Gelde "Blut klebt" oder ein Fluch haftet, sind Sentimentalitäten, die mit der wachsenden Indifferenz des Geldes -- indem es also immer mehr bloss Geld wird -- ihre Bedeutung ganz einbüssen. Die rein negative Bestimmung, dass keinerlei Rücksicht sachlicher oder ethischer Art, wie sie sich aus andern Besitzarten ergiebt, die Verwendung des Geldes bestimmt, wächst ohne weiteres zur Rücksichtslosigkeit als einer ganz positiven Verhaltungsart aus. Seine Nachgiebigkeit, die aus seinem völligen Gelöstsein von singulären Interessen, Ursprüngen und Beziehungen folgt, enthält als anscheinend logische Konsequenz die Aufforderung, uns in den von ihm beherrschten Lebensprovinzen keinerlei Zwang anzuthun. An seiner absoluten Sachlichkeit, die grade aus dem Ausschluss jeder einseitigen Sachlichkeit hervorgeht, findet der Egoismus reinen Tisch vor, wie er ihn auch an der blossen In- tellektualität fand -- aus keinem anderen Grunde, als weil diese Trieb- feder die logisch einfachste und nächstliegende ist, so dass die rein formalen und indifferenten Lebensmächte an ihr ihre erste, gleichsam natürliche und wahlverwandte Erfüllung finden.
Es ist nicht nur, wie ich es oben berührte, die Rechtsform über- haupt, die sich mit der reinen Intellektualität und dem Geldverkehr darin trifft, dass sie sich alle dem sachlich und sittlich perversesten In- halte nicht entziehen; sondern es ist vor allem das Prinzip der Rechts- gleichheit, in dem diese Diskrepanz zwischen der Form und dem realen Inhalt gipfelt. Alle drei: das Recht, die Intellektualität, das Geld, sind durch die Gleichgültigkeit gegen individuelle Eigen- heit charakterisiert; alle drei ziehen aus der konkreten Ganzheit der Lebensbewegungen einen abstrakten, allgemeinen Faktor heraus, der sich nach eigenen und selbständigen Normen entwickelt und von diesen aus in jene Gesamtheit der Interessen des Daseins eingreift und sie nach sich bestimmt. Indem alle drei also Inhalten, gegen die sie ihrem Wesen nach gleichgültig sind, Formen und Richtungen vor- zuschreiben mächtig sind, bringen sie unvermeidlich die Widersprüche, die uns hier beschäftigen, in die Totalität des Lebens hinein. Wo die Gleichheit die formalen Fundamente der Beziehungen zwischen Menschen ergreift, wird sie zum Mittel, ihre individuellen Ungleichheiten zum schärfsten und folgenreichsten Ausdruck zu bringen, der Egoismus hat sich, indem er die Schranken der formalen Gleichheit einhält, mit inneren und äusseren Hemmungen abgefunden und besitzt nun grade in der Allgemeingültigkeit jener Bestimmungen eine Waffe, die, weil sie jedem dient, auch gegen jeden dient. Die Formen der Rechts- gleichheit bezeichnen den Typus hierfür, den einerseits die Intellek- tualität in ihrer oben geschilderten Bedeutung, andrerseits das Geld
Gelde „Blut klebt“ oder ein Fluch haftet, sind Sentimentalitäten, die mit der wachsenden Indifferenz des Geldes — indem es also immer mehr bloſs Geld wird — ihre Bedeutung ganz einbüſsen. Die rein negative Bestimmung, daſs keinerlei Rücksicht sachlicher oder ethischer Art, wie sie sich aus andern Besitzarten ergiebt, die Verwendung des Geldes bestimmt, wächst ohne weiteres zur Rücksichtslosigkeit als einer ganz positiven Verhaltungsart aus. Seine Nachgiebigkeit, die aus seinem völligen Gelöstsein von singulären Interessen, Ursprüngen und Beziehungen folgt, enthält als anscheinend logische Konsequenz die Aufforderung, uns in den von ihm beherrschten Lebensprovinzen keinerlei Zwang anzuthun. An seiner absoluten Sachlichkeit, die grade aus dem Ausschluſs jeder einseitigen Sachlichkeit hervorgeht, findet der Egoismus reinen Tisch vor, wie er ihn auch an der bloſsen In- tellektualität fand — aus keinem anderen Grunde, als weil diese Trieb- feder die logisch einfachste und nächstliegende ist, so daſs die rein formalen und indifferenten Lebensmächte an ihr ihre erste, gleichsam natürliche und wahlverwandte Erfüllung finden.
Es ist nicht nur, wie ich es oben berührte, die Rechtsform über- haupt, die sich mit der reinen Intellektualität und dem Geldverkehr darin trifft, daſs sie sich alle dem sachlich und sittlich perversesten In- halte nicht entziehen; sondern es ist vor allem das Prinzip der Rechts- gleichheit, in dem diese Diskrepanz zwischen der Form und dem realen Inhalt gipfelt. Alle drei: das Recht, die Intellektualität, das Geld, sind durch die Gleichgültigkeit gegen individuelle Eigen- heit charakterisiert; alle drei ziehen aus der konkreten Ganzheit der Lebensbewegungen einen abstrakten, allgemeinen Faktor heraus, der sich nach eigenen und selbständigen Normen entwickelt und von diesen aus in jene Gesamtheit der Interessen des Daseins eingreift und sie nach sich bestimmt. Indem alle drei also Inhalten, gegen die sie ihrem Wesen nach gleichgültig sind, Formen und Richtungen vor- zuschreiben mächtig sind, bringen sie unvermeidlich die Widersprüche, die uns hier beschäftigen, in die Totalität des Lebens hinein. Wo die Gleichheit die formalen Fundamente der Beziehungen zwischen Menschen ergreift, wird sie zum Mittel, ihre individuellen Ungleichheiten zum schärfsten und folgenreichsten Ausdruck zu bringen, der Egoismus hat sich, indem er die Schranken der formalen Gleichheit einhält, mit inneren und äuſseren Hemmungen abgefunden und besitzt nun grade in der Allgemeingültigkeit jener Bestimmungen eine Waffe, die, weil sie jedem dient, auch gegen jeden dient. Die Formen der Rechts- gleichheit bezeichnen den Typus hierfür, den einerseits die Intellek- tualität in ihrer oben geschilderten Bedeutung, andrerseits das Geld
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Gelde „Blut klebt“ oder ein Fluch haftet, sind Sentimentalitäten, die
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mehr bloſs Geld wird — ihre Bedeutung ganz einbüſsen. Die rein
negative Bestimmung, daſs keinerlei Rücksicht sachlicher oder ethischer
Art, wie sie sich aus andern Besitzarten ergiebt, die Verwendung des
Geldes bestimmt, wächst ohne weiteres zur Rücksichtslosigkeit als
einer ganz positiven Verhaltungsart aus. Seine Nachgiebigkeit, die
aus seinem völligen Gelöstsein von singulären Interessen, Ursprüngen
und Beziehungen folgt, enthält als anscheinend logische Konsequenz
die Aufforderung, uns in den von ihm beherrschten Lebensprovinzen
keinerlei Zwang anzuthun. An seiner absoluten Sachlichkeit, die grade
aus dem Ausschluſs jeder einseitigen Sachlichkeit hervorgeht, findet
der Egoismus reinen Tisch vor, wie er ihn auch an der bloſsen In-
tellektualität fand — aus keinem anderen Grunde, als weil diese Trieb-
feder die logisch einfachste und nächstliegende ist, so daſs die rein
formalen und indifferenten Lebensmächte an ihr ihre erste, gleichsam
natürliche und wahlverwandte Erfüllung finden.
Es ist nicht nur, wie ich es oben berührte, die Rechtsform über-
haupt, die sich mit der reinen Intellektualität und dem Geldverkehr
darin trifft, daſs sie sich alle dem sachlich und sittlich perversesten In-
halte nicht entziehen; sondern es ist vor allem das Prinzip der Rechts-
gleichheit, in dem diese Diskrepanz zwischen der Form und dem
realen Inhalt gipfelt. Alle drei: das Recht, die Intellektualität,
das Geld, sind durch die Gleichgültigkeit gegen individuelle Eigen-
heit charakterisiert; alle drei ziehen aus der konkreten Ganzheit
der Lebensbewegungen einen abstrakten, allgemeinen Faktor heraus,
der sich nach eigenen und selbständigen Normen entwickelt und von
diesen aus in jene Gesamtheit der Interessen des Daseins eingreift
und sie nach sich bestimmt. Indem alle drei also Inhalten, gegen die
sie ihrem Wesen nach gleichgültig sind, Formen und Richtungen vor-
zuschreiben mächtig sind, bringen sie unvermeidlich die Widersprüche,
die uns hier beschäftigen, in die Totalität des Lebens hinein. Wo die
Gleichheit die formalen Fundamente der Beziehungen zwischen Menschen
ergreift, wird sie zum Mittel, ihre individuellen Ungleichheiten zum
schärfsten und folgenreichsten Ausdruck zu bringen, der Egoismus hat
sich, indem er die Schranken der formalen Gleichheit einhält, mit
inneren und äuſseren Hemmungen abgefunden und besitzt nun grade
in der Allgemeingültigkeit jener Bestimmungen eine Waffe, die, weil
sie jedem dient, auch gegen jeden dient. Die Formen der Rechts-
gleichheit bezeichnen den Typus hierfür, den einerseits die Intellek-
tualität in ihrer oben geschilderten Bedeutung, andrerseits das Geld
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/493>, abgerufen am 22.11.2024.
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