gewinnen wir ein in seinen Einzelheiten bestimmtes Verhältnis zur Welt. So ist das wirtschaftliche System allerdings auf eine Abstrak- tion gegründet, auf das Gegenseitigkeitsverhältnis des Tausches, die Balance zwischen Opfer und Gewinn, während es in dem wirklichen Prozess, in dem es sich vollzieht, mit seinem Fundamente und seinem Ergebnis: den Begehrungen und den Genüssen, untrennbar verschmolzen ist. Aber diese Existenzform unterscheidet es nicht von den sonstigen Gebieten, in die wir die Gesamtheit der Erscheinungen zu den Zwecken unserer Interessen zerlegen.
Das Entscheidende für die Objektivität des wirtschaftlichen Wertes, die das Wirtschaftsgebiet als selbständiges abgrenzt, ist das prinzipielle Hinausgehen seiner Gültigkeit über das Einzelsubjekt. Dadurch, dass für den Gegenstand ein anderer gegeben werden muss, zeigt sich, dass derselbe nicht nur für mich, sondern auch an sich, d. h. auch für einen anderen, etwas wert ist. An der wirtschaftlichen Form der Werte findet die Gleichung: Objektivität-Gültigkeit für Subjekte über- haupt -- vielleicht ihre deutlichste Rechtfertigung. Durch die Äqui- valenz, die überhaupt erst gelegentlich des Tausches ein Bewusstsein und Interesse erwirbt, wächst dem Wert der spezifische Charakterzug der Objektivität zu. Denn nun mag jedes der Elemente nur personaler Art oder nur subjektiv wertvoll sein -- dass sie einander gleich sind, ist ein objektives, in keinem dieser Elemente für sich und doch nicht ausserhalb beider liegendes Moment. Der Tausch setzt ein objektives Mass subjektiver Wertschätzungen voraus, aber nicht im Sinne zeit- lichen Vorangehens, sondern so, dass beides in einem Akte besteht.
Man muss sich hier klar machen, dass die Mehrzahl der Be- ziehungen von Menschen untereinander als Tausch gelten kann; er ist die zugleich reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrer- seits das menschliche Leben ausmacht, sobald es einen Stoff und Inhalt gewinnen will. Zunächst wird schon oft übersehen, wie vieles, das auf den ersten Blick eine bloss einseitig ausgeübte Wirkung ist, thatsächlich Wechselwirkung einschliesst: der Redner scheint der Ver- sammlung, der Lehrer der Klasse, der Journalist seinem Publikum gegenüber der allein Führende und Beeinflussende zu sein; thatsächlich empfindet jeder in solcher Situation die bestimmende und lenkende Rückwirkung der scheinbar bloss passiven Masse; für politische Par- teien gilt allenthalben das Wort: "ich bin ihr Führer, also muss ich ihnen folgen"; ja, ein hervorragender Hypnotiseur hat neulich betont, dass bei der hypnotischen Suggestion -- offenbar doch dem entschie- densten Falle reiner Aktivität von der einen, unbedingter Beeinflusstheit von der anderen Seite -- eine schwer beschreibliche Wirkung des
gewinnen wir ein in seinen Einzelheiten bestimmtes Verhältnis zur Welt. So ist das wirtschaftliche System allerdings auf eine Abstrak- tion gegründet, auf das Gegenseitigkeitsverhältnis des Tausches, die Balance zwischen Opfer und Gewinn, während es in dem wirklichen Prozeſs, in dem es sich vollzieht, mit seinem Fundamente und seinem Ergebnis: den Begehrungen und den Genüssen, untrennbar verschmolzen ist. Aber diese Existenzform unterscheidet es nicht von den sonstigen Gebieten, in die wir die Gesamtheit der Erscheinungen zu den Zwecken unserer Interessen zerlegen.
Das Entscheidende für die Objektivität des wirtschaftlichen Wertes, die das Wirtschaftsgebiet als selbständiges abgrenzt, ist das prinzipielle Hinausgehen seiner Gültigkeit über das Einzelsubjekt. Dadurch, daſs für den Gegenstand ein anderer gegeben werden muſs, zeigt sich, daſs derselbe nicht nur für mich, sondern auch an sich, d. h. auch für einen anderen, etwas wert ist. An der wirtschaftlichen Form der Werte findet die Gleichung: Objektivität-Gültigkeit für Subjekte über- haupt — vielleicht ihre deutlichste Rechtfertigung. Durch die Äqui- valenz, die überhaupt erst gelegentlich des Tausches ein Bewuſstsein und Interesse erwirbt, wächst dem Wert der spezifische Charakterzug der Objektivität zu. Denn nun mag jedes der Elemente nur personaler Art oder nur subjektiv wertvoll sein — daſs sie einander gleich sind, ist ein objektives, in keinem dieser Elemente für sich und doch nicht auſserhalb beider liegendes Moment. Der Tausch setzt ein objektives Maſs subjektiver Wertschätzungen voraus, aber nicht im Sinne zeit- lichen Vorangehens, sondern so, daſs beides in einem Akte besteht.
Man muſs sich hier klar machen, daſs die Mehrzahl der Be- ziehungen von Menschen untereinander als Tausch gelten kann; er ist die zugleich reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrer- seits das menschliche Leben ausmacht, sobald es einen Stoff und Inhalt gewinnen will. Zunächst wird schon oft übersehen, wie vieles, das auf den ersten Blick eine bloſs einseitig ausgeübte Wirkung ist, thatsächlich Wechselwirkung einschlieſst: der Redner scheint der Ver- sammlung, der Lehrer der Klasse, der Journalist seinem Publikum gegenüber der allein Führende und Beeinflussende zu sein; thatsächlich empfindet jeder in solcher Situation die bestimmende und lenkende Rückwirkung der scheinbar bloſs passiven Masse; für politische Par- teien gilt allenthalben das Wort: „ich bin ihr Führer, also muſs ich ihnen folgen“; ja, ein hervorragender Hypnotiseur hat neulich betont, daſs bei der hypnotischen Suggestion — offenbar doch dem entschie- densten Falle reiner Aktivität von der einen, unbedingter Beeinfluſstheit von der anderen Seite — eine schwer beschreibliche Wirkung des
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[32/0056]
gewinnen wir ein in seinen Einzelheiten bestimmtes Verhältnis zur
Welt. So ist das wirtschaftliche System allerdings auf eine Abstrak-
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Balance zwischen Opfer und Gewinn, während es in dem wirklichen
Prozeſs, in dem es sich vollzieht, mit seinem Fundamente und seinem
Ergebnis: den Begehrungen und den Genüssen, untrennbar verschmolzen
ist. Aber diese Existenzform unterscheidet es nicht von den sonstigen
Gebieten, in die wir die Gesamtheit der Erscheinungen zu den Zwecken
unserer Interessen zerlegen.
Das Entscheidende für die Objektivität des wirtschaftlichen Wertes,
die das Wirtschaftsgebiet als selbständiges abgrenzt, ist das prinzipielle
Hinausgehen seiner Gültigkeit über das Einzelsubjekt. Dadurch, daſs
für den Gegenstand ein anderer gegeben werden muſs, zeigt sich, daſs
derselbe nicht nur für mich, sondern auch an sich, d. h. auch für
einen anderen, etwas wert ist. An der wirtschaftlichen Form der
Werte findet die Gleichung: Objektivität-Gültigkeit für Subjekte über-
haupt — vielleicht ihre deutlichste Rechtfertigung. Durch die Äqui-
valenz, die überhaupt erst gelegentlich des Tausches ein Bewuſstsein
und Interesse erwirbt, wächst dem Wert der spezifische Charakterzug
der Objektivität zu. Denn nun mag jedes der Elemente nur personaler
Art oder nur subjektiv wertvoll sein — daſs sie einander gleich sind,
ist ein objektives, in keinem dieser Elemente für sich und doch nicht
auſserhalb beider liegendes Moment. Der Tausch setzt ein objektives
Maſs subjektiver Wertschätzungen voraus, aber nicht im Sinne zeit-
lichen Vorangehens, sondern so, daſs beides in einem Akte besteht.
Man muſs sich hier klar machen, daſs die Mehrzahl der Be-
ziehungen von Menschen untereinander als Tausch gelten kann; er
ist die zugleich reinste und gesteigertste Wechselwirkung, die ihrer-
seits das menschliche Leben ausmacht, sobald es einen Stoff und
Inhalt gewinnen will. Zunächst wird schon oft übersehen, wie vieles,
das auf den ersten Blick eine bloſs einseitig ausgeübte Wirkung ist,
thatsächlich Wechselwirkung einschlieſst: der Redner scheint der Ver-
sammlung, der Lehrer der Klasse, der Journalist seinem Publikum
gegenüber der allein Führende und Beeinflussende zu sein; thatsächlich
empfindet jeder in solcher Situation die bestimmende und lenkende
Rückwirkung der scheinbar bloſs passiven Masse; für politische Par-
teien gilt allenthalben das Wort: „ich bin ihr Führer, also muſs ich
ihnen folgen“; ja, ein hervorragender Hypnotiseur hat neulich betont,
daſs bei der hypnotischen Suggestion — offenbar doch dem entschie-
densten Falle reiner Aktivität von der einen, unbedingter Beeinfluſstheit
von der anderen Seite — eine schwer beschreibliche Wirkung des
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/56>, abgerufen am 27.11.2024.
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