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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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relativ unabhängiges Mittel besitzen. Nach ganz anderer Richtung aber
entwickelt sich nun die Bedeutung des Intellekts, sobald die realen ge-
schichtlichen Kräfte mit jenen abstrakten Sachlichkeiten und Möglich-
keiten seines Inhaltes zu schalten beginnen. Zunächst ist es grade die
Allgemeingültigkeit des Intellektuellen und seine daraus folgende Ein-
dringlichkeit und Unwiderstehlichkeit, die es zu einer furchtbaren Waffe
der irgend hervorragenderen Intelligenzen macht. Gegen einen über-
legenen Willen können wenigstens die nicht suggestiblen Naturen sich
wehren; einer überlegenen Logik aber kann man sich nur durch ein
eigensinniges: Ich will nicht -- entziehen, womit man sich denn doch
als den schwächeren bekennt. Es kommt hinzu, dass zwar die grossen
Entscheidungen zwischen den Menschen von den überintellektuellen
Energien ausgehen, der tägliche Kampf um das Sein und Haben aber
durch das einzusetzende Mass von Klugheit entschieden zu werden
pflegt. Die Macht der grösseren Intelligenz beruht grade auf dem
kommunistischen Charakter ihrer Qualität: weil sie inhaltlich das All-
gemeingültige und überall Wirksame und Anerkannte ist, giebt schon
das blosse Quantum ihrer, das jemandem durch seine Anlage zugängig
ist, ihm einen unbedingteren Vorsprung, als ein qualitativ individuellerer
Besitz es könnte, der eben wegen seiner Individualität nicht überall
verwendbar ist und nicht ebenso an jedem Punkte der praktischen
Welt irgend ein Herrschaftsgebiet findet. Hier wie sonst ist es grade
der Boden des gleichen Rechtes für alle, der die individuellen Unter-
schiede zur vollen Entwicklung und Ausnutzung bringt. Grade weil
die bloss verstandesmässige, auf die unbegründbaren Betonungen des
Wollens und Fühlens verzichtende Vorstellung und Ordnung der mensch-
lichen Verhältnisse keinen a priori gegebenen Unterschied zwischen
den Individuen kennt, hat sie ebensowenig Grund, dem a posteriori
hervortretenden irgend etwas von der Ausdehnung abzuschneiden, zu
der er von sich aus gelangen kann -- was durch den sozialen Pflicht-
willen wie durch die Gefühle von Liebe und Mitleid so oft geschieht.
Darum ist die rationalistische Weltauffassung -- die, unparteiisch wie
das Geld, auch das sozialistische Lebensbild genährt hat -- die Schule
des neuzeitlichen Egoismus und des rücksichtslosen Durchsetzens der
Individualität geworden. Für die gewöhnliche -- nicht grade vertiefte --
Anschauung ist das Ich im Praktischen nicht weniger als im Theore-
tischen die selbstverständliche Grundlage und das unvermeidlich erste
Interesse; alle Motive der Selbstlosigkeit erscheinen nicht als ebenso
natürliche und autochthone, sondern als nachträgliche und gleichsam
künstlich angepflanzte. Der Erfolg davon ist, dass das Handeln im
selbstischen Interesse als das eigentlich und einfach "logische" gilt.

Simmel, Philosophie des Geldes. 30

relativ unabhängiges Mittel besitzen. Nach ganz anderer Richtung aber
entwickelt sich nun die Bedeutung des Intellekts, sobald die realen ge-
schichtlichen Kräfte mit jenen abstrakten Sachlichkeiten und Möglich-
keiten seines Inhaltes zu schalten beginnen. Zunächst ist es grade die
Allgemeingültigkeit des Intellektuellen und seine daraus folgende Ein-
dringlichkeit und Unwiderstehlichkeit, die es zu einer furchtbaren Waffe
der irgend hervorragenderen Intelligenzen macht. Gegen einen über-
legenen Willen können wenigstens die nicht suggestiblen Naturen sich
wehren; einer überlegenen Logik aber kann man sich nur durch ein
eigensinniges: Ich will nicht — entziehen, womit man sich denn doch
als den schwächeren bekennt. Es kommt hinzu, daſs zwar die groſsen
Entscheidungen zwischen den Menschen von den überintellektuellen
Energien ausgehen, der tägliche Kampf um das Sein und Haben aber
durch das einzusetzende Maſs von Klugheit entschieden zu werden
pflegt. Die Macht der gröſseren Intelligenz beruht grade auf dem
kommunistischen Charakter ihrer Qualität: weil sie inhaltlich das All-
gemeingültige und überall Wirksame und Anerkannte ist, giebt schon
das bloſse Quantum ihrer, das jemandem durch seine Anlage zugängig
ist, ihm einen unbedingteren Vorsprung, als ein qualitativ individuellerer
Besitz es könnte, der eben wegen seiner Individualität nicht überall
verwendbar ist und nicht ebenso an jedem Punkte der praktischen
Welt irgend ein Herrschaftsgebiet findet. Hier wie sonst ist es grade
der Boden des gleichen Rechtes für alle, der die individuellen Unter-
schiede zur vollen Entwicklung und Ausnutzung bringt. Grade weil
die bloſs verstandesmäſsige, auf die unbegründbaren Betonungen des
Wollens und Fühlens verzichtende Vorstellung und Ordnung der mensch-
lichen Verhältnisse keinen a priori gegebenen Unterschied zwischen
den Individuen kennt, hat sie ebensowenig Grund, dem a posteriori
hervortretenden irgend etwas von der Ausdehnung abzuschneiden, zu
der er von sich aus gelangen kann — was durch den sozialen Pflicht-
willen wie durch die Gefühle von Liebe und Mitleid so oft geschieht.
Darum ist die rationalistische Weltauffassung — die, unparteiisch wie
das Geld, auch das sozialistische Lebensbild genährt hat — die Schule
des neuzeitlichen Egoismus und des rücksichtslosen Durchsetzens der
Individualität geworden. Für die gewöhnliche — nicht grade vertiefte —
Anschauung ist das Ich im Praktischen nicht weniger als im Theore-
tischen die selbstverständliche Grundlage und das unvermeidlich erste
Interesse; alle Motive der Selbstlosigkeit erscheinen nicht als ebenso
natürliche und autochthone, sondern als nachträgliche und gleichsam
künstlich angepflanzte. Der Erfolg davon ist, daſs das Handeln im
selbstischen Interesse als das eigentlich und einfach „logische“ gilt.

Simmel, Philosophie des Geldes. 30
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[465/0489] relativ unabhängiges Mittel besitzen. Nach ganz anderer Richtung aber entwickelt sich nun die Bedeutung des Intellekts, sobald die realen ge- schichtlichen Kräfte mit jenen abstrakten Sachlichkeiten und Möglich- keiten seines Inhaltes zu schalten beginnen. Zunächst ist es grade die Allgemeingültigkeit des Intellektuellen und seine daraus folgende Ein- dringlichkeit und Unwiderstehlichkeit, die es zu einer furchtbaren Waffe der irgend hervorragenderen Intelligenzen macht. Gegen einen über- legenen Willen können wenigstens die nicht suggestiblen Naturen sich wehren; einer überlegenen Logik aber kann man sich nur durch ein eigensinniges: Ich will nicht — entziehen, womit man sich denn doch als den schwächeren bekennt. Es kommt hinzu, daſs zwar die groſsen Entscheidungen zwischen den Menschen von den überintellektuellen Energien ausgehen, der tägliche Kampf um das Sein und Haben aber durch das einzusetzende Maſs von Klugheit entschieden zu werden pflegt. Die Macht der gröſseren Intelligenz beruht grade auf dem kommunistischen Charakter ihrer Qualität: weil sie inhaltlich das All- gemeingültige und überall Wirksame und Anerkannte ist, giebt schon das bloſse Quantum ihrer, das jemandem durch seine Anlage zugängig ist, ihm einen unbedingteren Vorsprung, als ein qualitativ individuellerer Besitz es könnte, der eben wegen seiner Individualität nicht überall verwendbar ist und nicht ebenso an jedem Punkte der praktischen Welt irgend ein Herrschaftsgebiet findet. Hier wie sonst ist es grade der Boden des gleichen Rechtes für alle, der die individuellen Unter- schiede zur vollen Entwicklung und Ausnutzung bringt. Grade weil die bloſs verstandesmäſsige, auf die unbegründbaren Betonungen des Wollens und Fühlens verzichtende Vorstellung und Ordnung der mensch- lichen Verhältnisse keinen a priori gegebenen Unterschied zwischen den Individuen kennt, hat sie ebensowenig Grund, dem a posteriori hervortretenden irgend etwas von der Ausdehnung abzuschneiden, zu der er von sich aus gelangen kann — was durch den sozialen Pflicht- willen wie durch die Gefühle von Liebe und Mitleid so oft geschieht. Darum ist die rationalistische Weltauffassung — die, unparteiisch wie das Geld, auch das sozialistische Lebensbild genährt hat — die Schule des neuzeitlichen Egoismus und des rücksichtslosen Durchsetzens der Individualität geworden. Für die gewöhnliche — nicht grade vertiefte — Anschauung ist das Ich im Praktischen nicht weniger als im Theore- tischen die selbstverständliche Grundlage und das unvermeidlich erste Interesse; alle Motive der Selbstlosigkeit erscheinen nicht als ebenso natürliche und autochthone, sondern als nachträgliche und gleichsam künstlich angepflanzte. Der Erfolg davon ist, daſs das Handeln im selbstischen Interesse als das eigentlich und einfach „logische“ gilt. Simmel, Philosophie des Geldes. 30

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/489>, abgerufen am 10.05.2024.