und Gewinn in der Einzelseele ist keineswegs nur etwas Sekundäres oder Nachgebildetes gegenüber dem interindividuellen Tausch, sondern um- gekehrt: der Austausch zwischen Hingabe und Errungenschaft innerhalb des Individuums ist die grundlegende Voraussetzung und gleichsam die wesentliche Substanz jedes zweiseitigen Tausches. Dieser ist eine blosse Unterart jenes, nämlich diejenige, bei der die Hingabe durch die Forderung eines anderen Individuums veranlasst ist, während sie mit dem gleichen Erfolg für das Subjekt von Dingen und ihrer tech- nisch-natürlichen Beschaffenheit veranlasst sein kann. Es ist ausser- ordentlich wichtig, diese Reduktion des Wirtschaftsprozesses auf das- jenige, was wirklich, d. h. in der Seele jedes Wirtschaftenden, ge- schieht, zu vollziehen. Man darf sich dadurch, dass beim Tausch dieser Vorgang ein wechselseitiger ist, d. h. dass er durch den gleichen Vorgang in einem Anderen bedingt ist, nicht darüber täuschen lassen, dass die naturale und sozusagen solipsistische Wirt- schaft auf dieselbe Grundform zurückgeht wie der zweiseitige Tausch: auf den Ausgleichungsprozess zwischen zwei subjektiven Vorgängen innerhalb des Individuums; dieser wird an und für sich von der sekun- dären Frage nicht berührt, ob die Anregung zu ihm von der Natur der Dinge oder der Natur des Menschen ausgeht, rein naturalwirtschaft- lich oder tauschwirtschaftlich ist. Alle Wertgefühle also, die durch beschaffbare Objekte ausgelöst werden, sind im allgemeinen nur durch den Verzicht auf andere Werte zu erreichen, wie ein solcher Verzicht nicht nur in jener mittelbaren Arbeit für uns selbst, die als Arbeit für Andere auftritt, sondern oft genug in der ganz unmittelbaren Arbeit für unsere eigenen Zwecke liegt. Hiermit wird besonders klar, dass der Tausch genau so produktiv und wertbildend ist, wie die eigentlich sogenannte Produktion. In beiden Fällen handelt es sich darum, Güter um den Preis anderer, die man hingiebt, zu empfangen, und zwar derart, dass der Endzustand einen Überschuss von Befriedigungs- gefühlen gegenüber dem Zustand vor der Aktion ergiebt. Wir können weder Stoffe noch Kräfte neu schaffen, sondern nur die gegebenen so umlagern, dass möglichst viele in der Wirklichkeitsreihe stehende zu- gleich in die Wertreihe aufsteigen. Diese formale Verschiebung inner- halb des gegebenen Materials aber vollbringt der Tausch zwischen Menschen genau so wie der mit der Natur, den wir Produktion nennen, die also beide unter den gleichen Wertbegriff gehören: bei beiden handelt es sich darum, die leergewordene Stelle des Hingegebenen durch ein Objekt grösseren Wertes auszufüllen, und erst in dieser Bewegung löst sich das vorher mit dem bedürfenden und geniessenden Ich ver- schmolzene Objekt von diesem und wird zu einem Wert. Auf den
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und Gewinn in der Einzelseele ist keineswegs nur etwas Sekundäres oder Nachgebildetes gegenüber dem interindividuellen Tausch, sondern um- gekehrt: der Austausch zwischen Hingabe und Errungenschaft innerhalb des Individuums ist die grundlegende Voraussetzung und gleichsam die wesentliche Substanz jedes zweiseitigen Tausches. Dieser ist eine bloſse Unterart jenes, nämlich diejenige, bei der die Hingabe durch die Forderung eines anderen Individuums veranlaſst ist, während sie mit dem gleichen Erfolg für das Subjekt von Dingen und ihrer tech- nisch-natürlichen Beschaffenheit veranlaſst sein kann. Es ist auſser- ordentlich wichtig, diese Reduktion des Wirtschaftsprozesses auf das- jenige, was wirklich, d. h. in der Seele jedes Wirtschaftenden, ge- schieht, zu vollziehen. Man darf sich dadurch, daſs beim Tausch dieser Vorgang ein wechselseitiger ist, d. h. daſs er durch den gleichen Vorgang in einem Anderen bedingt ist, nicht darüber täuschen lassen, daſs die naturale und sozusagen solipsistische Wirt- schaft auf dieselbe Grundform zurückgeht wie der zweiseitige Tausch: auf den Ausgleichungsprozeſs zwischen zwei subjektiven Vorgängen innerhalb des Individuums; dieser wird an und für sich von der sekun- dären Frage nicht berührt, ob die Anregung zu ihm von der Natur der Dinge oder der Natur des Menschen ausgeht, rein naturalwirtschaft- lich oder tauschwirtschaftlich ist. Alle Wertgefühle also, die durch beschaffbare Objekte ausgelöst werden, sind im allgemeinen nur durch den Verzicht auf andere Werte zu erreichen, wie ein solcher Verzicht nicht nur in jener mittelbaren Arbeit für uns selbst, die als Arbeit für Andere auftritt, sondern oft genug in der ganz unmittelbaren Arbeit für unsere eigenen Zwecke liegt. Hiermit wird besonders klar, daſs der Tausch genau so produktiv und wertbildend ist, wie die eigentlich sogenannte Produktion. In beiden Fällen handelt es sich darum, Güter um den Preis anderer, die man hingiebt, zu empfangen, und zwar derart, daſs der Endzustand einen Überschuſs von Befriedigungs- gefühlen gegenüber dem Zustand vor der Aktion ergiebt. Wir können weder Stoffe noch Kräfte neu schaffen, sondern nur die gegebenen so umlagern, daſs möglichst viele in der Wirklichkeitsreihe stehende zu- gleich in die Wertreihe aufsteigen. Diese formale Verschiebung inner- halb des gegebenen Materials aber vollbringt der Tausch zwischen Menschen genau so wie der mit der Natur, den wir Produktion nennen, die also beide unter den gleichen Wertbegriff gehören: bei beiden handelt es sich darum, die leergewordene Stelle des Hingegebenen durch ein Objekt gröſseren Wertes auszufüllen, und erst in dieser Bewegung löst sich das vorher mit dem bedürfenden und genieſsenden Ich ver- schmolzene Objekt von diesem und wird zu einem Wert. Auf den
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und Gewinn in der Einzelseele ist keineswegs nur etwas Sekundäres
oder Nachgebildetes gegenüber dem interindividuellen Tausch, sondern um-
gekehrt: der Austausch zwischen Hingabe und Errungenschaft innerhalb
des Individuums ist die grundlegende Voraussetzung und gleichsam die
wesentliche Substanz jedes zweiseitigen Tausches. Dieser ist eine
bloſse Unterart jenes, nämlich diejenige, bei der die Hingabe durch
die Forderung eines anderen Individuums veranlaſst ist, während sie
mit dem gleichen Erfolg für das Subjekt von Dingen und ihrer tech-
nisch-natürlichen Beschaffenheit veranlaſst sein kann. Es ist auſser-
ordentlich wichtig, diese Reduktion des Wirtschaftsprozesses auf das-
jenige, was wirklich, d. h. in der Seele jedes Wirtschaftenden, ge-
schieht, zu vollziehen. Man darf sich dadurch, daſs beim Tausch
dieser Vorgang ein wechselseitiger ist, d. h. daſs er durch den
gleichen Vorgang in einem Anderen bedingt ist, nicht darüber
täuschen lassen, daſs die naturale und sozusagen solipsistische Wirt-
schaft auf dieselbe Grundform zurückgeht wie der zweiseitige Tausch:
auf den Ausgleichungsprozeſs zwischen zwei subjektiven Vorgängen
innerhalb des Individuums; dieser wird an und für sich von der sekun-
dären Frage nicht berührt, ob die Anregung zu ihm von der Natur
der Dinge oder der Natur des Menschen ausgeht, rein naturalwirtschaft-
lich oder tauschwirtschaftlich ist. Alle Wertgefühle also, die durch
beschaffbare Objekte ausgelöst werden, sind im allgemeinen nur durch
den Verzicht auf andere Werte zu erreichen, wie ein solcher Verzicht
nicht nur in jener mittelbaren Arbeit für uns selbst, die als Arbeit
für Andere auftritt, sondern oft genug in der ganz unmittelbaren Arbeit
für unsere eigenen Zwecke liegt. Hiermit wird besonders klar, daſs
der Tausch genau so produktiv und wertbildend ist, wie die eigentlich
sogenannte Produktion. In beiden Fällen handelt es sich darum,
Güter um den Preis anderer, die man hingiebt, zu empfangen, und
zwar derart, daſs der Endzustand einen Überschuſs von Befriedigungs-
gefühlen gegenüber dem Zustand vor der Aktion ergiebt. Wir können
weder Stoffe noch Kräfte neu schaffen, sondern nur die gegebenen so
umlagern, daſs möglichst viele in der Wirklichkeitsreihe stehende zu-
gleich in die Wertreihe aufsteigen. Diese formale Verschiebung inner-
halb des gegebenen Materials aber vollbringt der Tausch zwischen
Menschen genau so wie der mit der Natur, den wir Produktion nennen,
die also beide unter den gleichen Wertbegriff gehören: bei beiden
handelt es sich darum, die leergewordene Stelle des Hingegebenen durch
ein Objekt gröſseren Wertes auszufüllen, und erst in dieser Bewegung
löst sich das vorher mit dem bedürfenden und genieſsenden Ich ver-
schmolzene Objekt von diesem und wird zu einem Wert. Auf den
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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