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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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lutionärer Inhalt des Erkennens seine Beweisbarkeit für uns doch
nur aus den Inhalten, Axiomen und Methoden des bisherigen Erkennt-
nisstandes ziehen kann, wenngleich eine erste Wahrheit als existierend
angenommen werden muss, die nicht bewiesen werden kann, die wir
aber in ihrer selbstgenugsamen Sicherheit nie erreichen können -- so
fehlt uns das in sich selbst ruhende Recht, obgleich dessen Idee über
der Reihe der relativen Rechtsbestimmungen schwebt, deren jede auf
die Legitimierung durch eine andere angewiesen ist. Freilich hat auch
unser Erkennen erste Axiome, die in jedem gegebnen Augenblick für
uns nicht mehr beweisbar sind, weil es ohne diese nicht zu den rela-
tiven Reihen abgeleiteter Beweise käme; allein jene haben eben doch
nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht in demselben
Sinne für uns wahr, wie dieses es ist, und unser Denken macht an
ihnen als letzten Punkten nur so lange Halt, bis es auch über sie zu
noch Höherem hinauf kann, das dann das bisher Axiomatische seiner-
seits beweist. Entsprechend giebt es freilich absolut und relativ vor-
rechtliche Zustände, in denen ein empirisches Recht aus Gewalt- oder
anderen Gründen gesetzt wird. Allein das wird eben nicht rechtlich
gesetzt; es gilt wohl als Recht, sobald es da ist, aber dass es da ist,
ist keine rechtliche Thatsache; es fehlt ihm die Dignität alles dessen,
was sich auf ein Gesetz stützt; und es ist thatsächlich das Bestreben
jeder Macht, die ein solches rechtloses Recht setzt, irgend eine Legi-
timierung desselben aufzufinden oder zu fingieren, d. h. es aus einem
bereits bestehenden Rechte herzuleiten -- gleichsam eine Huldigung an
jenes absolute Recht, das jenseits alles relativen steht und von diesem
niemals ergriffen werden kann, sondern für uns nur in der Form einer
kontinuierlichen Ableitung jeder aktuellen Rechtsbestimmung von einer
davorliegenden ihr Symbol findet.

Wenn aber auch dieser Rückgang ins Unendliche unser Erkennen
nicht in der Bedingtheit festhielte, so würde dies vielleicht einer an-
deren Form seiner gelingen. Verfolgt man den Beweis eines Satzes
in seine Begründungen und diese wieder in die ihrigen u. s. w., so
entdeckt man bekanntlich oft, dass der Beweis nur möglich, d. h.
seinerseits beweisbar ist, wenn man jenen ersten, durch ihn zu be-
weisenden Satz, bereits als erwiesen voraussetzt. So sehr dies, für eine
bestimmte Deduktion aufgezeigt, sie als einen fehlerhaften Zirkelschluss
illusorisch macht, so wenig ist es doch undenkbar, dass unser Er-
kennen, als Ganzes betrachtet, in dieser Form befangen wäre. Bedenkt
man die ungeheure Zahl übereinandergebauter und sich ins Unend-
liche verlierender Voraussetzungen, von denen jede inhaltlich bestimmte
Erkenntnis abhängt, so scheint es durchaus nicht ausgeschlossen, dass

lutionärer Inhalt des Erkennens seine Beweisbarkeit für uns doch
nur aus den Inhalten, Axiomen und Methoden des bisherigen Erkennt-
nisstandes ziehen kann, wenngleich eine erste Wahrheit als existierend
angenommen werden muſs, die nicht bewiesen werden kann, die wir
aber in ihrer selbstgenugsamen Sicherheit nie erreichen können — so
fehlt uns das in sich selbst ruhende Recht, obgleich dessen Idee über
der Reihe der relativen Rechtsbestimmungen schwebt, deren jede auf
die Legitimierung durch eine andere angewiesen ist. Freilich hat auch
unser Erkennen erste Axiome, die in jedem gegebnen Augenblick für
uns nicht mehr beweisbar sind, weil es ohne diese nicht zu den rela-
tiven Reihen abgeleiteter Beweise käme; allein jene haben eben doch
nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht in demselben
Sinne für uns wahr, wie dieses es ist, und unser Denken macht an
ihnen als letzten Punkten nur so lange Halt, bis es auch über sie zu
noch Höherem hinauf kann, das dann das bisher Axiomatische seiner-
seits beweist. Entsprechend giebt es freilich absolut und relativ vor-
rechtliche Zustände, in denen ein empirisches Recht aus Gewalt- oder
anderen Gründen gesetzt wird. Allein das wird eben nicht rechtlich
gesetzt; es gilt wohl als Recht, sobald es da ist, aber daſs es da ist,
ist keine rechtliche Thatsache; es fehlt ihm die Dignität alles dessen,
was sich auf ein Gesetz stützt; und es ist thatsächlich das Bestreben
jeder Macht, die ein solches rechtloses Recht setzt, irgend eine Legi-
timierung desselben aufzufinden oder zu fingieren, d. h. es aus einem
bereits bestehenden Rechte herzuleiten — gleichsam eine Huldigung an
jenes absolute Recht, das jenseits alles relativen steht und von diesem
niemals ergriffen werden kann, sondern für uns nur in der Form einer
kontinuierlichen Ableitung jeder aktuellen Rechtsbestimmung von einer
davorliegenden ihr Symbol findet.

Wenn aber auch dieser Rückgang ins Unendliche unser Erkennen
nicht in der Bedingtheit festhielte, so würde dies vielleicht einer an-
deren Form seiner gelingen. Verfolgt man den Beweis eines Satzes
in seine Begründungen und diese wieder in die ihrigen u. s. w., so
entdeckt man bekanntlich oft, daſs der Beweis nur möglich, d. h.
seinerseits beweisbar ist, wenn man jenen ersten, durch ihn zu be-
weisenden Satz, bereits als erwiesen voraussetzt. So sehr dies, für eine
bestimmte Deduktion aufgezeigt, sie als einen fehlerhaften Zirkelschluſs
illusorisch macht, so wenig ist es doch undenkbar, daſs unser Er-
kennen, als Ganzes betrachtet, in dieser Form befangen wäre. Bedenkt
man die ungeheure Zahl übereinandergebauter und sich ins Unend-
liche verlierender Voraussetzungen, von denen jede inhaltlich bestimmte
Erkenntnis abhängt, so scheint es durchaus nicht ausgeschlossen, daſs

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[63/0087] lutionärer Inhalt des Erkennens seine Beweisbarkeit für uns doch nur aus den Inhalten, Axiomen und Methoden des bisherigen Erkennt- nisstandes ziehen kann, wenngleich eine erste Wahrheit als existierend angenommen werden muſs, die nicht bewiesen werden kann, die wir aber in ihrer selbstgenugsamen Sicherheit nie erreichen können — so fehlt uns das in sich selbst ruhende Recht, obgleich dessen Idee über der Reihe der relativen Rechtsbestimmungen schwebt, deren jede auf die Legitimierung durch eine andere angewiesen ist. Freilich hat auch unser Erkennen erste Axiome, die in jedem gegebnen Augenblick für uns nicht mehr beweisbar sind, weil es ohne diese nicht zu den rela- tiven Reihen abgeleiteter Beweise käme; allein jene haben eben doch nicht die logische Dignität des Bewiesenen, sie sind nicht in demselben Sinne für uns wahr, wie dieses es ist, und unser Denken macht an ihnen als letzten Punkten nur so lange Halt, bis es auch über sie zu noch Höherem hinauf kann, das dann das bisher Axiomatische seiner- seits beweist. Entsprechend giebt es freilich absolut und relativ vor- rechtliche Zustände, in denen ein empirisches Recht aus Gewalt- oder anderen Gründen gesetzt wird. Allein das wird eben nicht rechtlich gesetzt; es gilt wohl als Recht, sobald es da ist, aber daſs es da ist, ist keine rechtliche Thatsache; es fehlt ihm die Dignität alles dessen, was sich auf ein Gesetz stützt; und es ist thatsächlich das Bestreben jeder Macht, die ein solches rechtloses Recht setzt, irgend eine Legi- timierung desselben aufzufinden oder zu fingieren, d. h. es aus einem bereits bestehenden Rechte herzuleiten — gleichsam eine Huldigung an jenes absolute Recht, das jenseits alles relativen steht und von diesem niemals ergriffen werden kann, sondern für uns nur in der Form einer kontinuierlichen Ableitung jeder aktuellen Rechtsbestimmung von einer davorliegenden ihr Symbol findet. Wenn aber auch dieser Rückgang ins Unendliche unser Erkennen nicht in der Bedingtheit festhielte, so würde dies vielleicht einer an- deren Form seiner gelingen. Verfolgt man den Beweis eines Satzes in seine Begründungen und diese wieder in die ihrigen u. s. w., so entdeckt man bekanntlich oft, daſs der Beweis nur möglich, d. h. seinerseits beweisbar ist, wenn man jenen ersten, durch ihn zu be- weisenden Satz, bereits als erwiesen voraussetzt. So sehr dies, für eine bestimmte Deduktion aufgezeigt, sie als einen fehlerhaften Zirkelschluſs illusorisch macht, so wenig ist es doch undenkbar, daſs unser Er- kennen, als Ganzes betrachtet, in dieser Form befangen wäre. Bedenkt man die ungeheure Zahl übereinandergebauter und sich ins Unend- liche verlierender Voraussetzungen, von denen jede inhaltlich bestimmte Erkenntnis abhängt, so scheint es durchaus nicht ausgeschlossen, daſs

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/87>, abgerufen am 26.04.2024.