Hypnotisierten auf den Hypnotiseur stattfände, ohne die der Effekt nicht erreicht würde. Jede Wechselwirkung aber ist als ein Tausch zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe (auch wo sie mit anders- artigen Gefühlen erwidert wird), jedes Spiel, jedes Sichanblicken. Und wenn der Unterschied zu bestehen scheint, dass man in der Wechselwirkung giebt, was man selbst nicht hat, im Tausch aber nur, was man hat -- so hält dies doch nicht Stand. Denn einmal, was man in der Wechselwirkung ausübt, kann immer nur die eigene Energie, die Hingabe eigener Substanz sein; und umgekehrt, der Tausch geschieht nicht um den Gegenstand, den der andere vorher hatte, son- dern um den eigenen Gefühlsreflex, den der andere vorher nicht hatte; denn der Sinn des Tausches: dass die Wertsumme des Nachher grösser sei als die des Vorher -- bedeutet doch, dass jeder dem andern mehr giebt als er selbst besessen hat. Freilich ist Wechselwirkung der weitere, Tausch der engere Begriff; allein in menschlichen Verhält- nissen tritt die erstere nur in Formen auf, die sie als Tausch anzusehen gestatten. Unser natürliches Schicksal, das jeden Tag aus einer Kontinuität von Gewinn und Verlust, Zufliessen und Ab- strömen der Lebensinhalte zusammensetzt, wird im Tausch ver- geistigt, indem nun das eine für das andere mit Bewusstsein gesetzt wird. Derselbe geistig-synthetische Prozess, der überhaupt aus dem Nebeneinander der Dinge ein Mit- und Füreinander schafft; dasselbe Ich, das, die sinnlichen Gegebenheiten innerlich durchströmend, ihnen die Form seiner eigenen Einheit einbaut -- hat mit dem Tausch jenen naturgegebnen Rhythmus unserer Existenz ergriffen und seine Elemente zu einer sinnvollen Verbundenheit organisiert. Und zwar wird grade dem Tausch wirtschaftlicher Werte die Färbung des Opfers am wenigsten erspart bleiben. Wo wir Liebe um Liebe tauschen, wüssten wir mit der darin offenbarten inneren Energie sonst nichts anzufangen; indem wir sie hingeben, opfern wir -- von äusseren Bethätigungsfolgen abgesehen -- keinerlei Nutzen auf; wenn wir in der Wechselrede geistige Inhalte mitteilen, so nehmen diese darum nicht ab; wenn wir unserer Umgebung das Bild unserer Per- sönlichkeit darbieten, indem wir das der anderen in uns aufnehmen, so vermindert dieser Austausch unseren Besitz unser selbst in keiner Weise. Bei all diesen Tauschen geschieht die Wertvermehrung nicht durch Aufrechnung von Gewinn und Verlust, sondern der Beitrag jeder Partei steht entweder ganz jenseits dieses Gegensatzes, oder es ist an sich schon ein Gewinn, ihn nur hingeben zu dürfen; wogegen der wirtschaftliche Tausch -- mag er Substanzen oder Arbeit oder in Sub- stanzen investierte Arbeitskraft betreffen -- immer das Opfer eines
Simmel, Philosophie des Geldes. 3
Hypnotisierten auf den Hypnotiseur stattfände, ohne die der Effekt nicht erreicht würde. Jede Wechselwirkung aber ist als ein Tausch zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe (auch wo sie mit anders- artigen Gefühlen erwidert wird), jedes Spiel, jedes Sichanblicken. Und wenn der Unterschied zu bestehen scheint, daſs man in der Wechselwirkung giebt, was man selbst nicht hat, im Tausch aber nur, was man hat — so hält dies doch nicht Stand. Denn einmal, was man in der Wechselwirkung ausübt, kann immer nur die eigene Energie, die Hingabe eigener Substanz sein; und umgekehrt, der Tausch geschieht nicht um den Gegenstand, den der andere vorher hatte, son- dern um den eigenen Gefühlsreflex, den der andere vorher nicht hatte; denn der Sinn des Tausches: daſs die Wertsumme des Nachher gröſser sei als die des Vorher — bedeutet doch, daſs jeder dem andern mehr giebt als er selbst besessen hat. Freilich ist Wechselwirkung der weitere, Tausch der engere Begriff; allein in menschlichen Verhält- nissen tritt die erstere nur in Formen auf, die sie als Tausch anzusehen gestatten. Unser natürliches Schicksal, das jeden Tag aus einer Kontinuität von Gewinn und Verlust, Zuflieſsen und Ab- strömen der Lebensinhalte zusammensetzt, wird im Tausch ver- geistigt, indem nun das eine für das andere mit Bewuſstsein gesetzt wird. Derselbe geistig-synthetische Prozeſs, der überhaupt aus dem Nebeneinander der Dinge ein Mit- und Füreinander schafft; dasselbe Ich, das, die sinnlichen Gegebenheiten innerlich durchströmend, ihnen die Form seiner eigenen Einheit einbaut — hat mit dem Tausch jenen naturgegebnen Rhythmus unserer Existenz ergriffen und seine Elemente zu einer sinnvollen Verbundenheit organisiert. Und zwar wird grade dem Tausch wirtschaftlicher Werte die Färbung des Opfers am wenigsten erspart bleiben. Wo wir Liebe um Liebe tauschen, wüſsten wir mit der darin offenbarten inneren Energie sonst nichts anzufangen; indem wir sie hingeben, opfern wir — von äuſseren Bethätigungsfolgen abgesehen — keinerlei Nutzen auf; wenn wir in der Wechselrede geistige Inhalte mitteilen, so nehmen diese darum nicht ab; wenn wir unserer Umgebung das Bild unserer Per- sönlichkeit darbieten, indem wir das der anderen in uns aufnehmen, so vermindert dieser Austausch unseren Besitz unser selbst in keiner Weise. Bei all diesen Tauschen geschieht die Wertvermehrung nicht durch Aufrechnung von Gewinn und Verlust, sondern der Beitrag jeder Partei steht entweder ganz jenseits dieses Gegensatzes, oder es ist an sich schon ein Gewinn, ihn nur hingeben zu dürfen; wogegen der wirtschaftliche Tausch — mag er Substanzen oder Arbeit oder in Sub- stanzen investierte Arbeitskraft betreffen — immer das Opfer eines
Simmel, Philosophie des Geldes. 3
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Hypnotisierten auf den Hypnotiseur stattfände, ohne die der Effekt
nicht erreicht würde. Jede Wechselwirkung aber ist als ein Tausch
zu betrachten: jede Unterhaltung, jede Liebe (auch wo sie mit anders-
artigen Gefühlen erwidert wird), jedes Spiel, jedes Sichanblicken.
Und wenn der Unterschied zu bestehen scheint, daſs man in der
Wechselwirkung giebt, was man selbst nicht hat, im Tausch aber nur,
was man hat — so hält dies doch nicht Stand. Denn einmal, was
man in der Wechselwirkung ausübt, kann immer nur die eigene
Energie, die Hingabe eigener Substanz sein; und umgekehrt, der Tausch
geschieht nicht um den Gegenstand, den der andere vorher hatte, son-
dern um den eigenen Gefühlsreflex, den der andere vorher nicht hatte;
denn der Sinn des Tausches: daſs die Wertsumme des Nachher gröſser sei
als die des Vorher — bedeutet doch, daſs jeder dem andern mehr
giebt als er selbst besessen hat. Freilich ist Wechselwirkung der
weitere, Tausch der engere Begriff; allein in menschlichen Verhält-
nissen tritt die erstere nur in Formen auf, die sie als Tausch
anzusehen gestatten. Unser natürliches Schicksal, das jeden Tag
aus einer Kontinuität von Gewinn und Verlust, Zuflieſsen und Ab-
strömen der Lebensinhalte zusammensetzt, wird im Tausch ver-
geistigt, indem nun das eine für das andere mit Bewuſstsein gesetzt
wird. Derselbe geistig-synthetische Prozeſs, der überhaupt aus dem
Nebeneinander der Dinge ein Mit- und Füreinander schafft; dasselbe
Ich, das, die sinnlichen Gegebenheiten innerlich durchströmend, ihnen
die Form seiner eigenen Einheit einbaut — hat mit dem Tausch
jenen naturgegebnen Rhythmus unserer Existenz ergriffen und seine
Elemente zu einer sinnvollen Verbundenheit organisiert. Und zwar
wird grade dem Tausch wirtschaftlicher Werte die Färbung des
Opfers am wenigsten erspart bleiben. Wo wir Liebe um Liebe
tauschen, wüſsten wir mit der darin offenbarten inneren Energie
sonst nichts anzufangen; indem wir sie hingeben, opfern wir — von
äuſseren Bethätigungsfolgen abgesehen — keinerlei Nutzen auf; wenn
wir in der Wechselrede geistige Inhalte mitteilen, so nehmen diese
darum nicht ab; wenn wir unserer Umgebung das Bild unserer Per-
sönlichkeit darbieten, indem wir das der anderen in uns aufnehmen,
so vermindert dieser Austausch unseren Besitz unser selbst in keiner
Weise. Bei all diesen Tauschen geschieht die Wertvermehrung nicht
durch Aufrechnung von Gewinn und Verlust, sondern der Beitrag jeder
Partei steht entweder ganz jenseits dieses Gegensatzes, oder es ist an
sich schon ein Gewinn, ihn nur hingeben zu dürfen; wogegen der
wirtschaftliche Tausch — mag er Substanzen oder Arbeit oder in Sub-
stanzen investierte Arbeitskraft betreffen — immer das Opfer eines
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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