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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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tiefen Zusammenhang zwischen dem Wert und dem Tausch, der nicht
nur diesen durch jenen, sondern auch jenen durch diesen bedingt sein
lässt, weist schon die Gleichheit des Umfanges hin, in dem sie beide
das praktische Leben fundamentieren. So sehr unser Leben durch den
Mechanismus und die Sachlichkeit der Dinge bestimmt scheint, so
können wir in Wirklichkeit keinen Schritt machen und keinen Ge-
danken denken, ohne dass unser Fühlen die Dinge mit Werten aus-
stattete und ihnen gemäss unser Thun dirigierte. Dieses Thun selbst
aber vollzieht sich nach dem Schema des Tausches: von der niedrigsten
Bedürfnisbefriedigung bis zum Erwerbe der höchsten intellektuellen
und religiösen Güter muss immer ein Wert eingesetzt werden, um einen
Wert zu gewinnen. Was hier Ausgangspunkt und was Folge ist,
kann vielleicht nicht bestimmt werden. Denn entweder ist in den
Fundamentalvorgängen beides nicht zu trennen, sondern bildet die
Einheit des praktischen Lebens, die wir freilich, da wir sie als solche
nicht unmittelbar ergreifen können, in jene Momente auseinanderlegen;
oder zwischen beiden spielt ein unendlicher Prozess, derart, dass zwar
jeder Tausch auf einen Wert, dieser Wert aber seinerseits auf einen
Tausch zurückgeht. Das Fruchtbarere und eigentlich Aufklärende aber
ist, mindestens für unsere Betrachtung, der Weg vom Tausche zum
Werte, da das Umgekehrte uns bekannter und selbstverständlicher er-
scheint. -- Dass der Wert sich uns als Ergebnis eines Opferprozesses
darbietet, das symbolisiert den unendlichen Reichtum, den unser
Leben dieser Grundform verdankt. Das Streben nach möglichster
Verkleinerung des Opfers und die schmerzliche Empfindung seiner
lassen uns glauben, dass erst sein vollständiger Fortfall das Leben
auf seine äusserste Werthöhe heben würde. Aber hierbei übersehen
wir, dass das Opfer keineswegs immer eine äussere Barriere ist, son-
dern die innere Bedingung des Zieles selbst und des Weges zu ihm.
Die rätselhafte Einheit unseres praktischen Verhältnisses zu den Dingen
zerlegen wir in Opfer und Gewinn, Hemmung und Erreichen, und in-
dem das Leben in seinen differenzierten Stadien oft beides zeitlich
trennt, vergessen wir, dass, wenn sich uns das Ziel ohne solche zu
überwindende Hinderung verliehe, es gar nicht mehr ebendasselbe
Ziel sein würde. Der Widerstand, den unsere Kraft zu vernichten
hat, giebt ihr doch erst die Möglichkeit, sich zu bewähren; die Sünde,
nach deren Überwindung die Seele zum Heile aufsteigt, sichert ihr erst
jene "Freude im Himmel", die dieser an den von vornherein Gerechten
nicht knüpft; jede Synthese bedarf des gleichzeitig wirksamen ana-
lytischen Prinzips, das sie doch eben verneint (weil sie ohne dieses nicht
die Synthese mehrerer Elemente, sondern ein absolutes Eins wäre), und

tiefen Zusammenhang zwischen dem Wert und dem Tausch, der nicht
nur diesen durch jenen, sondern auch jenen durch diesen bedingt sein
läſst, weist schon die Gleichheit des Umfanges hin, in dem sie beide
das praktische Leben fundamentieren. So sehr unser Leben durch den
Mechanismus und die Sachlichkeit der Dinge bestimmt scheint, so
können wir in Wirklichkeit keinen Schritt machen und keinen Ge-
danken denken, ohne daſs unser Fühlen die Dinge mit Werten aus-
stattete und ihnen gemäſs unser Thun dirigierte. Dieses Thun selbst
aber vollzieht sich nach dem Schema des Tausches: von der niedrigsten
Bedürfnisbefriedigung bis zum Erwerbe der höchsten intellektuellen
und religiösen Güter muſs immer ein Wert eingesetzt werden, um einen
Wert zu gewinnen. Was hier Ausgangspunkt und was Folge ist,
kann vielleicht nicht bestimmt werden. Denn entweder ist in den
Fundamentalvorgängen beides nicht zu trennen, sondern bildet die
Einheit des praktischen Lebens, die wir freilich, da wir sie als solche
nicht unmittelbar ergreifen können, in jene Momente auseinanderlegen;
oder zwischen beiden spielt ein unendlicher Prozeſs, derart, daſs zwar
jeder Tausch auf einen Wert, dieser Wert aber seinerseits auf einen
Tausch zurückgeht. Das Fruchtbarere und eigentlich Aufklärende aber
ist, mindestens für unsere Betrachtung, der Weg vom Tausche zum
Werte, da das Umgekehrte uns bekannter und selbstverständlicher er-
scheint. — Daſs der Wert sich uns als Ergebnis eines Opferprozesses
darbietet, das symbolisiert den unendlichen Reichtum, den unser
Leben dieser Grundform verdankt. Das Streben nach möglichster
Verkleinerung des Opfers und die schmerzliche Empfindung seiner
lassen uns glauben, daſs erst sein vollständiger Fortfall das Leben
auf seine äuſserste Werthöhe heben würde. Aber hierbei übersehen
wir, daſs das Opfer keineswegs immer eine äuſsere Barriere ist, son-
dern die innere Bedingung des Zieles selbst und des Weges zu ihm.
Die rätselhafte Einheit unseres praktischen Verhältnisses zu den Dingen
zerlegen wir in Opfer und Gewinn, Hemmung und Erreichen, und in-
dem das Leben in seinen differenzierten Stadien oft beides zeitlich
trennt, vergessen wir, daſs, wenn sich uns das Ziel ohne solche zu
überwindende Hinderung verliehe, es gar nicht mehr ebendasselbe
Ziel sein würde. Der Widerstand, den unsere Kraft zu vernichten
hat, giebt ihr doch erst die Möglichkeit, sich zu bewähren; die Sünde,
nach deren Überwindung die Seele zum Heile aufsteigt, sichert ihr erst
jene „Freude im Himmel“, die dieser an den von vornherein Gerechten
nicht knüpft; jede Synthese bedarf des gleichzeitig wirksamen ana-
lytischen Prinzips, das sie doch eben verneint (weil sie ohne dieses nicht
die Synthese mehrerer Elemente, sondern ein absolutes Eins wäre), und

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[36/0060] tiefen Zusammenhang zwischen dem Wert und dem Tausch, der nicht nur diesen durch jenen, sondern auch jenen durch diesen bedingt sein läſst, weist schon die Gleichheit des Umfanges hin, in dem sie beide das praktische Leben fundamentieren. So sehr unser Leben durch den Mechanismus und die Sachlichkeit der Dinge bestimmt scheint, so können wir in Wirklichkeit keinen Schritt machen und keinen Ge- danken denken, ohne daſs unser Fühlen die Dinge mit Werten aus- stattete und ihnen gemäſs unser Thun dirigierte. Dieses Thun selbst aber vollzieht sich nach dem Schema des Tausches: von der niedrigsten Bedürfnisbefriedigung bis zum Erwerbe der höchsten intellektuellen und religiösen Güter muſs immer ein Wert eingesetzt werden, um einen Wert zu gewinnen. Was hier Ausgangspunkt und was Folge ist, kann vielleicht nicht bestimmt werden. Denn entweder ist in den Fundamentalvorgängen beides nicht zu trennen, sondern bildet die Einheit des praktischen Lebens, die wir freilich, da wir sie als solche nicht unmittelbar ergreifen können, in jene Momente auseinanderlegen; oder zwischen beiden spielt ein unendlicher Prozeſs, derart, daſs zwar jeder Tausch auf einen Wert, dieser Wert aber seinerseits auf einen Tausch zurückgeht. Das Fruchtbarere und eigentlich Aufklärende aber ist, mindestens für unsere Betrachtung, der Weg vom Tausche zum Werte, da das Umgekehrte uns bekannter und selbstverständlicher er- scheint. — Daſs der Wert sich uns als Ergebnis eines Opferprozesses darbietet, das symbolisiert den unendlichen Reichtum, den unser Leben dieser Grundform verdankt. Das Streben nach möglichster Verkleinerung des Opfers und die schmerzliche Empfindung seiner lassen uns glauben, daſs erst sein vollständiger Fortfall das Leben auf seine äuſserste Werthöhe heben würde. Aber hierbei übersehen wir, daſs das Opfer keineswegs immer eine äuſsere Barriere ist, son- dern die innere Bedingung des Zieles selbst und des Weges zu ihm. Die rätselhafte Einheit unseres praktischen Verhältnisses zu den Dingen zerlegen wir in Opfer und Gewinn, Hemmung und Erreichen, und in- dem das Leben in seinen differenzierten Stadien oft beides zeitlich trennt, vergessen wir, daſs, wenn sich uns das Ziel ohne solche zu überwindende Hinderung verliehe, es gar nicht mehr ebendasselbe Ziel sein würde. Der Widerstand, den unsere Kraft zu vernichten hat, giebt ihr doch erst die Möglichkeit, sich zu bewähren; die Sünde, nach deren Überwindung die Seele zum Heile aufsteigt, sichert ihr erst jene „Freude im Himmel“, die dieser an den von vornherein Gerechten nicht knüpft; jede Synthese bedarf des gleichzeitig wirksamen ana- lytischen Prinzips, das sie doch eben verneint (weil sie ohne dieses nicht die Synthese mehrerer Elemente, sondern ein absolutes Eins wäre), und

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/60>, abgerufen am 29.03.2024.