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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Leichtsinn grade besonders verführerisch, wenn man das viele weg-
zugebende Geld nicht vor sich sieht, sondern nur mit einem Federzug
darüber verfügt. Die Form des Checkverkehrs rückt uns einerseits
durch den mehrgliedrigen Mechanismus zwischen uns und dem Gelde,
den wir immer erst in Bewegung zu setzen haben, von diesem ab,
andrerseits aber erleichtert sie uns die Aktion damit, nicht nur wegen
der technischen Bequemlichkeit, sondern auch psychologisch, weil das
bare Geld uns seinen Wert sinnlicher vor Augen stellt und uns damit
die Trennung von ihm erschwert.

Von den derartigen Bedeutungen des Kreditcharakters des Ver-
kehrs greife ich nur eine heraus, welche zwar nicht durchgehend, aber
sehr bezeichnend ist. Ein Reisender erzählt, ein englischer Kaufmann
habe ihm einmal definiert: "ein gewöhnlicher Mann ist, wer Waren gegen
bare Zahlung kauft, ein Gentleman der, dem ich Kredit gebe und der
mich alle sechs Monate mit einem Check bezahlt". Hier ist zunächst
die Grundempfindung bemerkenswert: dass nicht ein Gentleman voraus-
gesetzt wird, der dann als solcher Kredit erhält, sondern dass der-
jenige, der Kredit beansprucht, eben ein Gentleman ist. Dass so der
Kreditverkehr als der vornehmere erscheint, geht wohl auf zweierlei
Empfindungsrichtungen zurück. Zunächst darauf, dass er Vertrauen
fordert. Es ist das Wesen der Vornehmheit, ihre Gesinnung und deren
Wert nicht sowohl vorzudemonstrieren, als den Glauben daran ein-
fach vorauszusetzen -- weshalb denn auch, entsprechend, alles osten-
tative Hervorkehren des Reichtums so spezifisch unvornehm ist. Gewiss
enthält jedes Vertrauen eine Gefahr; der vornehme Mensch verlangt,
dass man im Verkehr mit ihm diese Gefahr auf sich nehme, und zwar
mit der Nüance, dass er, in der absoluten Sicherheit über sich selbst,
dies gar nicht als eine Gefahr anerkennt und deshalb sozusagen
keine Risikoprämie dafür gewährt: das drückt das Schillersche Epi-
gramm so aus, dass adlige Naturen nicht mit dem, was sie thun,
sondern nur mit dem, was sie sind, zahlen. Es ist begreiflich, wie
die bare, Zug um Zug erfolgende Zahlung für jenen Kaufmann etwas
kleinbürgerliches hatte, sie rückt die Momente der wirtschaftlichen Reihe
in ängstliche Enge zusammen, während der Kredit eine Distanz zwischen
ihnen ausspannt, die er vermittels des Vertrauens beherrscht. Es
ist allenthalben das Schema höherer Entwicklungsstufen, dass das ur-
sprüngliche Aneinander und die unmittelbare Einheit der Elemente
aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und von einander abgerückt,
nun in eine neue, geistigere, umfassendere Synthese vereinheitlicht
werden. Im Kreditverkehr wird statt der Unmittelbarkeit der Wert-
ausgleichung eine Distanz gesetzt, deren Pole durch den Glauben zu-

Leichtsinn grade besonders verführerisch, wenn man das viele weg-
zugebende Geld nicht vor sich sieht, sondern nur mit einem Federzug
darüber verfügt. Die Form des Checkverkehrs rückt uns einerseits
durch den mehrgliedrigen Mechanismus zwischen uns und dem Gelde,
den wir immer erst in Bewegung zu setzen haben, von diesem ab,
andrerseits aber erleichtert sie uns die Aktion damit, nicht nur wegen
der technischen Bequemlichkeit, sondern auch psychologisch, weil das
bare Geld uns seinen Wert sinnlicher vor Augen stellt und uns damit
die Trennung von ihm erschwert.

Von den derartigen Bedeutungen des Kreditcharakters des Ver-
kehrs greife ich nur eine heraus, welche zwar nicht durchgehend, aber
sehr bezeichnend ist. Ein Reisender erzählt, ein englischer Kaufmann
habe ihm einmal definiert: „ein gewöhnlicher Mann ist, wer Waren gegen
bare Zahlung kauft, ein Gentleman der, dem ich Kredit gebe und der
mich alle sechs Monate mit einem Check bezahlt“. Hier ist zunächst
die Grundempfindung bemerkenswert: daſs nicht ein Gentleman voraus-
gesetzt wird, der dann als solcher Kredit erhält, sondern daſs der-
jenige, der Kredit beansprucht, eben ein Gentleman ist. Daſs so der
Kreditverkehr als der vornehmere erscheint, geht wohl auf zweierlei
Empfindungsrichtungen zurück. Zunächst darauf, daſs er Vertrauen
fordert. Es ist das Wesen der Vornehmheit, ihre Gesinnung und deren
Wert nicht sowohl vorzudemonstrieren, als den Glauben daran ein-
fach vorauszusetzen — weshalb denn auch, entsprechend, alles osten-
tative Hervorkehren des Reichtums so spezifisch unvornehm ist. Gewiſs
enthält jedes Vertrauen eine Gefahr; der vornehme Mensch verlangt,
daſs man im Verkehr mit ihm diese Gefahr auf sich nehme, und zwar
mit der Nüance, daſs er, in der absoluten Sicherheit über sich selbst,
dies gar nicht als eine Gefahr anerkennt und deshalb sozusagen
keine Risikoprämie dafür gewährt: das drückt das Schillersche Epi-
gramm so aus, daſs adlige Naturen nicht mit dem, was sie thun,
sondern nur mit dem, was sie sind, zahlen. Es ist begreiflich, wie
die bare, Zug um Zug erfolgende Zahlung für jenen Kaufmann etwas
kleinbürgerliches hatte, sie rückt die Momente der wirtschaftlichen Reihe
in ängstliche Enge zusammen, während der Kredit eine Distanz zwischen
ihnen ausspannt, die er vermittels des Vertrauens beherrscht. Es
ist allenthalben das Schema höherer Entwicklungsstufen, daſs das ur-
sprüngliche Aneinander und die unmittelbare Einheit der Elemente
aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und von einander abgerückt,
nun in eine neue, geistigere, umfassendere Synthese vereinheitlicht
werden. Im Kreditverkehr wird statt der Unmittelbarkeit der Wert-
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[517/0541] Leichtsinn grade besonders verführerisch, wenn man das viele weg- zugebende Geld nicht vor sich sieht, sondern nur mit einem Federzug darüber verfügt. Die Form des Checkverkehrs rückt uns einerseits durch den mehrgliedrigen Mechanismus zwischen uns und dem Gelde, den wir immer erst in Bewegung zu setzen haben, von diesem ab, andrerseits aber erleichtert sie uns die Aktion damit, nicht nur wegen der technischen Bequemlichkeit, sondern auch psychologisch, weil das bare Geld uns seinen Wert sinnlicher vor Augen stellt und uns damit die Trennung von ihm erschwert. Von den derartigen Bedeutungen des Kreditcharakters des Ver- kehrs greife ich nur eine heraus, welche zwar nicht durchgehend, aber sehr bezeichnend ist. Ein Reisender erzählt, ein englischer Kaufmann habe ihm einmal definiert: „ein gewöhnlicher Mann ist, wer Waren gegen bare Zahlung kauft, ein Gentleman der, dem ich Kredit gebe und der mich alle sechs Monate mit einem Check bezahlt“. Hier ist zunächst die Grundempfindung bemerkenswert: daſs nicht ein Gentleman voraus- gesetzt wird, der dann als solcher Kredit erhält, sondern daſs der- jenige, der Kredit beansprucht, eben ein Gentleman ist. Daſs so der Kreditverkehr als der vornehmere erscheint, geht wohl auf zweierlei Empfindungsrichtungen zurück. Zunächst darauf, daſs er Vertrauen fordert. Es ist das Wesen der Vornehmheit, ihre Gesinnung und deren Wert nicht sowohl vorzudemonstrieren, als den Glauben daran ein- fach vorauszusetzen — weshalb denn auch, entsprechend, alles osten- tative Hervorkehren des Reichtums so spezifisch unvornehm ist. Gewiſs enthält jedes Vertrauen eine Gefahr; der vornehme Mensch verlangt, daſs man im Verkehr mit ihm diese Gefahr auf sich nehme, und zwar mit der Nüance, daſs er, in der absoluten Sicherheit über sich selbst, dies gar nicht als eine Gefahr anerkennt und deshalb sozusagen keine Risikoprämie dafür gewährt: das drückt das Schillersche Epi- gramm so aus, daſs adlige Naturen nicht mit dem, was sie thun, sondern nur mit dem, was sie sind, zahlen. Es ist begreiflich, wie die bare, Zug um Zug erfolgende Zahlung für jenen Kaufmann etwas kleinbürgerliches hatte, sie rückt die Momente der wirtschaftlichen Reihe in ängstliche Enge zusammen, während der Kredit eine Distanz zwischen ihnen ausspannt, die er vermittels des Vertrauens beherrscht. Es ist allenthalben das Schema höherer Entwicklungsstufen, daſs das ur- sprüngliche Aneinander und die unmittelbare Einheit der Elemente aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und von einander abgerückt, nun in eine neue, geistigere, umfassendere Synthese vereinheitlicht werden. Im Kreditverkehr wird statt der Unmittelbarkeit der Wert- ausgleichung eine Distanz gesetzt, deren Pole durch den Glauben zu-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/541>, abgerufen am 22.11.2024.