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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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der Alpen und an der Nordsee zu finden pflegt, so ist das wohl nicht
allein durch das gesteigerte Aufregungsbedürfnis zu erklären; sondern
auch so, dass diese unzugängige, uns eigentlich zurückstossende Welt
die äusserste Steigerung und Stilisierung dessen darstellt, was uns
Natur überhaupt noch ist: ein seelisches Fernbild, das selbst in den
Augenblicken körperlicher Nähe wie ein innerlich Unerreichbares, ein
nie ganz eingelöstes Versprechen vor uns steht und selbst unsere leiden-
schaftlichste Hingabe mit einer leisen Abwehr und Fremdheit erwidert.
Dass erst die moderne Zeit die Landschaftsmalerei ausgebildet hat --
die, als Kunst, nur in einem Abstand vom Objekte und im Bruch der
natürlichen Einheit mit ihm leben kann -- und dass auch erst sie das
romantische Naturgefühl kennt, das sind die Folgen jener Distanzierung
von der Natur, jener eigentlich abstrakten Existenz, zu der das auf
die Geldwirtschaft gebaute Stadtleben uns gebracht hat. Und dem
widerspricht nicht, dass grade der Geldbesitz uns die Flucht in die
Natur gestattet. Denn grade dass sie für den Stadtmenschen nur
unter dieser Bedingung zu geniessen ist, das schiebt -- in wie vielen
Umsetzungen und blossen Nachklängen auch immer -- zwischen ihn
und sie jene Instanz ein, die nur verbindet, indem sie zugleich trennt.

In weiterem Masse tritt diese Bedeutung des Geldwesens an
seiner Steigerung, dem Kredite, hervor. Der Kredit spannt die Vor-
stellungsreihen noch mehr und mit einem entschiedneren Bewusstsein
ihrer unverkürzlichen Weite aus, als die Zwischeninstanz des baren
Geldes es für sich thut. Der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen
Kreditgeber und Kreditnehmer ist gleichsam aus der gradlinigen Ver-
bindung ihrer hinaus und in einer weiten Distanz von ihnen festgelegt:
die Thätigkeit des Einzelnen wie der Verkehr bekommt dadurch den Cha-
rakter der Langsichtigkeit und den der gesteigerten Symbolik. Indem
der Wechsel oder überhaupt der Begriff der Geldschuld die Werte
weit abliegender Objekte vertritt, verdichtet er sie ebenso in sich, wie
der Blick über eine räumliche Entfernung hin die Inhalte der Strecke
in perspektivischer Verkürzung zusammendrängt. Und wie uns das
Geld von den Dingen entfernt, aber auch -- in diesen gegensätzlichen
Wirkungen seine spezifische Indifferenz zeigend -- sie uns näher
bringt, so hat die Kreditanweisung ein doppeltes Verhältnis zu unserem
Vermögensbestande. Vom Checkverkehr ist einerseits hervorgehoben
worden, dass er ein Palliativmittel gegen Verschwendungen bilde;
manche Individuen liessen sich angesichts ihres Kassenbarbestandes
leichter zu unnützen Ausgaben verleiten, als wenn sie denselben im
Depot eines Dritten haben und erst durch eine Anweisung darüber
verfügen müssen. Andrerseits aber scheint mir die Versuchung zum

der Alpen und an der Nordsee zu finden pflegt, so ist das wohl nicht
allein durch das gesteigerte Aufregungsbedürfnis zu erklären; sondern
auch so, daſs diese unzugängige, uns eigentlich zurückstoſsende Welt
die äuſserste Steigerung und Stilisierung dessen darstellt, was uns
Natur überhaupt noch ist: ein seelisches Fernbild, das selbst in den
Augenblicken körperlicher Nähe wie ein innerlich Unerreichbares, ein
nie ganz eingelöstes Versprechen vor uns steht und selbst unsere leiden-
schaftlichste Hingabe mit einer leisen Abwehr und Fremdheit erwidert.
Daſs erst die moderne Zeit die Landschaftsmalerei ausgebildet hat —
die, als Kunst, nur in einem Abstand vom Objekte und im Bruch der
natürlichen Einheit mit ihm leben kann — und daſs auch erst sie das
romantische Naturgefühl kennt, das sind die Folgen jener Distanzierung
von der Natur, jener eigentlich abstrakten Existenz, zu der das auf
die Geldwirtschaft gebaute Stadtleben uns gebracht hat. Und dem
widerspricht nicht, daſs grade der Geldbesitz uns die Flucht in die
Natur gestattet. Denn grade daſs sie für den Stadtmenschen nur
unter dieser Bedingung zu genieſsen ist, das schiebt — in wie vielen
Umsetzungen und bloſsen Nachklängen auch immer — zwischen ihn
und sie jene Instanz ein, die nur verbindet, indem sie zugleich trennt.

In weiterem Maſse tritt diese Bedeutung des Geldwesens an
seiner Steigerung, dem Kredite, hervor. Der Kredit spannt die Vor-
stellungsreihen noch mehr und mit einem entschiedneren Bewuſstsein
ihrer unverkürzlichen Weite aus, als die Zwischeninstanz des baren
Geldes es für sich thut. Der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen
Kreditgeber und Kreditnehmer ist gleichsam aus der gradlinigen Ver-
bindung ihrer hinaus und in einer weiten Distanz von ihnen festgelegt:
die Thätigkeit des Einzelnen wie der Verkehr bekommt dadurch den Cha-
rakter der Langsichtigkeit und den der gesteigerten Symbolik. Indem
der Wechsel oder überhaupt der Begriff der Geldschuld die Werte
weit abliegender Objekte vertritt, verdichtet er sie ebenso in sich, wie
der Blick über eine räumliche Entfernung hin die Inhalte der Strecke
in perspektivischer Verkürzung zusammendrängt. Und wie uns das
Geld von den Dingen entfernt, aber auch — in diesen gegensätzlichen
Wirkungen seine spezifische Indifferenz zeigend — sie uns näher
bringt, so hat die Kreditanweisung ein doppeltes Verhältnis zu unserem
Vermögensbestande. Vom Checkverkehr ist einerseits hervorgehoben
worden, daſs er ein Palliativmittel gegen Verschwendungen bilde;
manche Individuen lieſsen sich angesichts ihres Kassenbarbestandes
leichter zu unnützen Ausgaben verleiten, als wenn sie denselben im
Depot eines Dritten haben und erst durch eine Anweisung darüber
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[516/0540] der Alpen und an der Nordsee zu finden pflegt, so ist das wohl nicht allein durch das gesteigerte Aufregungsbedürfnis zu erklären; sondern auch so, daſs diese unzugängige, uns eigentlich zurückstoſsende Welt die äuſserste Steigerung und Stilisierung dessen darstellt, was uns Natur überhaupt noch ist: ein seelisches Fernbild, das selbst in den Augenblicken körperlicher Nähe wie ein innerlich Unerreichbares, ein nie ganz eingelöstes Versprechen vor uns steht und selbst unsere leiden- schaftlichste Hingabe mit einer leisen Abwehr und Fremdheit erwidert. Daſs erst die moderne Zeit die Landschaftsmalerei ausgebildet hat — die, als Kunst, nur in einem Abstand vom Objekte und im Bruch der natürlichen Einheit mit ihm leben kann — und daſs auch erst sie das romantische Naturgefühl kennt, das sind die Folgen jener Distanzierung von der Natur, jener eigentlich abstrakten Existenz, zu der das auf die Geldwirtschaft gebaute Stadtleben uns gebracht hat. Und dem widerspricht nicht, daſs grade der Geldbesitz uns die Flucht in die Natur gestattet. Denn grade daſs sie für den Stadtmenschen nur unter dieser Bedingung zu genieſsen ist, das schiebt — in wie vielen Umsetzungen und bloſsen Nachklängen auch immer — zwischen ihn und sie jene Instanz ein, die nur verbindet, indem sie zugleich trennt. In weiterem Maſse tritt diese Bedeutung des Geldwesens an seiner Steigerung, dem Kredite, hervor. Der Kredit spannt die Vor- stellungsreihen noch mehr und mit einem entschiedneren Bewuſstsein ihrer unverkürzlichen Weite aus, als die Zwischeninstanz des baren Geldes es für sich thut. Der Drehpunkt des Verhältnisses zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer ist gleichsam aus der gradlinigen Ver- bindung ihrer hinaus und in einer weiten Distanz von ihnen festgelegt: die Thätigkeit des Einzelnen wie der Verkehr bekommt dadurch den Cha- rakter der Langsichtigkeit und den der gesteigerten Symbolik. Indem der Wechsel oder überhaupt der Begriff der Geldschuld die Werte weit abliegender Objekte vertritt, verdichtet er sie ebenso in sich, wie der Blick über eine räumliche Entfernung hin die Inhalte der Strecke in perspektivischer Verkürzung zusammendrängt. Und wie uns das Geld von den Dingen entfernt, aber auch — in diesen gegensätzlichen Wirkungen seine spezifische Indifferenz zeigend — sie uns näher bringt, so hat die Kreditanweisung ein doppeltes Verhältnis zu unserem Vermögensbestande. Vom Checkverkehr ist einerseits hervorgehoben worden, daſs er ein Palliativmittel gegen Verschwendungen bilde; manche Individuen lieſsen sich angesichts ihres Kassenbarbestandes leichter zu unnützen Ausgaben verleiten, als wenn sie denselben im Depot eines Dritten haben und erst durch eine Anweisung darüber verfügen müssen. Andrerseits aber scheint mir die Versuchung zum

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/540>, abgerufen am 07.05.2024.