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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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gegen Erhöhungen wie Herabdrückungen gesetzlich festzulegen suchte.
Was dabei herauskam, musste doch im schlechten Sinne subjektiv sein:
willkürliche, unzulängliche, die momentane Konstellation zu Fesseln
künftiger Bewegung festschmiedende Wertsetzungen. Statt durch so
unmittelbare Gleichsetzung näherte man sich vielmehr der inhaltlich
gerechten Angemessenheit der Preise erst, als man die Gesamtlage der
Wirtschaft, die mannigfaltigen Kräfte von Angebot und Nachfrage, die
fluktuierende Produktivität der Menschen und der Dinge als Be-
stimmungsgründe der Preise erkannt hat. Obgleich dies nun eine die
Individuen bindende Festlegung der Preise ausschloss und die Be-
rechnung der immerfort wechselnden Situation den Einzelnen überlassen
musste, so wurde doch hiermit die Preisgestaltung durch viel mehr
thatsächlich wirksame Momente bestimmt und war seitdem eine objektiv
angemessenere und gerechtere. Diese Entwicklung lässt sich nun noch
vervollkommnet denken. Ein viel weitergehendes Gerechtigkeitsideal
würde die Preise gestalten, wenn nicht nur die Komplikationen und
Wandlungen der objektiven Momente, sondern auch die persönliche
Vermögenslage des Konsumenten ihre Höhe mitbestimmten. Die Ver-
hältnisse der Individuen sind doch auch objektive Thatsachen, die für
den einzelnen Kaufvollzug sehr bedeutsam sind, aber jetzt in der Preis-
gestaltung prinzipiell gar nicht zum Ausdruck kommen. Dass man es
dennoch gelegentlich beobachten kann, nimmt der Idee ihre erste
Paradoxität. Unter den Erscheinungen, die ich oben als das Super-
additum des Reichtums zusammenfasste, begegnete es uns in einer frei-
lich sehr outrierten Weise: der Arme bezahlte die gleiche Ware teurer
als der Reiche. Allein vielfach liegt es doch auch umgekehrt: oft
versteht der Unbemittelte allerdings seine Bedürfnisse billiger und doch
nicht schlechter zu befriedigen als jener. Mit einer gewissen Betonung
tritt die Preisregulierung nach den Verhältnissen des Konsumenten bei
dem Ärztehonorar auf; es ist innerhalb bestimmter Grenzen legitim,
dass der Patient den Arzt "nach seinen Verhältnissen" bezahlt. Dies
ist freilich dadurch besonders gerechtfertigt, dass der Kranke sich in
einer Zwangslage befindet; er muss den Arzt haben und dieser muss
sich deshalb von vornherein auf ungleiche Entgelte für gleiche Leistungen
einrichten. In solcher Zwangslage aber befindet sich auch der Bürger
dem Staate gegenüber, dessen Dienste er nicht entbehren, ja selbst,
wenn er wollte, nicht abweisen kann. Deshalb ist es in der Ordnung,
dass der Staat von dem Armen ein geringeres Entgelt für seine Dienste,
geringere Steuern nimmt, und zwar nicht nur, weil er dem Reicheren
grösseren Nutzen gewährt als diesem. Diese äusserliche Objektivität
in der Ausgleichung von Dienst und Gegendienst ist längst als un-

gegen Erhöhungen wie Herabdrückungen gesetzlich festzulegen suchte.
Was dabei herauskam, muſste doch im schlechten Sinne subjektiv sein:
willkürliche, unzulängliche, die momentane Konstellation zu Fesseln
künftiger Bewegung festschmiedende Wertsetzungen. Statt durch so
unmittelbare Gleichsetzung näherte man sich vielmehr der inhaltlich
gerechten Angemessenheit der Preise erst, als man die Gesamtlage der
Wirtschaft, die mannigfaltigen Kräfte von Angebot und Nachfrage, die
fluktuierende Produktivität der Menschen und der Dinge als Be-
stimmungsgründe der Preise erkannt hat. Obgleich dies nun eine die
Individuen bindende Festlegung der Preise ausschloſs und die Be-
rechnung der immerfort wechselnden Situation den Einzelnen überlassen
muſste, so wurde doch hiermit die Preisgestaltung durch viel mehr
thatsächlich wirksame Momente bestimmt und war seitdem eine objektiv
angemessenere und gerechtere. Diese Entwicklung läſst sich nun noch
vervollkommnet denken. Ein viel weitergehendes Gerechtigkeitsideal
würde die Preise gestalten, wenn nicht nur die Komplikationen und
Wandlungen der objektiven Momente, sondern auch die persönliche
Vermögenslage des Konsumenten ihre Höhe mitbestimmten. Die Ver-
hältnisse der Individuen sind doch auch objektive Thatsachen, die für
den einzelnen Kaufvollzug sehr bedeutsam sind, aber jetzt in der Preis-
gestaltung prinzipiell gar nicht zum Ausdruck kommen. Daſs man es
dennoch gelegentlich beobachten kann, nimmt der Idee ihre erste
Paradoxität. Unter den Erscheinungen, die ich oben als das Super-
additum des Reichtums zusammenfaſste, begegnete es uns in einer frei-
lich sehr outrierten Weise: der Arme bezahlte die gleiche Ware teurer
als der Reiche. Allein vielfach liegt es doch auch umgekehrt: oft
versteht der Unbemittelte allerdings seine Bedürfnisse billiger und doch
nicht schlechter zu befriedigen als jener. Mit einer gewissen Betonung
tritt die Preisregulierung nach den Verhältnissen des Konsumenten bei
dem Ärztehonorar auf; es ist innerhalb bestimmter Grenzen legitim,
daſs der Patient den Arzt „nach seinen Verhältnissen“ bezahlt. Dies
ist freilich dadurch besonders gerechtfertigt, daſs der Kranke sich in
einer Zwangslage befindet; er muſs den Arzt haben und dieser muſs
sich deshalb von vornherein auf ungleiche Entgelte für gleiche Leistungen
einrichten. In solcher Zwangslage aber befindet sich auch der Bürger
dem Staate gegenüber, dessen Dienste er nicht entbehren, ja selbst,
wenn er wollte, nicht abweisen kann. Deshalb ist es in der Ordnung,
daſs der Staat von dem Armen ein geringeres Entgelt für seine Dienste,
geringere Steuern nimmt, und zwar nicht nur, weil er dem Reicheren
gröſseren Nutzen gewährt als diesem. Diese äuſserliche Objektivität
in der Ausgleichung von Dienst und Gegendienst ist längst als un-

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[319/0343] gegen Erhöhungen wie Herabdrückungen gesetzlich festzulegen suchte. Was dabei herauskam, muſste doch im schlechten Sinne subjektiv sein: willkürliche, unzulängliche, die momentane Konstellation zu Fesseln künftiger Bewegung festschmiedende Wertsetzungen. Statt durch so unmittelbare Gleichsetzung näherte man sich vielmehr der inhaltlich gerechten Angemessenheit der Preise erst, als man die Gesamtlage der Wirtschaft, die mannigfaltigen Kräfte von Angebot und Nachfrage, die fluktuierende Produktivität der Menschen und der Dinge als Be- stimmungsgründe der Preise erkannt hat. Obgleich dies nun eine die Individuen bindende Festlegung der Preise ausschloſs und die Be- rechnung der immerfort wechselnden Situation den Einzelnen überlassen muſste, so wurde doch hiermit die Preisgestaltung durch viel mehr thatsächlich wirksame Momente bestimmt und war seitdem eine objektiv angemessenere und gerechtere. Diese Entwicklung läſst sich nun noch vervollkommnet denken. Ein viel weitergehendes Gerechtigkeitsideal würde die Preise gestalten, wenn nicht nur die Komplikationen und Wandlungen der objektiven Momente, sondern auch die persönliche Vermögenslage des Konsumenten ihre Höhe mitbestimmten. Die Ver- hältnisse der Individuen sind doch auch objektive Thatsachen, die für den einzelnen Kaufvollzug sehr bedeutsam sind, aber jetzt in der Preis- gestaltung prinzipiell gar nicht zum Ausdruck kommen. Daſs man es dennoch gelegentlich beobachten kann, nimmt der Idee ihre erste Paradoxität. Unter den Erscheinungen, die ich oben als das Super- additum des Reichtums zusammenfaſste, begegnete es uns in einer frei- lich sehr outrierten Weise: der Arme bezahlte die gleiche Ware teurer als der Reiche. Allein vielfach liegt es doch auch umgekehrt: oft versteht der Unbemittelte allerdings seine Bedürfnisse billiger und doch nicht schlechter zu befriedigen als jener. Mit einer gewissen Betonung tritt die Preisregulierung nach den Verhältnissen des Konsumenten bei dem Ärztehonorar auf; es ist innerhalb bestimmter Grenzen legitim, daſs der Patient den Arzt „nach seinen Verhältnissen“ bezahlt. Dies ist freilich dadurch besonders gerechtfertigt, daſs der Kranke sich in einer Zwangslage befindet; er muſs den Arzt haben und dieser muſs sich deshalb von vornherein auf ungleiche Entgelte für gleiche Leistungen einrichten. In solcher Zwangslage aber befindet sich auch der Bürger dem Staate gegenüber, dessen Dienste er nicht entbehren, ja selbst, wenn er wollte, nicht abweisen kann. Deshalb ist es in der Ordnung, daſs der Staat von dem Armen ein geringeres Entgelt für seine Dienste, geringere Steuern nimmt, und zwar nicht nur, weil er dem Reicheren gröſseren Nutzen gewährt als diesem. Diese äuſserliche Objektivität in der Ausgleichung von Dienst und Gegendienst ist längst als un-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/343>, abgerufen am 06.05.2024.