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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Wechselmessen eine erheblichere Geldsumme aufzutreiben; die Ver-
breitung dieser Möglichkeit auf jeden beliebigen Augenblick, in dem
der Einzelne Geld bedarf, bezeichnet den Übergang zu der vollen Ent-
wicklung der Geldwirtschaft. Immerhin ist es für die Fluktuation
zwischen rhythmischer und unrhythmischer Gestaltung des Geldwesens
und für das Empfinden derselben bezeichnend, dass von den an die
mittelalterliche Zeitbeschränktheit Gewöhnten der Antwerpener Verkehr
eine "unaufhörliche Messe" genannt wurde. Ferner: solange der
einzelne Geschäftsmann alle Zahlungen unmittelbar aus seiner Kasse
leistet, bezw. in dieselbe einnimmt, muss er zu den Zeiten, wo regel-
mässig grössere Summen fällig werden, einen erheblichen Barbestand
beschaffen und andrerseits in den Zeiten überwiegender Eingänge die-
selben sogleich zweckmässig unterzubringen wissen. Die Konzentrierung
des Geldverkehrs in den grossen Banken enthebt ihn dieses periodischen
Zwanges zur Aufhäufung und Drainierung; denn nun werden, indem
er und seine Geschäftsfreunde mit derselben Girobank arbeiten, Aktiva
und Passiva einfach durch buchmässige Übertragung saldiert, so dass
der Kaufmann nur noch eines relativ geringfügigen und immer gleich-
bleibenden Kassenbestandes für die täglichen Ausgaben bedarf, während
die Bank selbst, weil die Ein- und Ausgänge von den verschiednen
Seiten sich im ganzen paralysieren, einen relativ viel kleineren Bar-
bestand, als sonst der individuelle Kaufmann, zu halten braucht. End-
lich ein letztes Beispiel. Der mehr oder weniger periodische Wechsel
von Not und Plethora in Zeiten unentwickelter Geldkultur bewirkt
einen entsprechend periodischen Wechsel des Zinsfusses zwischen grosser
Billigkeit und schwindelhafter Höhe. Die Vervollkommnung der Geld-
wirtschaft hat nun diese Schwankungen derartig ausgeglichen, dass der
Zinsfuss, mit früheren Zeiten verglichen, kaum noch aus seiner Stabi-
lität weicht und dass eine Änderung des englischen Bankdiskonts um
ein Prozent schon als ein Ereignis von grosser Bedeutsamkeit gilt;
wodurch denn der Einzelne in seinen Dispositionen ausserordentlich
beweglicher und von der Bedingtheit durch Schwankungen befreit wird,
die oberhalb seiner liegen und deren Rhythmus die Erfordernisse seines
eignen Geschäftsgebarens in eine ihnen oft genug widerstrebende
Formung zwang.

Die Gestaltungen, die der Rhythmus oder sein Gegenteil den Da-
seinsinhalten verleiht, verlassen nun aber ihre Form als wechselnde
Stadien einer Entwicklung und bieten sich im Zugleich dar. Das
Lebensprinzip, das man mit dem Symbol des Rhythmisch-Symmetrischen,
und dasjenige, das man als das individualistisch-spontane bezeichnen
kann, sind die Formulierungen tiefster Wesensrichtungen, deren Gegen-

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Wechselmessen eine erheblichere Geldsumme aufzutreiben; die Ver-
breitung dieser Möglichkeit auf jeden beliebigen Augenblick, in dem
der Einzelne Geld bedarf, bezeichnet den Übergang zu der vollen Ent-
wicklung der Geldwirtschaft. Immerhin ist es für die Fluktuation
zwischen rhythmischer und unrhythmischer Gestaltung des Geldwesens
und für das Empfinden derselben bezeichnend, daſs von den an die
mittelalterliche Zeitbeschränktheit Gewöhnten der Antwerpener Verkehr
eine „unaufhörliche Messe“ genannt wurde. Ferner: solange der
einzelne Geschäftsmann alle Zahlungen unmittelbar aus seiner Kasse
leistet, bezw. in dieselbe einnimmt, muſs er zu den Zeiten, wo regel-
mäſsig gröſsere Summen fällig werden, einen erheblichen Barbestand
beschaffen und andrerseits in den Zeiten überwiegender Eingänge die-
selben sogleich zweckmäſsig unterzubringen wissen. Die Konzentrierung
des Geldverkehrs in den groſsen Banken enthebt ihn dieses periodischen
Zwanges zur Aufhäufung und Drainierung; denn nun werden, indem
er und seine Geschäftsfreunde mit derselben Girobank arbeiten, Aktiva
und Passiva einfach durch buchmäſsige Übertragung saldiert, so daſs
der Kaufmann nur noch eines relativ geringfügigen und immer gleich-
bleibenden Kassenbestandes für die täglichen Ausgaben bedarf, während
die Bank selbst, weil die Ein- und Ausgänge von den verschiednen
Seiten sich im ganzen paralysieren, einen relativ viel kleineren Bar-
bestand, als sonst der individuelle Kaufmann, zu halten braucht. End-
lich ein letztes Beispiel. Der mehr oder weniger periodische Wechsel
von Not und Plethora in Zeiten unentwickelter Geldkultur bewirkt
einen entsprechend periodischen Wechsel des Zinsfuſses zwischen groſser
Billigkeit und schwindelhafter Höhe. Die Vervollkommnung der Geld-
wirtschaft hat nun diese Schwankungen derartig ausgeglichen, daſs der
Zinsfuſs, mit früheren Zeiten verglichen, kaum noch aus seiner Stabi-
lität weicht und daſs eine Änderung des englischen Bankdiskonts um
ein Prozent schon als ein Ereignis von groſser Bedeutsamkeit gilt;
wodurch denn der Einzelne in seinen Dispositionen auſserordentlich
beweglicher und von der Bedingtheit durch Schwankungen befreit wird,
die oberhalb seiner liegen und deren Rhythmus die Erfordernisse seines
eignen Geschäftsgebarens in eine ihnen oft genug widerstrebende
Formung zwang.

Die Gestaltungen, die der Rhythmus oder sein Gegenteil den Da-
seinsinhalten verleiht, verlassen nun aber ihre Form als wechselnde
Stadien einer Entwicklung und bieten sich im Zugleich dar. Das
Lebensprinzip, das man mit dem Symbol des Rhythmisch-Symmetrischen,
und dasjenige, das man als das individualistisch-spontane bezeichnen
kann, sind die Formulierungen tiefster Wesensrichtungen, deren Gegen-

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[531/0555] Wechselmessen eine erheblichere Geldsumme aufzutreiben; die Ver- breitung dieser Möglichkeit auf jeden beliebigen Augenblick, in dem der Einzelne Geld bedarf, bezeichnet den Übergang zu der vollen Ent- wicklung der Geldwirtschaft. Immerhin ist es für die Fluktuation zwischen rhythmischer und unrhythmischer Gestaltung des Geldwesens und für das Empfinden derselben bezeichnend, daſs von den an die mittelalterliche Zeitbeschränktheit Gewöhnten der Antwerpener Verkehr eine „unaufhörliche Messe“ genannt wurde. Ferner: solange der einzelne Geschäftsmann alle Zahlungen unmittelbar aus seiner Kasse leistet, bezw. in dieselbe einnimmt, muſs er zu den Zeiten, wo regel- mäſsig gröſsere Summen fällig werden, einen erheblichen Barbestand beschaffen und andrerseits in den Zeiten überwiegender Eingänge die- selben sogleich zweckmäſsig unterzubringen wissen. Die Konzentrierung des Geldverkehrs in den groſsen Banken enthebt ihn dieses periodischen Zwanges zur Aufhäufung und Drainierung; denn nun werden, indem er und seine Geschäftsfreunde mit derselben Girobank arbeiten, Aktiva und Passiva einfach durch buchmäſsige Übertragung saldiert, so daſs der Kaufmann nur noch eines relativ geringfügigen und immer gleich- bleibenden Kassenbestandes für die täglichen Ausgaben bedarf, während die Bank selbst, weil die Ein- und Ausgänge von den verschiednen Seiten sich im ganzen paralysieren, einen relativ viel kleineren Bar- bestand, als sonst der individuelle Kaufmann, zu halten braucht. End- lich ein letztes Beispiel. Der mehr oder weniger periodische Wechsel von Not und Plethora in Zeiten unentwickelter Geldkultur bewirkt einen entsprechend periodischen Wechsel des Zinsfuſses zwischen groſser Billigkeit und schwindelhafter Höhe. Die Vervollkommnung der Geld- wirtschaft hat nun diese Schwankungen derartig ausgeglichen, daſs der Zinsfuſs, mit früheren Zeiten verglichen, kaum noch aus seiner Stabi- lität weicht und daſs eine Änderung des englischen Bankdiskonts um ein Prozent schon als ein Ereignis von groſser Bedeutsamkeit gilt; wodurch denn der Einzelne in seinen Dispositionen auſserordentlich beweglicher und von der Bedingtheit durch Schwankungen befreit wird, die oberhalb seiner liegen und deren Rhythmus die Erfordernisse seines eignen Geschäftsgebarens in eine ihnen oft genug widerstrebende Formung zwang. Die Gestaltungen, die der Rhythmus oder sein Gegenteil den Da- seinsinhalten verleiht, verlassen nun aber ihre Form als wechselnde Stadien einer Entwicklung und bieten sich im Zugleich dar. Das Lebensprinzip, das man mit dem Symbol des Rhythmisch-Symmetrischen, und dasjenige, das man als das individualistisch-spontane bezeichnen kann, sind die Formulierungen tiefster Wesensrichtungen, deren Gegen- 34*

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/555>, abgerufen am 25.04.2024.