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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XV.
53/ 5. 6. und zwahr alle straffen auff sich genommen hat/ so hat er auch
vor alle gnug gethan. Wie kan denn vor die jenige sünden/ davor der HErr
gnug gethan hat/ nochmahlige gnugthuung erfordert werden? 3. Wider
die wahrheit der göttlichen vergebung/ durch die GOtt bezeugen lässt/ daß
er die sünde von seinem angesicht hinwegthue/ und sie in die tieffe des meers
werffe. Wie solte er sie dann wieder in das gericht führen/ um derselben wil-
len nochmal zeitliche straffen auffzulegen? Wie man in der welt nicht davor
halten würde/ daß solches eine völlige vergebung gewesen wäre. Also fäl-
let der haupt-grund des gantzen fegefeuers: Dann der mensch ist entweder
gestorben mit vergebung der sünden/ oder daß ihm die sünde noch behalten
geblieben: in diesem letzten fall gehöret er nach ihrem eignen bekäntnüß in die
hölle/ ist aber das erste/ so kan die göttliche gerechtigkeit ihn nicht mehr
straffen/ weil der mensch mit GOtt versöhnet ist/ es bedarff auch keiner
züchtigung bey ihm/ weder zu seiner noch anderer besserung/ als die in jenem
leben nicht statt hat.

2. Das andre argument nimmt P. Dez von dem gebet vor die tod-
te.
Und 1. praesupponiret er aus Apol. Aug. Conf. daß wirs nicht mit
Aerio in verwerffung desgebets vor die verstorbene halten. 2. Schliesset er/
daß wir denn folglich auch das fegfeuer zu geben müssen. Von beyden stü-
cken ist zu sehen/ was es damit vor eine bewandnüß habe. 1. verwerffen un-
sre kirchen die gebete vor die verstorbene nicht/ sondern wir behalten dieselbi-
ge/ wenn wir nicht nur in leichen-predigten/ sondern auch sonsten ihnen
eine sanffte ruhe/ die ewige freude und eine fröliche aufferstehung wünschen/
und also bitten: Womit wir aber nichts weniger als was die Papisten dar-
aus schliessen/ meinen oder intendiren. Daher 2. ist zu mercken/ daß nicht
aus allem gebet vor die todte das fegefeuer zu erweisen seye. 1. Weil die al-
te in den gebeten vor die verstorbene unterschiedlich auch vor die Apostel
und Märtyrer gebeten haben/ die sie nicht zweiffelten in dem himmel zu seyn/
wie die lyturgia Chrysostomi weiset. Daher solche ihre gebete gantz andre
absichten gehabt/ als wohin sie nunmehr in dem Pabstum gezogen werden
wollen/ wie die unsrige hin und wieder gewiesen. 2. Die Grichen nehmen
das fegfeuer noch itzo nicht an/ und beten dannoch vor die verstorbene: daß
also wiedrum von dem einen auff das andere nicht gefolget werden darff. 3.
Bekennet man von Papistischer seite selbs/ und muß es bekennen/ daß man
offt etwas bete/ so man weiß/ daß auch ohne unser gebet geschehen ist oder ge-
schihet/ und dannoch solches gebet nicht unnützlich ist. Also wo wir vor die
todten/ dero seligkeit/ und fröliche aufferstehung bitten/ folgets nicht/ daß sie
nicht in dem stande der seligkeit seyen/ und gewiß zur herrlichkeit aufferstehen
werden/ sondern wir bitten ihnen dasselbige/ was uns göttliche wahrheit in

ih-
S 2

SECTIO XV.
53/ 5. 6. und zwahr alle ſtraffen auff ſich genommen hat/ ſo hat er auch
vor alle gnug gethan. Wie kan denn vor die jenige ſuͤnden/ davor der HErr
gnug gethan hat/ nochmahlige gnugthuung erfordert werden? 3. Wider
die wahrheit der goͤttlichen vergebung/ durch die GOtt bezeugen laͤſſt/ daß
er die ſuͤnde von ſeinem angeſicht hinwegthue/ und ſie in die tieffe des meers
werffe. Wie ſolte er ſie dann wieder in das gericht fuͤhren/ um derſelben wil-
len nochmal zeitliche ſtraffen auffzulegen? Wie man in der welt nicht davor
halten wuͤrde/ daß ſolches eine voͤllige vergebung geweſen waͤre. Alſo faͤl-
let der haupt-grund des gantzen fegefeuers: Dann der menſch iſt entweder
geſtorben mit vergebung der ſuͤnden/ oder daß ihm die ſuͤnde noch behalten
geblieben: in dieſem letzten fall gehoͤret er nach ihrem eignen bekaͤntnuͤß in die
hoͤlle/ iſt aber das erſte/ ſo kan die goͤttliche gerechtigkeit ihn nicht mehr
ſtraffen/ weil der menſch mit GOtt verſoͤhnet iſt/ es bedarff auch keiner
zuͤchtigung bey ihm/ weder zu ſeiner noch anderer beſſerung/ als die in jenem
leben nicht ſtatt hat.

2. Das andre argument nimmt P. Dez von dem gebet vor die tod-
te.
Und 1. præſupponiret er aus Apol. Aug. Conf. daß wirs nicht mit
Aërio in verwerffung desgebets vor die verſtorbene halten. 2. Schlieſſet er/
daß wir denn folglich auch das fegfeuer zu geben muͤſſen. Von beyden ſtuͤ-
cken iſt zu ſehen/ was es damit vor eine bewandnuͤß habe. 1. verwerffen un-
ſre kirchen die gebete vor die verſtorbene nicht/ ſondern wir behalten dieſelbi-
ge/ wenn wir nicht nur in leichen-predigten/ ſondern auch ſonſten ihnen
eine ſanffte ruhe/ die ewige freude und eine froͤliche aufferſtehung wuͤnſchen/
und alſo bitten: Womit wir aber nichts weniger als was die Papiſten dar-
aus ſchlieſſen/ meinen oder intendiren. Daher 2. iſt zu mercken/ daß nicht
aus allem gebet vor die todte das fegefeuer zu erweiſen ſeye. 1. Weil die al-
te in den gebeten vor die verſtorbene unterſchiedlich auch vor die Apoſtel
und Maͤrtyrer gebeten haben/ die ſie nicht zweiffelten in dem himmel zu ſeyn/
wie die lyturgia Chryſoſtomi weiſet. Daher ſolche ihre gebete gantz andre
abſichten gehabt/ als wohin ſie nunmehr in dem Pabſtum gezogen werden
wollen/ wie die unſrige hin und wieder gewieſen. 2. Die Grichen nehmen
das fegfeuer noch itzo nicht an/ und beten dannoch vor die verſtorbene: daß
alſo wiedrum von dem einen auff das andere nicht gefolget werden darff. 3.
Bekennet man von Papiſtiſcher ſeite ſelbs/ und muß es bekennen/ daß man
offt etwas bete/ ſo man weiß/ daß auch ohne unſer gebet geſchehen iſt oder ge-
ſchihet/ und dannoch ſolches gebet nicht unnuͤtzlich iſt. Alſo wo wir vor die
todten/ dero ſeligkeit/ und froͤliche aufferſtehung bitten/ folgets nicht/ daß ſie
nicht in dem ſtande der ſeligkeit ſeyen/ und gewiß zur herrlichkeit aufferſtehen
werden/ ſondern wir bitten ihnen daſſelbige/ was uns goͤttliche wahrheit in

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[139/0155] SECTIO XV. 53/ 5. 6. und zwahr alle ſtraffen auff ſich genommen hat/ ſo hat er auch vor alle gnug gethan. Wie kan denn vor die jenige ſuͤnden/ davor der HErr gnug gethan hat/ nochmahlige gnugthuung erfordert werden? 3. Wider die wahrheit der goͤttlichen vergebung/ durch die GOtt bezeugen laͤſſt/ daß er die ſuͤnde von ſeinem angeſicht hinwegthue/ und ſie in die tieffe des meers werffe. Wie ſolte er ſie dann wieder in das gericht fuͤhren/ um derſelben wil- len nochmal zeitliche ſtraffen auffzulegen? Wie man in der welt nicht davor halten wuͤrde/ daß ſolches eine voͤllige vergebung geweſen waͤre. Alſo faͤl- let der haupt-grund des gantzen fegefeuers: Dann der menſch iſt entweder geſtorben mit vergebung der ſuͤnden/ oder daß ihm die ſuͤnde noch behalten geblieben: in dieſem letzten fall gehoͤret er nach ihrem eignen bekaͤntnuͤß in die hoͤlle/ iſt aber das erſte/ ſo kan die goͤttliche gerechtigkeit ihn nicht mehr ſtraffen/ weil der menſch mit GOtt verſoͤhnet iſt/ es bedarff auch keiner zuͤchtigung bey ihm/ weder zu ſeiner noch anderer beſſerung/ als die in jenem leben nicht ſtatt hat. 2. Das andre argument nimmt P. Dez von dem gebet vor die tod- te. Und 1. præſupponiret er aus Apol. Aug. Conf. daß wirs nicht mit Aërio in verwerffung desgebets vor die verſtorbene halten. 2. Schlieſſet er/ daß wir denn folglich auch das fegfeuer zu geben muͤſſen. Von beyden ſtuͤ- cken iſt zu ſehen/ was es damit vor eine bewandnuͤß habe. 1. verwerffen un- ſre kirchen die gebete vor die verſtorbene nicht/ ſondern wir behalten dieſelbi- ge/ wenn wir nicht nur in leichen-predigten/ ſondern auch ſonſten ihnen eine ſanffte ruhe/ die ewige freude und eine froͤliche aufferſtehung wuͤnſchen/ und alſo bitten: Womit wir aber nichts weniger als was die Papiſten dar- aus ſchlieſſen/ meinen oder intendiren. Daher 2. iſt zu mercken/ daß nicht aus allem gebet vor die todte das fegefeuer zu erweiſen ſeye. 1. Weil die al- te in den gebeten vor die verſtorbene unterſchiedlich auch vor die Apoſtel und Maͤrtyrer gebeten haben/ die ſie nicht zweiffelten in dem himmel zu ſeyn/ wie die lyturgia Chryſoſtomi weiſet. Daher ſolche ihre gebete gantz andre abſichten gehabt/ als wohin ſie nunmehr in dem Pabſtum gezogen werden wollen/ wie die unſrige hin und wieder gewieſen. 2. Die Grichen nehmen das fegfeuer noch itzo nicht an/ und beten dannoch vor die verſtorbene: daß alſo wiedrum von dem einen auff das andere nicht gefolget werden darff. 3. Bekennet man von Papiſtiſcher ſeite ſelbs/ und muß es bekennen/ daß man offt etwas bete/ ſo man weiß/ daß auch ohne unſer gebet geſchehen iſt oder ge- ſchihet/ und dannoch ſolches gebet nicht unnuͤtzlich iſt. Alſo wo wir vor die todten/ dero ſeligkeit/ und froͤliche aufferſtehung bitten/ folgets nicht/ daß ſie nicht in dem ſtande der ſeligkeit ſeyen/ und gewiß zur herrlichkeit aufferſtehen werden/ ſondern wir bitten ihnen daſſelbige/ was uns goͤttliche wahrheit in ih- S 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/155>, abgerufen am 21.11.2024.