geiſtes hat. Daher nicht eigentlich/ und wo die wor-
te ſtricte und ſcharff genommen werden/ der liebe beygeleget werden kan/ daß
ſie/ ob wol durch die glaubens-hand/ die ſuͤnde bedecke/ indem ſolches werck in
der ſchrifft von Paulo dem glauben in gegenſatz gegen alle wercke/ dazu auch
der glaubige in Chriſto JEſu geſchaffen iſt/ und alſo auch gegen die liebe/ zu-
geeignet wird/ daher er nicht als das werckzeug der liebe/ durch welche dieſel-
be uns rechtfertigte/ (dann dieſes waͤre es gleichwol/ wo ſie die ſuͤnde vor
GOttes gericht deckete) angeſehen oder genennet werden darff. 3. Wo man
aber den nahmen der liebe weiter ausdaͤhnen und alſo rechnen will/ wie er
insgeſamt/ ſonderlich wo wir von der liebe gegen GOtt reden/ alle pflichten
gegen GOtt in ſich faſſet/ als welche nach der ſumma in demjenigen begrief-
fen werden/ du ſolt GOtt deinen HErrn lieben von gantzem hertzen/
von gantzer ſeelen und von allen kraͤfften/ ſo iſt nicht ohn/ daß alsdann
der glaube/ wie er eine tugend iſt/ auch mit in der liebe allgemeinen concept
ſtecket/ wie auch deswegen unſer Lutherus/ was unter ſolchem allgemeinen
gebot der liebe befohlen wird/ in der erklaͤhrung des erſten gebots erklaͤhret:
Wir ſollen GOtt uͤber alle dinge fuͤrchten/ lieben und vertrauen/
zu welchem letztern ohne wiederſpruch der glaube gehoͤret/ und ſo moͤchte man
dann/ wo die liebe die gantze wirckung des Heil. Geiſtes in der ſeele eines kin-
des Gottes/ wie dieſelbe ſich gegen Gott erſtrecket/ bedeutet/ einigerley maſ-
ſen ſagen/ daß dieſe liebe/ nemlich nach dero abſonderlichen ſtuͤck/ wie ſie viel-
mehr von GOtt etwas annimmet/ und alſo ſo fern ſich gegen ihn neiget/ das
iſt in dem glauben/ alſo nachdem ſie eigentlich die liebe heiſſet/ die ſuͤnde decke.
Aber wir werden in der ſchrifft/ wo ſie eigentlich in ſede propria von dieſer
materie redet/ ſolches wort in ſolchem allgemeinem verſtand nicht leicht fin-
den/ ſondern immer alſo/ daß ſie vielmehr dem glauben entgegen geſetzt und
contradiſtinguiret werde/ als denſelben in ſich begreiffe. Auch iſt um dieſer
urſache willen ſo viel weniger alſo zureden/ daß die liebe durch die glaubens-
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