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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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horresziert wird, zu beseitigen. Diesem Ziele nähert man sich offen-
bar in dem Masse, in welchem alle Über- und Unterordnung eine bloss
technische Organisationsform wird, deren rein objektiver Charakter gar
keine subjektiven Empfindungen mehr hervorruft. Es kommt darauf
an, die Sache und die Person so zu scheiden, dass die Erfordernisse
der ersteren, welche Stelle im gesellschaftlichen Produktions- oder
Zirkulationsprozesse sie auch der letzteren anweisen, die Individualität,
die Freiheit, das innerste Lebensgefühl derselben ganz unberührt lassen.
Eine Seite dieser Verfassung ist innerhalb eines Standes schon verwirk-
licht -- im Offiziersstand. Die blinde Subordination unter den Vor-
gesetzten wird hier nicht als Entwürdigung empfunden, weil sie nichts
als das technisch unumgängliche Erfordernis für die militärischen Zwecke
ist, denen auch jeder Vorgesetzte selbst in nicht weniger strenger, aber
auch nicht weniger objektiver Weise unterworfen ist. Die persönliche
Ehre und Würde steht ganz jenseits dieser Über- und Unterordnung,
diese haftet sozusagen nur der Uniform an und ist nur eine Bedingung
der Sache, von der kein Reflex auf die Person fällt. In anderer Wen-
dung tritt diese Differenzierungserscheinung bei rein geistigen Beschäf-
tigungen auf. Zu allen Zeiten hat es Persönlichkeiten gegeben, die
sich bei völliger Untergeordnetheit und Abhängigkeit der äusseren
Lebensstellung absolute geistige Freiheit und individuelle Produktivität
gewahrt haben, insbesondere allerdings in Zeiten, wo sehr festgewordene
soziale Ordnungen durch einströmende Bildungsinteressen gekreuzt
werden und jene bestehen bleiben, während diese ganz neue innere
Rangierungen und Kategorien schaffen -- wie etwa in der Epoche des
Humanismus und in der letzten Zeit des ancien regime. Es liesse sich
nun denken, dass, was in diesen Fällen ganz einseitig ausgebildet ist,
zur sozialen Organisationsform überhaupt würde. Über- und Unter-
ordnung in allen möglichen Gestalten ist jetzt die technische Bedingung
für die Gesellschaft, ihre Zwecke zu erreichen; allein sie wirft einen
Reflex auch auf die innerliche Bedeutung des Menschen, auf die Frei-
heit seiner Ausbildung, auf sein rein menschliches Verhältnis zu an-
deren Individuen. Indem diese Verquickung gelöst, alles Oben-
und Untenstehen, alles Befehlen und Gehorchen eine bloss äusserliche
Verfassungstechnik würde, welche auf die individuelle Stellung und Ent-
wicklung in allem übrigen weder Licht noch Schatten werfen kann,
würden alle jene Leidgefühle schwinden, um derentwillen man heute,
wo das Äusserliche und bloss Zweckmässige der sozialen Hierarchie noch
mit dem Persönlich-Subjektiven des Individuums allzueng assoziiert ist,
nach einer Beseitigung jener Hierarchie überhaupt rufen kann. Man
würde durch diese Objektivierung des Leistens und seiner organisato-

horresziert wird, zu beseitigen. Diesem Ziele nähert man sich offen-
bar in dem Maſse, in welchem alle Über- und Unterordnung eine bloſs
technische Organisationsform wird, deren rein objektiver Charakter gar
keine subjektiven Empfindungen mehr hervorruft. Es kommt darauf
an, die Sache und die Person so zu scheiden, daſs die Erfordernisse
der ersteren, welche Stelle im gesellschaftlichen Produktions- oder
Zirkulationsprozesse sie auch der letzteren anweisen, die Individualität,
die Freiheit, das innerste Lebensgefühl derselben ganz unberührt lassen.
Eine Seite dieser Verfassung ist innerhalb eines Standes schon verwirk-
licht — im Offiziersstand. Die blinde Subordination unter den Vor-
gesetzten wird hier nicht als Entwürdigung empfunden, weil sie nichts
als das technisch unumgängliche Erfordernis für die militärischen Zwecke
ist, denen auch jeder Vorgesetzte selbst in nicht weniger strenger, aber
auch nicht weniger objektiver Weise unterworfen ist. Die persönliche
Ehre und Würde steht ganz jenseits dieser Über- und Unterordnung,
diese haftet sozusagen nur der Uniform an und ist nur eine Bedingung
der Sache, von der kein Reflex auf die Person fällt. In anderer Wen-
dung tritt diese Differenzierungserscheinung bei rein geistigen Beschäf-
tigungen auf. Zu allen Zeiten hat es Persönlichkeiten gegeben, die
sich bei völliger Untergeordnetheit und Abhängigkeit der äuſseren
Lebensstellung absolute geistige Freiheit und individuelle Produktivität
gewahrt haben, insbesondere allerdings in Zeiten, wo sehr festgewordene
soziale Ordnungen durch einströmende Bildungsinteressen gekreuzt
werden und jene bestehen bleiben, während diese ganz neue innere
Rangierungen und Kategorien schaffen — wie etwa in der Epoche des
Humanismus und in der letzten Zeit des ancien régime. Es lieſse sich
nun denken, daſs, was in diesen Fällen ganz einseitig ausgebildet ist,
zur sozialen Organisationsform überhaupt würde. Über- und Unter-
ordnung in allen möglichen Gestalten ist jetzt die technische Bedingung
für die Gesellschaft, ihre Zwecke zu erreichen; allein sie wirft einen
Reflex auch auf die innerliche Bedeutung des Menschen, auf die Frei-
heit seiner Ausbildung, auf sein rein menschliches Verhältnis zu an-
deren Individuen. Indem diese Verquickung gelöst, alles Oben-
und Untenstehen, alles Befehlen und Gehorchen eine bloſs äuſserliche
Verfassungstechnik würde, welche auf die individuelle Stellung und Ent-
wicklung in allem übrigen weder Licht noch Schatten werfen kann,
würden alle jene Leidgefühle schwinden, um derentwillen man heute,
wo das Äuſserliche und bloſs Zweckmäſsige der sozialen Hierarchie noch
mit dem Persönlich-Subjektiven des Individuums allzueng assoziiert ist,
nach einer Beseitigung jener Hierarchie überhaupt rufen kann. Man
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[343/0367] horresziert wird, zu beseitigen. Diesem Ziele nähert man sich offen- bar in dem Maſse, in welchem alle Über- und Unterordnung eine bloſs technische Organisationsform wird, deren rein objektiver Charakter gar keine subjektiven Empfindungen mehr hervorruft. Es kommt darauf an, die Sache und die Person so zu scheiden, daſs die Erfordernisse der ersteren, welche Stelle im gesellschaftlichen Produktions- oder Zirkulationsprozesse sie auch der letzteren anweisen, die Individualität, die Freiheit, das innerste Lebensgefühl derselben ganz unberührt lassen. Eine Seite dieser Verfassung ist innerhalb eines Standes schon verwirk- licht — im Offiziersstand. Die blinde Subordination unter den Vor- gesetzten wird hier nicht als Entwürdigung empfunden, weil sie nichts als das technisch unumgängliche Erfordernis für die militärischen Zwecke ist, denen auch jeder Vorgesetzte selbst in nicht weniger strenger, aber auch nicht weniger objektiver Weise unterworfen ist. Die persönliche Ehre und Würde steht ganz jenseits dieser Über- und Unterordnung, diese haftet sozusagen nur der Uniform an und ist nur eine Bedingung der Sache, von der kein Reflex auf die Person fällt. In anderer Wen- dung tritt diese Differenzierungserscheinung bei rein geistigen Beschäf- tigungen auf. Zu allen Zeiten hat es Persönlichkeiten gegeben, die sich bei völliger Untergeordnetheit und Abhängigkeit der äuſseren Lebensstellung absolute geistige Freiheit und individuelle Produktivität gewahrt haben, insbesondere allerdings in Zeiten, wo sehr festgewordene soziale Ordnungen durch einströmende Bildungsinteressen gekreuzt werden und jene bestehen bleiben, während diese ganz neue innere Rangierungen und Kategorien schaffen — wie etwa in der Epoche des Humanismus und in der letzten Zeit des ancien régime. Es lieſse sich nun denken, daſs, was in diesen Fällen ganz einseitig ausgebildet ist, zur sozialen Organisationsform überhaupt würde. Über- und Unter- ordnung in allen möglichen Gestalten ist jetzt die technische Bedingung für die Gesellschaft, ihre Zwecke zu erreichen; allein sie wirft einen Reflex auch auf die innerliche Bedeutung des Menschen, auf die Frei- heit seiner Ausbildung, auf sein rein menschliches Verhältnis zu an- deren Individuen. Indem diese Verquickung gelöst, alles Oben- und Untenstehen, alles Befehlen und Gehorchen eine bloſs äuſserliche Verfassungstechnik würde, welche auf die individuelle Stellung und Ent- wicklung in allem übrigen weder Licht noch Schatten werfen kann, würden alle jene Leidgefühle schwinden, um derentwillen man heute, wo das Äuſserliche und bloſs Zweckmäſsige der sozialen Hierarchie noch mit dem Persönlich-Subjektiven des Individuums allzueng assoziiert ist, nach einer Beseitigung jener Hierarchie überhaupt rufen kann. Man würde durch diese Objektivierung des Leistens und seiner organisato-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/367>, abgerufen am 22.11.2024.