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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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durch Geld aufwiegen zu lassen, ausgleichen, ja dass man in sehr naiver
Weise durch die Höhe der Summe grade den Respekt vor dem Ehemann,
je nach seiner sozialen Stellung, ausdrücken wollte: wenigstens wirft der
Verfasser der Juniusbriefe einem Richter heftig vor, dass er in einem
solchen Prozess, der einen Prinzen und eine Lordsgemahlin betraf, bei
der Entschädigung den Rang des verletzten Gemahls ganz ausser acht
gelassen habe! --

Dieser Gesichtspunkt zeigt seine Bedeutung am auffälligsten bei
dem "Kauf" eines Menschen im sprachgebräuchlichsten Sinn dieses
Wortes: bei der Bestechung. Zu der Erörterung derselben, in ihrer
spezifisch geldmässigen Form, gehe ich jetzt über. Schon der Dieb-
stahl oder der Betrug um kleine Summen ist, nach der herrschenden
sozialen Moral, um vieles verächtlicher als der Diebstahl grosser. Das
hat in gewissem Sinne seine Berechtigung, nämlich wenn es sich um
Personen in relativ guter ökonomischer Lage handelt. Dann schliesst
man nämlich, dass die Seele, die nicht einmal einer so kleinen Ver-
suchung widerstehen kann, eine besonders elende und schwache sein
muss, während einer sehr erheblichen zu unterliegen, immerhin auch
einer stärkeren begegnen möchte! Entsprechend gilt das Bestochen-
werden -- der Verkauf der Pflicht oder der Überzeugung -- als um
so gemeiner, durch eine je kleinere Summe es geschieht. So wird die
Bestechung thatsächlich als ein Kauf der Persönlichkeit empfunden,
die danach rangiert, ob sie überhaupt "unbezahlbar" ist, ob sie teuer
oder ob sie billig fortgegeben wird. Die soziale Schätzung erscheint
hier in ihrer Richtigkeit dadurch garantiert, dass sie nur der Reflex
der Eigenschätzung des Subjektes ist. Aus dieser Beziehung der Be-
stechung zur ganzen Persönlichkeit stammt jene eigentümliche Würde,
die der Bestechliche zu bewahren oder wenigstens zu markieren pflegt,
und die entweder als Unzugänglichkeit für kleine Summen auftritt,
oder, wo nicht einmal diese besteht, als eine gewisse Grandezza, eine
Strenge und Überlegenheit des Benehmens, die den Geber in die
Rolle eines Empfangenden herabzudrücken scheint. Dieses äussere
Gebaren soll die Persönlichkeit als eine unangreifbare, in ihrem
Werte gefestete darstellen, und so sehr es eine Komödie ist, wirft es
doch, insbesondere da die andere Partei wie durch eine still-
schweigende Konvention darauf einzutreten pflegt, einen gewissen
Reflex nach innen und schützt den Bestechlichen vor jener Selbst-
vernichtung und Selbstentwertung, die dem Einsatz seines Persönlich-
keitswertes für eine Geldsumme sonst folgen müsste. Bei den alten
Juden und jetzt noch oft im Orient findet Kauf und Verkauf unter
der Höflichkeitsformel statt, dass der Käufer den Gegenstand als Ge-

Simmel, Philosophie des Geldes. 26

durch Geld aufwiegen zu lassen, ausgleichen, ja daſs man in sehr naiver
Weise durch die Höhe der Summe grade den Respekt vor dem Ehemann,
je nach seiner sozialen Stellung, ausdrücken wollte: wenigstens wirft der
Verfasser der Juniusbriefe einem Richter heftig vor, daſs er in einem
solchen Prozeſs, der einen Prinzen und eine Lordsgemahlin betraf, bei
der Entschädigung den Rang des verletzten Gemahls ganz auſser acht
gelassen habe! —

Dieser Gesichtspunkt zeigt seine Bedeutung am auffälligsten bei
dem „Kauf“ eines Menschen im sprachgebräuchlichsten Sinn dieses
Wortes: bei der Bestechung. Zu der Erörterung derselben, in ihrer
spezifisch geldmäſsigen Form, gehe ich jetzt über. Schon der Dieb-
stahl oder der Betrug um kleine Summen ist, nach der herrschenden
sozialen Moral, um vieles verächtlicher als der Diebstahl groſser. Das
hat in gewissem Sinne seine Berechtigung, nämlich wenn es sich um
Personen in relativ guter ökonomischer Lage handelt. Dann schlieſst
man nämlich, daſs die Seele, die nicht einmal einer so kleinen Ver-
suchung widerstehen kann, eine besonders elende und schwache sein
muſs, während einer sehr erheblichen zu unterliegen, immerhin auch
einer stärkeren begegnen möchte! Entsprechend gilt das Bestochen-
werden — der Verkauf der Pflicht oder der Überzeugung — als um
so gemeiner, durch eine je kleinere Summe es geschieht. So wird die
Bestechung thatsächlich als ein Kauf der Persönlichkeit empfunden,
die danach rangiert, ob sie überhaupt „unbezahlbar“ ist, ob sie teuer
oder ob sie billig fortgegeben wird. Die soziale Schätzung erscheint
hier in ihrer Richtigkeit dadurch garantiert, daſs sie nur der Reflex
der Eigenschätzung des Subjektes ist. Aus dieser Beziehung der Be-
stechung zur ganzen Persönlichkeit stammt jene eigentümliche Würde,
die der Bestechliche zu bewahren oder wenigstens zu markieren pflegt,
und die entweder als Unzugänglichkeit für kleine Summen auftritt,
oder, wo nicht einmal diese besteht, als eine gewisse Grandezza, eine
Strenge und Überlegenheit des Benehmens, die den Geber in die
Rolle eines Empfangenden herabzudrücken scheint. Dieses äuſsere
Gebaren soll die Persönlichkeit als eine unangreifbare, in ihrem
Werte gefestete darstellen, und so sehr es eine Komödie ist, wirft es
doch, insbesondere da die andere Partei wie durch eine still-
schweigende Konvention darauf einzutreten pflegt, einen gewissen
Reflex nach innen und schützt den Bestechlichen vor jener Selbst-
vernichtung und Selbstentwertung, die dem Einsatz seines Persönlich-
keitswertes für eine Geldsumme sonst folgen müſste. Bei den alten
Juden und jetzt noch oft im Orient findet Kauf und Verkauf unter
der Höflichkeitsformel statt, daſs der Käufer den Gegenstand als Ge-

Simmel, Philosophie des Geldes. 26
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[401/0425] durch Geld aufwiegen zu lassen, ausgleichen, ja daſs man in sehr naiver Weise durch die Höhe der Summe grade den Respekt vor dem Ehemann, je nach seiner sozialen Stellung, ausdrücken wollte: wenigstens wirft der Verfasser der Juniusbriefe einem Richter heftig vor, daſs er in einem solchen Prozeſs, der einen Prinzen und eine Lordsgemahlin betraf, bei der Entschädigung den Rang des verletzten Gemahls ganz auſser acht gelassen habe! — Dieser Gesichtspunkt zeigt seine Bedeutung am auffälligsten bei dem „Kauf“ eines Menschen im sprachgebräuchlichsten Sinn dieses Wortes: bei der Bestechung. Zu der Erörterung derselben, in ihrer spezifisch geldmäſsigen Form, gehe ich jetzt über. Schon der Dieb- stahl oder der Betrug um kleine Summen ist, nach der herrschenden sozialen Moral, um vieles verächtlicher als der Diebstahl groſser. Das hat in gewissem Sinne seine Berechtigung, nämlich wenn es sich um Personen in relativ guter ökonomischer Lage handelt. Dann schlieſst man nämlich, daſs die Seele, die nicht einmal einer so kleinen Ver- suchung widerstehen kann, eine besonders elende und schwache sein muſs, während einer sehr erheblichen zu unterliegen, immerhin auch einer stärkeren begegnen möchte! Entsprechend gilt das Bestochen- werden — der Verkauf der Pflicht oder der Überzeugung — als um so gemeiner, durch eine je kleinere Summe es geschieht. So wird die Bestechung thatsächlich als ein Kauf der Persönlichkeit empfunden, die danach rangiert, ob sie überhaupt „unbezahlbar“ ist, ob sie teuer oder ob sie billig fortgegeben wird. Die soziale Schätzung erscheint hier in ihrer Richtigkeit dadurch garantiert, daſs sie nur der Reflex der Eigenschätzung des Subjektes ist. Aus dieser Beziehung der Be- stechung zur ganzen Persönlichkeit stammt jene eigentümliche Würde, die der Bestechliche zu bewahren oder wenigstens zu markieren pflegt, und die entweder als Unzugänglichkeit für kleine Summen auftritt, oder, wo nicht einmal diese besteht, als eine gewisse Grandezza, eine Strenge und Überlegenheit des Benehmens, die den Geber in die Rolle eines Empfangenden herabzudrücken scheint. Dieses äuſsere Gebaren soll die Persönlichkeit als eine unangreifbare, in ihrem Werte gefestete darstellen, und so sehr es eine Komödie ist, wirft es doch, insbesondere da die andere Partei wie durch eine still- schweigende Konvention darauf einzutreten pflegt, einen gewissen Reflex nach innen und schützt den Bestechlichen vor jener Selbst- vernichtung und Selbstentwertung, die dem Einsatz seines Persönlich- keitswertes für eine Geldsumme sonst folgen müſste. Bei den alten Juden und jetzt noch oft im Orient findet Kauf und Verkauf unter der Höflichkeitsformel statt, daſs der Käufer den Gegenstand als Ge- Simmel, Philosophie des Geldes. 26

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/425>, abgerufen am 22.11.2024.