Lebens durch Geldvermehrung am sichtbarsten da eintreten wird, wo es sich um Geld seiner reinen Funktionsbedeutung nach, ohne irgend einen Substanzwert, handelt; die Steigerung des gesamten ökonomischen Tempos findet hier gleichsam noch in einer höheren Potenz statt, weil sie jetzt sogar rein immanent beginnt, d. h. sich in erster Instanz in der Beschleunigung der Geldfabrikation selbst offenbart. Es ist für diesen Zusammenhang beweisend, wenn in Ländern, deren wirtschaft- liches Tempo überhaupt ein rapides ist, das Papiergeld jenem An- wachsen seiner Quantität ganz besonders schnell unterliegt. Über Nord-Amerika sagt ein genauer Kenner in dieser Beziehung: "Man kann nicht erwarten, dass ein Volk, so ungeduldig gegenüber kleinen Gewinnen, so durchdrungen davon, dass sich Reichtum aus Nichts oder wenigstens aus sehr wenig machen lässt -- sich die Selbstbeschrän- kungen auferlegen wird, die in England oder Deutschland die Gefahren der Papiergeldemissionen auf ein Minimum reduzieren." Die Be- schleunigung des Lebenstempos durch die Papiergeldvermehrungen liegt aber insbesondere in den Umwälzungen des Besitzes, die von ihnen ausgehen. So geschah es sehr sichtbar in der nordamerikanischen Papier- geldwirtschaft bis zum Unabhängigkeitskriege. Das massenhaft fabri- zierte Geld, das am Anfang noch zu höherem Wert kursiert hatte, er- litt die fürchterlichsten Einbussen. Dadurch konnte heute arm sein, wer gestern noch reich war; und umgekehrt, wer dauernde Werte für geliehenes Geld erworben hatte, zahlte seine Schuld in inzwischen ent- wertetem Gelde zurück und wurde dadurch reich. Dies machte es nicht nur zum dringenden Interesse eines jeden, seine wirtschaftlichen Operationen mit grösster Beschleunigung abzuwickeln, Abschlüsse auf lange Sicht zu vermeiden und rasch zugreifen zu lernen -- sondern jene Besitzschwankungen erzeugten auch die fortwährenden Unter- schiedsempfindungen, die plötzlichen Risse und Erschütterungen inner- halb des ökonomischen Weltbildes, die sich in alle möglichen anderen Provinzen des Lebens fortpflanzen und so als wachsende Intensität seines Verlaufes oder Steigerung seines Tempos empfunden werden. Dass nachher die Krisis das wirtschaftliche Leben in demselben Ver- hältnis retardiert und erstarren lässt, beweist grade die spezifische Be- deutung des Geldes für sein Tempo. Auch hier entspricht seine Rolle für den objektiven Verlauf der Wirtschaft der des Vermittlers für die subjektive Seite derselben: denn es ist mit Recht bemerkt worden, dass die Vermehrung der Tauschmittel über das Bedürfnis hinaus den Tausch verlangsamt, grade wie die Vermehrung der Makler zwar bis zu einem gewissen Punkte verkehrserleichternd, über diesen hinaus aber verkehrserschwerend wirke. Ganz prinzipiell angesehen, ist das
Lebens durch Geldvermehrung am sichtbarsten da eintreten wird, wo es sich um Geld seiner reinen Funktionsbedeutung nach, ohne irgend einen Substanzwert, handelt; die Steigerung des gesamten ökonomischen Tempos findet hier gleichsam noch in einer höheren Potenz statt, weil sie jetzt sogar rein immanent beginnt, d. h. sich in erster Instanz in der Beschleunigung der Geldfabrikation selbst offenbart. Es ist für diesen Zusammenhang beweisend, wenn in Ländern, deren wirtschaft- liches Tempo überhaupt ein rapides ist, das Papiergeld jenem An- wachsen seiner Quantität ganz besonders schnell unterliegt. Über Nord-Amerika sagt ein genauer Kenner in dieser Beziehung: „Man kann nicht erwarten, daſs ein Volk, so ungeduldig gegenüber kleinen Gewinnen, so durchdrungen davon, daſs sich Reichtum aus Nichts oder wenigstens aus sehr wenig machen läſst — sich die Selbstbeschrän- kungen auferlegen wird, die in England oder Deutschland die Gefahren der Papiergeldemissionen auf ein Minimum reduzieren.“ Die Be- schleunigung des Lebenstempos durch die Papiergeldvermehrungen liegt aber insbesondere in den Umwälzungen des Besitzes, die von ihnen ausgehen. So geschah es sehr sichtbar in der nordamerikanischen Papier- geldwirtschaft bis zum Unabhängigkeitskriege. Das massenhaft fabri- zierte Geld, das am Anfang noch zu höherem Wert kursiert hatte, er- litt die fürchterlichsten Einbuſsen. Dadurch konnte heute arm sein, wer gestern noch reich war; und umgekehrt, wer dauernde Werte für geliehenes Geld erworben hatte, zahlte seine Schuld in inzwischen ent- wertetem Gelde zurück und wurde dadurch reich. Dies machte es nicht nur zum dringenden Interesse eines jeden, seine wirtschaftlichen Operationen mit gröſster Beschleunigung abzuwickeln, Abschlüsse auf lange Sicht zu vermeiden und rasch zugreifen zu lernen — sondern jene Besitzschwankungen erzeugten auch die fortwährenden Unter- schiedsempfindungen, die plötzlichen Risse und Erschütterungen inner- halb des ökonomischen Weltbildes, die sich in alle möglichen anderen Provinzen des Lebens fortpflanzen und so als wachsende Intensität seines Verlaufes oder Steigerung seines Tempos empfunden werden. Daſs nachher die Krisis das wirtschaftliche Leben in demselben Ver- hältnis retardiert und erstarren läſst, beweist grade die spezifische Be- deutung des Geldes für sein Tempo. Auch hier entspricht seine Rolle für den objektiven Verlauf der Wirtschaft der des Vermittlers für die subjektive Seite derselben: denn es ist mit Recht bemerkt worden, daſs die Vermehrung der Tauschmittel über das Bedürfnis hinaus den Tausch verlangsamt, grade wie die Vermehrung der Makler zwar bis zu einem gewissen Punkte verkehrserleichternd, über diesen hinaus aber verkehrserschwerend wirke. Ganz prinzipiell angesehen, ist das
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Lebens durch Geldvermehrung am sichtbarsten da eintreten wird, wo
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einen Substanzwert, handelt; die Steigerung des gesamten ökonomischen
Tempos findet hier gleichsam noch in einer höheren Potenz statt, weil
sie jetzt sogar rein immanent beginnt, d. h. sich in erster Instanz in
der Beschleunigung der Geldfabrikation selbst offenbart. Es ist für
diesen Zusammenhang beweisend, wenn in Ländern, deren wirtschaft-
liches Tempo überhaupt ein rapides ist, das Papiergeld jenem An-
wachsen seiner Quantität ganz besonders schnell unterliegt. Über
Nord-Amerika sagt ein genauer Kenner in dieser Beziehung: „Man
kann nicht erwarten, daſs ein Volk, so ungeduldig gegenüber kleinen
Gewinnen, so durchdrungen davon, daſs sich Reichtum aus Nichts oder
wenigstens aus sehr wenig machen läſst — sich die Selbstbeschrän-
kungen auferlegen wird, die in England oder Deutschland die Gefahren
der Papiergeldemissionen auf ein Minimum reduzieren.“ Die Be-
schleunigung des Lebenstempos durch die Papiergeldvermehrungen liegt
aber insbesondere in den Umwälzungen des Besitzes, die von ihnen
ausgehen. So geschah es sehr sichtbar in der nordamerikanischen Papier-
geldwirtschaft bis zum Unabhängigkeitskriege. Das massenhaft fabri-
zierte Geld, das am Anfang noch zu höherem Wert kursiert hatte, er-
litt die fürchterlichsten Einbuſsen. Dadurch konnte heute arm sein,
wer gestern noch reich war; und umgekehrt, wer dauernde Werte für
geliehenes Geld erworben hatte, zahlte seine Schuld in inzwischen ent-
wertetem Gelde zurück und wurde dadurch reich. Dies machte es
nicht nur zum dringenden Interesse eines jeden, seine wirtschaftlichen
Operationen mit gröſster Beschleunigung abzuwickeln, Abschlüsse auf
lange Sicht zu vermeiden und rasch zugreifen zu lernen — sondern
jene Besitzschwankungen erzeugten auch die fortwährenden Unter-
schiedsempfindungen, die plötzlichen Risse und Erschütterungen inner-
halb des ökonomischen Weltbildes, die sich in alle möglichen anderen
Provinzen des Lebens fortpflanzen und so als wachsende Intensität
seines Verlaufes oder Steigerung seines Tempos empfunden werden.
Daſs nachher die Krisis das wirtschaftliche Leben in demselben Ver-
hältnis retardiert und erstarren läſst, beweist grade die spezifische Be-
deutung des Geldes für sein Tempo. Auch hier entspricht seine Rolle
für den objektiven Verlauf der Wirtschaft der des Vermittlers für die
subjektive Seite derselben: denn es ist mit Recht bemerkt worden,
daſs die Vermehrung der Tauschmittel über das Bedürfnis hinaus den
Tausch verlangsamt, grade wie die Vermehrung der Makler zwar bis
zu einem gewissen Punkte verkehrserleichternd, über diesen hinaus
aber verkehrserschwerend wirke. Ganz prinzipiell angesehen, ist das
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/565>, abgerufen am 23.11.2024.
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