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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
wircke ihn selbs in uns/ als ohne welches wir mit allem/ was wir thun wol-
ten/ vergebens seyn würden. Dieses/ geliebter freund/ ists/ was aus gele-
genheit des mir angenehmen briefes habe wieder antworten wollen: so ich
nicht zweifle/ daß derselbe in liebe auffnehmen/ und daraus meinen sinn bes-
ser einsehen werde. Der HErr aber/ der es alleine kan/ vereinige aller derer/
die nach ihm verlangen/ hertzen zu einem sinn in Christo JEsu/ erleuchte al-
les/ wo noch finsternüß ist mit seinem liecht/ und lasse die liebe neben der wahr-
heit unsers gantzen lebens meisterin seyn. Wormit in die ewige liebe dessen
der die liebe selbs ist zu völliger erkäntnüß der wahrheit und gleichförmigkeit
seines willens empfehlende. 1690.

SECTIO LV.
Ob Lutherus auch auff die wercke gnug treibe.

DAß GOtt mein büchlein von Natur und Gnade zu dessen erbauung
gesegnet/ dancke ich billig der himmlischen güte/ mit bitte die arbeit de-
ro armen knechts noch zu andrer seelen auffmunterung und stärckung
fruchtbar werden zu lassen. Den scrupel wegen unsers lieben Lutheri anlan-
gend/ halte ich unschwehr denselben wegzunehmen: wo man sonderlich nur die-
se beyde stücke in acht nimmet/ einmal/ daß die gaben GOttes in einem dessen
werckzeug als in dem andern unterschiedlich/ so dann dieselbige gemeiniglich
mit grosser weißheit unter dieselbige meistens nach erforderung zeit und or-
tes von dem geist GOttes ausgetheilet sind. Was nun unsern Lutherum
anlangt/ hatte der theure mann zwahr auch in andern stücken ein grosses
maaß der gnaden/ die haupt-gabe aber war diese/ daß von der Apostel zeit an
schwehrlich einer gewesen/ welcher in hellerm liecht die lehr von der seligma-
chenden krafft des glaubens/ wie wir allein aus demselben/ und also der blos-
sen göttlichen gnade ohne vermischung der wercke gerecht werden müsten/ er-
kant/ und mit treflicherm nachtruck zu treiben begabt gewesen wäre. Die
ursach dessen mag gewesen seyn/ weil ihn GOtt zu der besserung seiner kirchen
zu einer solchen zeit beruffen hatte/ da solche lehr von dem glauben fast gantz
erloschen/ und die gewissen von guter zeit meistens an die wercke gewiesen wa-
ren worden. Also fand er vor sich keine rohe sichere leute/ daß die haupt-ab-
sicht auff die dämpffung der sicherheit hätte müssen gerichtet werden/ sondern
grossen theils personen/ welche nach dem Evangelischen trost hungrig/ und
durch die lehr der werck lang genung geängstet worden waren: welchen also
eine gute zeitlang gleichsam allein das Evangelium nöthig gewest ist/ indem
die lehre der werck ihnen zimlich bekant/ hingegen weil man dieselbe in das
werck der rechtfertigung einzuschieben sich sehr lang bemühet/ dieser irr-

thum

Das erſte Capitel.
wircke ihn ſelbs in uns/ als ohne welches wir mit allem/ was wir thun wol-
ten/ vergebens ſeyn wuͤrden. Dieſes/ geliebter freund/ iſts/ was aus gele-
genheit des mir angenehmen briefes habe wieder antworten wollen: ſo ich
nicht zweifle/ daß derſelbe in liebe auffnehmen/ und daraus meinen ſinn beſ-
ſer einſehen werde. Der HErr aber/ der es alleine kan/ vereinige aller derer/
die nach ihm verlangen/ hertzen zu einem ſinn in Chriſto JEſu/ erleuchte al-
les/ wo noch finſternuͤß iſt mit ſeinem liecht/ und laſſe die liebe neben der wahr-
heit unſers gantzen lebens meiſterin ſeyn. Wormit in die ewige liebe deſſen
der die liebe ſelbs iſt zu voͤlliger erkaͤntnuͤß der wahrheit und gleichfoͤrmigkeit
ſeines willens empfehlende. 1690.

SECTIO LV.
Ob Lutherus auch auff die wercke gnug treibe.

DAß GOtt mein buͤchlein von Natur und Gnade zu deſſen erbauung
geſegnet/ dancke ich billig der himmliſchen guͤte/ mit bitte die arbeit de-
ro armen knechts noch zu andrer ſeelen auffmunterung und ſtaͤrckung
fruchtbar werden zu laſſen. Den ſcrupel wegen unſers lieben Lutheri anlan-
gend/ halte ich unſchwehr denſelben wegzunehmen: wo man ſonderlich nuꝛ die-
ſe beyde ſtuͤcke in acht nimmet/ einmal/ daß die gaben GOttes in einem deſſen
werckzeug als in dem andern unterſchiedlich/ ſo dann dieſelbige gemeiniglich
mit groſſer weißheit unter dieſelbige meiſtens nach erforderung zeit und or-
tes von dem geiſt GOttes ausgetheilet ſind. Was nun unſern Lutherum
anlangt/ hatte der theure mann zwahr auch in andern ſtuͤcken ein groſſes
maaß der gnaden/ die haupt-gabe aber war dieſe/ daß von der Apoſtel zeit an
ſchwehrlich einer geweſen/ welcher in hellerm liecht die lehr von der ſeligma-
chenden krafft des glaubens/ wie wir allein aus demſelben/ und alſo der bloſ-
ſen goͤttlichen gnade ohne vermiſchung der wercke gerecht werden muͤſten/ er-
kant/ und mit treflicherm nachtruck zu treiben begabt geweſen waͤre. Die
urſach deſſen mag geweſen ſeyn/ weil ihn GOtt zu der beſſerung ſeiner kirchen
zu einer ſolchen zeit beruffen hatte/ da ſolche lehr von dem glauben faſt gantz
erloſchen/ und die gewiſſen von guter zeit meiſtens an die wercke gewieſen wa-
ren worden. Alſo fand er vor ſich keine rohe ſichere leute/ daß die haupt-ab-
ſicht auff die daͤmpffung der ſicherheit haͤtte muͤſſen gerichtet werden/ ſondern
groſſen theils perſonen/ welche nach dem Evangeliſchen troſt hungrig/ und
durch die lehr der werck lang genung geaͤngſtet worden waren: welchen alſo
eine gute zeitlang gleichſam allein das Evangelium noͤthig geweſt iſt/ indem
die lehre der werck ihnen zimlich bekant/ hingegen weil man dieſelbe in das
werck der rechtfertigung einzuſchieben ſich ſehr lang bemuͤhet/ dieſer irr-

thum
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[258/0274] Das erſte Capitel. wircke ihn ſelbs in uns/ als ohne welches wir mit allem/ was wir thun wol- ten/ vergebens ſeyn wuͤrden. Dieſes/ geliebter freund/ iſts/ was aus gele- genheit des mir angenehmen briefes habe wieder antworten wollen: ſo ich nicht zweifle/ daß derſelbe in liebe auffnehmen/ und daraus meinen ſinn beſ- ſer einſehen werde. Der HErr aber/ der es alleine kan/ vereinige aller derer/ die nach ihm verlangen/ hertzen zu einem ſinn in Chriſto JEſu/ erleuchte al- les/ wo noch finſternuͤß iſt mit ſeinem liecht/ und laſſe die liebe neben der wahr- heit unſers gantzen lebens meiſterin ſeyn. Wormit in die ewige liebe deſſen der die liebe ſelbs iſt zu voͤlliger erkaͤntnuͤß der wahrheit und gleichfoͤrmigkeit ſeines willens empfehlende. 1690. SECTIO LV. Ob Lutherus auch auff die wercke gnug treibe. DAß GOtt mein buͤchlein von Natur und Gnade zu deſſen erbauung geſegnet/ dancke ich billig der himmliſchen guͤte/ mit bitte die arbeit de- ro armen knechts noch zu andrer ſeelen auffmunterung und ſtaͤrckung fruchtbar werden zu laſſen. Den ſcrupel wegen unſers lieben Lutheri anlan- gend/ halte ich unſchwehr denſelben wegzunehmen: wo man ſonderlich nuꝛ die- ſe beyde ſtuͤcke in acht nimmet/ einmal/ daß die gaben GOttes in einem deſſen werckzeug als in dem andern unterſchiedlich/ ſo dann dieſelbige gemeiniglich mit groſſer weißheit unter dieſelbige meiſtens nach erforderung zeit und or- tes von dem geiſt GOttes ausgetheilet ſind. Was nun unſern Lutherum anlangt/ hatte der theure mann zwahr auch in andern ſtuͤcken ein groſſes maaß der gnaden/ die haupt-gabe aber war dieſe/ daß von der Apoſtel zeit an ſchwehrlich einer geweſen/ welcher in hellerm liecht die lehr von der ſeligma- chenden krafft des glaubens/ wie wir allein aus demſelben/ und alſo der bloſ- ſen goͤttlichen gnade ohne vermiſchung der wercke gerecht werden muͤſten/ er- kant/ und mit treflicherm nachtruck zu treiben begabt geweſen waͤre. Die urſach deſſen mag geweſen ſeyn/ weil ihn GOtt zu der beſſerung ſeiner kirchen zu einer ſolchen zeit beruffen hatte/ da ſolche lehr von dem glauben faſt gantz erloſchen/ und die gewiſſen von guter zeit meiſtens an die wercke gewieſen wa- ren worden. Alſo fand er vor ſich keine rohe ſichere leute/ daß die haupt-ab- ſicht auff die daͤmpffung der ſicherheit haͤtte muͤſſen gerichtet werden/ ſondern groſſen theils perſonen/ welche nach dem Evangeliſchen troſt hungrig/ und durch die lehr der werck lang genung geaͤngſtet worden waren: welchen alſo eine gute zeitlang gleichſam allein das Evangelium noͤthig geweſt iſt/ indem die lehre der werck ihnen zimlich bekant/ hingegen weil man dieſelbe in das werck der rechtfertigung einzuſchieben ſich ſehr lang bemuͤhet/ dieſer irr- thum

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/274>, abgerufen am 18.12.2024.