vom römischen Kaisertum bis zu Napoleon III. -- hat der politische Despotismus in einem ausschweifenden privaten Libertinismus seine Ergänzung gefunden. Der Despotismus wird um seines eignen Vor- teils willen seine Forderungen auf dasjenige beschränken, was ihm wesentlich ist, und Mass und Art desselben dadurch erträglich machen, dass er in allem übrigen möglichst grosse Freiheit giebt. Die Forde- rung der Geldleistung vereinigt beide Gesichtspunkte in der denkbar zweckmässigsten Weise: die Freiheit, die sie nach der rein privaten Seite hin gestattet, verhindert absolut nicht die Entrechtung nach der politischen, die sie so oft vollbracht hat.
Neben diesem Typus von Fällen, in denen der Geldablösung grade eine Herabdrückung des Verpflichteten entspricht, steht eine zweite Ergänzung der im vorigen Kapitel gewonnenen Resultate. Wir haben gesehen, welchen Fortschritt es für den Fronbauern bedeutete, wenn er seine Dienste durch Geldzinsung ablösen konnte. Der ent- gegengesetzte Erfolg tritt nun für ihn ein, sobald die Umsetzung des Verhältnisses in Geldform von der anderen Seite her geschieht, d. h. sobald der Grundherr ihm das Stück Land abkauft, das er bisher zu besseren oder schlechteren Rechten besessen hat. Die Verbote, die im vorigen Jahrhundert und bis tief in dieses hinein auf dem Gebiet des alten Deutschen Reiches gegen das Auskaufen der Bauern ergehen, haben zwar wesentlich fiskalische und ganz allgemeine agrarpolitische Gründe; allein gelegentlich scheint doch das Gefühl mitgewirkt zu haben, dass dem Bauern ein Unrecht damit geschieht, wenn man ihm sein Land selbst gegen volle Entschädigung in Geld abnimmt. Man mag freilich die Umsetzung eines Besitzstückes in Geld zunächst als eine Befreiung empfinden. Mit Hülfe des Geldes können wir den Wert des Objektes in jede beliebige Form giessen, während er vorher in diese eine ge- bannt war; mit dem Gelde in der Tasche sind wir frei, während uns vorher der Gegenstand von den Bedingungen seiner Konservierung und Fruktifizierung abhängig machte. Die Verpflichtung gegen die Sache scheint sich so von der gegen eine Person gar nicht prinzipiell zu unterscheiden, denn nicht weniger streng bestimmt jene als diese unser Thun und Lassen, wenn wir die empfindlichsten Folgen ver- meiden wollen: erst die Reduktion des ganzen Verhältnisses auf Geld -- mögen wir es nun in einem Fall nehmen, im anderen geben -- löst uns aus den Determinationen, die uns von einem Ausser-Uns gekommen sind. So geben die häufigen Zugeldesetzungen des Bauern im vorigen Jahrhundert ihm zwar eine momentane Freiheit. Allein sie nehmen ihm das Unbezahlbare, das der Freiheit erst ihren Wert giebt: das zuverlässige Objekt persönlicher Bethätigung. In dem Lande steckte
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vom römischen Kaisertum bis zu Napoleon III. — hat der politische Despotismus in einem ausschweifenden privaten Libertinismus seine Ergänzung gefunden. Der Despotismus wird um seines eignen Vor- teils willen seine Forderungen auf dasjenige beschränken, was ihm wesentlich ist, und Maſs und Art desselben dadurch erträglich machen, daſs er in allem übrigen möglichst groſse Freiheit giebt. Die Forde- rung der Geldleistung vereinigt beide Gesichtspunkte in der denkbar zweckmäſsigsten Weise: die Freiheit, die sie nach der rein privaten Seite hin gestattet, verhindert absolut nicht die Entrechtung nach der politischen, die sie so oft vollbracht hat.
Neben diesem Typus von Fällen, in denen der Geldablösung grade eine Herabdrückung des Verpflichteten entspricht, steht eine zweite Ergänzung der im vorigen Kapitel gewonnenen Resultate. Wir haben gesehen, welchen Fortschritt es für den Fronbauern bedeutete, wenn er seine Dienste durch Geldzinsung ablösen konnte. Der ent- gegengesetzte Erfolg tritt nun für ihn ein, sobald die Umsetzung des Verhältnisses in Geldform von der anderen Seite her geschieht, d. h. sobald der Grundherr ihm das Stück Land abkauft, das er bisher zu besseren oder schlechteren Rechten besessen hat. Die Verbote, die im vorigen Jahrhundert und bis tief in dieses hinein auf dem Gebiet des alten Deutschen Reiches gegen das Auskaufen der Bauern ergehen, haben zwar wesentlich fiskalische und ganz allgemeine agrarpolitische Gründe; allein gelegentlich scheint doch das Gefühl mitgewirkt zu haben, daſs dem Bauern ein Unrecht damit geschieht, wenn man ihm sein Land selbst gegen volle Entschädigung in Geld abnimmt. Man mag freilich die Umsetzung eines Besitzstückes in Geld zunächst als eine Befreiung empfinden. Mit Hülfe des Geldes können wir den Wert des Objektes in jede beliebige Form gieſsen, während er vorher in diese eine ge- bannt war; mit dem Gelde in der Tasche sind wir frei, während uns vorher der Gegenstand von den Bedingungen seiner Konservierung und Fruktifizierung abhängig machte. Die Verpflichtung gegen die Sache scheint sich so von der gegen eine Person gar nicht prinzipiell zu unterscheiden, denn nicht weniger streng bestimmt jene als diese unser Thun und Lassen, wenn wir die empfindlichsten Folgen ver- meiden wollen: erst die Reduktion des ganzen Verhältnisses auf Geld — mögen wir es nun in einem Fall nehmen, im anderen geben — löst uns aus den Determinationen, die uns von einem Auſser-Uns gekommen sind. So geben die häufigen Zugeldesetzungen des Bauern im vorigen Jahrhundert ihm zwar eine momentane Freiheit. Allein sie nehmen ihm das Unbezahlbare, das der Freiheit erst ihren Wert giebt: das zuverlässige Objekt persönlicher Bethätigung. In dem Lande steckte
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vom römischen Kaisertum bis zu Napoleon III. — hat der politische
Despotismus in einem ausschweifenden privaten Libertinismus seine
Ergänzung gefunden. Der Despotismus wird um seines eignen Vor-
teils willen seine Forderungen auf dasjenige beschränken, was ihm
wesentlich ist, und Maſs und Art desselben dadurch erträglich machen,
daſs er in allem übrigen möglichst groſse Freiheit giebt. Die Forde-
rung der Geldleistung vereinigt beide Gesichtspunkte in der denkbar
zweckmäſsigsten Weise: die Freiheit, die sie nach der rein privaten
Seite hin gestattet, verhindert absolut nicht die Entrechtung nach der
politischen, die sie so oft vollbracht hat.
Neben diesem Typus von Fällen, in denen der Geldablösung
grade eine Herabdrückung des Verpflichteten entspricht, steht eine
zweite Ergänzung der im vorigen Kapitel gewonnenen Resultate. Wir
haben gesehen, welchen Fortschritt es für den Fronbauern bedeutete,
wenn er seine Dienste durch Geldzinsung ablösen konnte. Der ent-
gegengesetzte Erfolg tritt nun für ihn ein, sobald die Umsetzung des
Verhältnisses in Geldform von der anderen Seite her geschieht, d. h. sobald
der Grundherr ihm das Stück Land abkauft, das er bisher zu besseren
oder schlechteren Rechten besessen hat. Die Verbote, die im vorigen
Jahrhundert und bis tief in dieses hinein auf dem Gebiet des alten
Deutschen Reiches gegen das Auskaufen der Bauern ergehen, haben
zwar wesentlich fiskalische und ganz allgemeine agrarpolitische Gründe;
allein gelegentlich scheint doch das Gefühl mitgewirkt zu haben, daſs
dem Bauern ein Unrecht damit geschieht, wenn man ihm sein Land
selbst gegen volle Entschädigung in Geld abnimmt. Man mag freilich
die Umsetzung eines Besitzstückes in Geld zunächst als eine Befreiung
empfinden. Mit Hülfe des Geldes können wir den Wert des Objektes
in jede beliebige Form gieſsen, während er vorher in diese eine ge-
bannt war; mit dem Gelde in der Tasche sind wir frei, während uns
vorher der Gegenstand von den Bedingungen seiner Konservierung
und Fruktifizierung abhängig machte. Die Verpflichtung gegen die
Sache scheint sich so von der gegen eine Person gar nicht prinzipiell
zu unterscheiden, denn nicht weniger streng bestimmt jene als diese
unser Thun und Lassen, wenn wir die empfindlichsten Folgen ver-
meiden wollen: erst die Reduktion des ganzen Verhältnisses auf Geld —
mögen wir es nun in einem Fall nehmen, im anderen geben — löst
uns aus den Determinationen, die uns von einem Auſser-Uns gekommen
sind. So geben die häufigen Zugeldesetzungen des Bauern im vorigen
Jahrhundert ihm zwar eine momentane Freiheit. Allein sie nehmen
ihm das Unbezahlbare, das der Freiheit erst ihren Wert giebt: das
zuverlässige Objekt persönlicher Bethätigung. In dem Lande steckte
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/443>, abgerufen am 22.11.2024.
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