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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
sind des Heiligen Geistes/ den wir folglich von der tauff oder bad durchaus
nicht trennen dörffen. Also auch wo die wiedergebuhrt geschihet/ so muß ja
ein kind GOttes werden/ ein kind GOttes aber kan nicht ohne glauben (ob
wol dessen liecht nach unterscheid der subjectorum auch in zimlichem unter-
scheid stehet/ dannoch alles einer art ist) auch nur gedacht werden. Wann
also in der wiedergebuhrt der tauff weder glaub noch H. Geist wäre/ so wäre
es auch in der that keine wiedergebuhrt. Was nun die vorgebildete andre
wiedergebuhrt aus dem wort anlangt/ mache ich einen unterscheid unter de-
nen/ bey welchen noch die göttliche gnade und neue natur/ so in der tauff ge-
wircket worden/ geblieben/ und bey welchen solche gantz wieder verlohren
worden ist. Was diese letztere anlangt/ so ists wahr/ daß bey denselben eine
neue wiedergebuhrt wahrhafftig geschihet durch das wort des Evangelii/ es
wird das wieder ausgelöschte liecht des glaubens auffs neue angezündet/ die
vergebung der sünden wiederhohlet/ und abermal ein neuer mensch geschaf-
fen/ oder so zu reden der vorige wieder aufferwecket. Was aber jene betrifft
so hat keine neue wiedergebuhrt platz/ sondern alle göttliche wirckung in den-
selben gehet mit der erneuerung um. Also obschon das liecht des glaubens
in der seelen auch des kleinen kindes/ ob wol ihm unempfindlich (aus mangel
der reflexion, wie etwas dergleichen bey einem schlaffenden oder ohnmächti-
gen sich findet) und andern unerkantlich/ verhanden gewesen (aber so zu re-
den nach Lutheri redens-art T. I. Alt. f. 758. b. in dem höchsten theil oder krafft
der seelen/ die er den geist oder das allerheiligste nennet/ da GOtt und der
glaube wohnet/ ohne daß wegen natürlicher unfähigkeit solches noch nicht in
die untere krafft/ so eigentlich die seele oder das heilige bey ihm heisset/ aus-
strahlen hätte können) bedarff dasselbe doch/ wo es an jahren wächset/ und die
wirckungen der seelen sich mehr zu regen anfangen/ daß man ihm das göttliche
wort vortrage/ und es dasselbige fasse; da scheinet zwahr/ daß der glaube erst
anfange: Es war aber dessen liecht in dem geist verborgen schon da gewest/
und entzündet sich nur durch die betrachtung des Evangelii in göttlicher wir-
ckung/ auch in diejenige krafft der seelen/ da sie nun selbs mit wircket/ und ih-
re wirckungen von ihr selbs und andern wahrgenommen werden können. So
ist auch der mensch so bald eine wohnung GOTTES und seines
Geistes/ als er denselben zum kind gezeuget/ und den glauben in
ihm gewircket hat; ob wol jemehr gleichsam der tempel gereiniget und aus-
geziehret/ also bequemer gemacht/ solche einwohnung GOTTES
und vereinigung inniglicher/ fester/ empfindlicher/ kantbarer und fruchtba-
rer wird: daß wie man den ersten anfang des glaubens gegen dessen zustand/
wie er nach der zeit bey dem menschen wird/ kaum vor einen wahren glauben

hal-

Das erſte Capitel.
ſind des Heiligen Geiſtes/ den wir folglich von der tauff oder bad durchaus
nicht trennen doͤrffen. Alſo auch wo die wiedergebuhrt geſchihet/ ſo muß ja
ein kind GOttes werden/ ein kind GOttes aber kan nicht ohne glauben (ob
wol deſſen liecht nach unterſcheid der ſubjectorum auch in zimlichem unter-
ſcheid ſtehet/ dannoch alles einer art iſt) auch nur gedacht werden. Wann
alſo in der wiedergebuhrt der tauff weder glaub noch H. Geiſt waͤre/ ſo waͤre
es auch in der that keine wiedergebuhrt. Was nun die vorgebildete andre
wiedergebuhrt aus dem wort anlangt/ mache ich einen unterſcheid unter de-
nen/ bey welchen noch die goͤttliche gnade und neue natur/ ſo in der tauff ge-
wircket worden/ geblieben/ und bey welchen ſolche gantz wieder verlohren
worden iſt. Was dieſe letztere anlangt/ ſo iſts wahr/ daß bey denſelben eine
neue wiedergebuhrt wahrhafftig geſchihet durch das wort des Evangelii/ es
wird das wieder ausgeloͤſchte liecht des glaubens auffs neue angezuͤndet/ die
vergebung der ſuͤnden wiederhohlet/ und abermal ein neuer menſch geſchaf-
fen/ oder ſo zu reden der vorige wieder aufferwecket. Was aber jene betrifft
ſo hat keine neue wiedergebuhrt platz/ ſondern alle goͤttliche wirckung in den-
ſelben gehet mit der erneuerung um. Alſo obſchon das liecht des glaubens
in der ſeelen auch des kleinen kindes/ ob wol ihm unempfindlich (aus mangel
der reflexion, wie etwas dergleichen bey einem ſchlaffenden oder ohnmaͤchti-
gen ſich findet) und andern unerkantlich/ verhanden geweſen (aber ſo zu re-
den nach Lutheri redens-art T. I. Alt. f. 758. b. in dem hoͤchſten theil oder krafft
der ſeelen/ die er den geiſt oder das allerheiligſte nennet/ da GOtt und der
glaube wohnet/ ohne daß wegen natuͤrlicher unfaͤhigkeit ſolches noch nicht in
die untere krafft/ ſo eigentlich die ſeele oder das heilige bey ihm heiſſet/ aus-
ſtrahlen haͤtte koͤnnen) bedarff daſſelbe doch/ wo es an jahren waͤchſet/ und die
wiꝛckungen der ſeelen ſich mehr zu regen anfangen/ daß man ihm das goͤttliche
wort vortrage/ und es daſſelbige faſſe; da ſcheinet zwahr/ daß der glaube erſt
anfange: Es war aber deſſen liecht in dem geiſt verborgen ſchon da geweſt/
und entzuͤndet ſich nur durch die betrachtung des Evangelii in goͤttlicher wir-
ckung/ auch in diejenige krafft der ſeelen/ da ſie nun ſelbs mit wircket/ und ih-
re wirckungen von ihr ſelbs und andern wahrgenommen werden koͤnnen. So
iſt auch der menſch ſo bald eine wohnung GOTTES und ſeines
Geiſtes/ als er denſelben zum kind gezeuget/ und den glauben in
ihm gewircket hat; ob wol jemehr gleichſam der tempel gereiniget und aus-
geziehret/ alſo bequemer gemacht/ ſolche einwohnung GOTTES
und vereinigung inniglicher/ feſter/ empfindlicher/ kantbarer und fruchtba-
rer wird: daß wie man den erſten anfang des glaubens gegen deſſen zuſtand/
wie er nach der zeit bey dem menſchen wird/ kaum vor einen wahren glauben

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[180/0196] Das erſte Capitel. ſind des Heiligen Geiſtes/ den wir folglich von der tauff oder bad durchaus nicht trennen doͤrffen. Alſo auch wo die wiedergebuhrt geſchihet/ ſo muß ja ein kind GOttes werden/ ein kind GOttes aber kan nicht ohne glauben (ob wol deſſen liecht nach unterſcheid der ſubjectorum auch in zimlichem unter- ſcheid ſtehet/ dannoch alles einer art iſt) auch nur gedacht werden. Wann alſo in der wiedergebuhrt der tauff weder glaub noch H. Geiſt waͤre/ ſo waͤre es auch in der that keine wiedergebuhrt. Was nun die vorgebildete andre wiedergebuhrt aus dem wort anlangt/ mache ich einen unterſcheid unter de- nen/ bey welchen noch die goͤttliche gnade und neue natur/ ſo in der tauff ge- wircket worden/ geblieben/ und bey welchen ſolche gantz wieder verlohren worden iſt. Was dieſe letztere anlangt/ ſo iſts wahr/ daß bey denſelben eine neue wiedergebuhrt wahrhafftig geſchihet durch das wort des Evangelii/ es wird das wieder ausgeloͤſchte liecht des glaubens auffs neue angezuͤndet/ die vergebung der ſuͤnden wiederhohlet/ und abermal ein neuer menſch geſchaf- fen/ oder ſo zu reden der vorige wieder aufferwecket. Was aber jene betrifft ſo hat keine neue wiedergebuhrt platz/ ſondern alle goͤttliche wirckung in den- ſelben gehet mit der erneuerung um. Alſo obſchon das liecht des glaubens in der ſeelen auch des kleinen kindes/ ob wol ihm unempfindlich (aus mangel der reflexion, wie etwas dergleichen bey einem ſchlaffenden oder ohnmaͤchti- gen ſich findet) und andern unerkantlich/ verhanden geweſen (aber ſo zu re- den nach Lutheri redens-art T. I. Alt. f. 758. b. in dem hoͤchſten theil oder krafft der ſeelen/ die er den geiſt oder das allerheiligſte nennet/ da GOtt und der glaube wohnet/ ohne daß wegen natuͤrlicher unfaͤhigkeit ſolches noch nicht in die untere krafft/ ſo eigentlich die ſeele oder das heilige bey ihm heiſſet/ aus- ſtrahlen haͤtte koͤnnen) bedarff daſſelbe doch/ wo es an jahren waͤchſet/ und die wiꝛckungen der ſeelen ſich mehr zu regen anfangen/ daß man ihm das goͤttliche wort vortrage/ und es daſſelbige faſſe; da ſcheinet zwahr/ daß der glaube erſt anfange: Es war aber deſſen liecht in dem geiſt verborgen ſchon da geweſt/ und entzuͤndet ſich nur durch die betrachtung des Evangelii in goͤttlicher wir- ckung/ auch in diejenige krafft der ſeelen/ da ſie nun ſelbs mit wircket/ und ih- re wirckungen von ihr ſelbs und andern wahrgenommen werden koͤnnen. So iſt auch der menſch ſo bald eine wohnung GOTTES und ſeines Geiſtes/ als er denſelben zum kind gezeuget/ und den glauben in ihm gewircket hat; ob wol jemehr gleichſam der tempel gereiniget und aus- geziehret/ alſo bequemer gemacht/ ſolche einwohnung GOTTES und vereinigung inniglicher/ feſter/ empfindlicher/ kantbarer und fruchtba- rer wird: daß wie man den erſten anfang des glaubens gegen deſſen zuſtand/ wie er nach der zeit bey dem menſchen wird/ kaum vor einen wahren glauben hal-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/196>, abgerufen am 21.11.2024.