geht durch die zweckmässigere Verteilung, die der Tausch bewirkt, in eine subjektiv grössere, in ein höheres Mass empfundener Nutzungen über. Das ist die grosse kulturelle Aufgabe bei jeder Neuverteilung von Rechten und Pflichten, die doch immer einen Austausch enthält; selbst bei scheinbar ganz einseitiger Verlegung des Vorteils wird ein wirklich soziales Verfahren sie nicht vernachlässigen. So war es z. B. bei der Bauernbefreiung des 18. und 19. Jahrhunderts die Aufgabe, die Herrschaften nicht einfach das verlieren zu lassen, was die Bauern gewinnen sollten, sondern einen Verteilungsmodus von Besitz und Rechten zu finden, der zugleich die Totalsumme der Nutzungen vergrösserte.
Hier sind es nun zwei Eigenschaften des Geldes, die nach dieser Richtung hin den Tausch von Waren oder Leistungen gegen dasselbe als den vollkommensten erscheinen lassen: seine Teilbarkeit und seine unbeschränkte Verwertbarkeit. Die erstere bewirkt, dass überhaupt eine objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung statt- finden kann. Naturale Objekte lassen sich in ihrem Werte selten so bestimmen und abstufen, dass ihr Austausch von jeder der beiden Par- teien als ein völlig gerechter anerkannt werden muss; erst das Geld, weil es selbst nichts anderes ist als die Darstellung des Wertes anderer Objekte und weil es fast unbegrenzt zu teilen und zu summieren ist, ermöglicht wenigstens prinzipiell die genaue Gleichheit der Tauschwerte. Allein mit dieser wird, wie ich hervorhob, erst die erste Stufe der von der Einseitigkeit des Besitzwechsels aufwärts führenden Entwicklung erreicht. Die zweite erhebt sich über der That- sache, dass der Naturaltausch selten beiden Teilen gleichmässig er- wünschte Objekte zuführen bezw. sie von gleichmässig überflüssigen befreien wird. In der Regel wird der lebhaftere Wunsch auf Seiten des einen sein und der andere entweder nur gezwungen oder gegen ein unverhältnismässig hohes Entgelt auf den Tausch eingehen. Beim Tausch von Leistungen für Geld dagegen erhält der Eine den Gegen- stand, den er ganz speziell braucht; der Andere etwas, was jeder ganz allgemein braucht. Vermöge seiner unbeschränkten Verwertbarkeit und daraus folgenden jederzeitigen Erwünschtheit kann es -- wenigstens prinzipiell -- jeden Tausch zu einem solchen machen, der beiden Teilen gleichmässig vorteilhaft ist: der Eine, der das naturale Objekt nimmt, thut es sicher nur, weil er jetzt grade dessen bedarf; der Andere, der das Geld nimmt, bedarf dessen ebenso grade jetzt, weil er seiner überhaupt in jedem Augenblick bedarf. Damit ermöglicht der Tausch um Geld beiden Parteien eine Erhöhung ihres Befriedigungs- niveaus, während bei naturalem Tausch sehr häufig nur die eine das spezifische Interesse am Erwerben oder Loswerden des Objekts haben
Simmel, Philosophie des Geldes. 19
geht durch die zweckmäſsigere Verteilung, die der Tausch bewirkt, in eine subjektiv gröſsere, in ein höheres Maſs empfundener Nutzungen über. Das ist die groſse kulturelle Aufgabe bei jeder Neuverteilung von Rechten und Pflichten, die doch immer einen Austausch enthält; selbst bei scheinbar ganz einseitiger Verlegung des Vorteils wird ein wirklich soziales Verfahren sie nicht vernachlässigen. So war es z. B. bei der Bauernbefreiung des 18. und 19. Jahrhunderts die Aufgabe, die Herrschaften nicht einfach das verlieren zu lassen, was die Bauern gewinnen sollten, sondern einen Verteilungsmodus von Besitz und Rechten zu finden, der zugleich die Totalsumme der Nutzungen vergröſserte.
Hier sind es nun zwei Eigenschaften des Geldes, die nach dieser Richtung hin den Tausch von Waren oder Leistungen gegen dasselbe als den vollkommensten erscheinen lassen: seine Teilbarkeit und seine unbeschränkte Verwertbarkeit. Die erstere bewirkt, daſs überhaupt eine objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung statt- finden kann. Naturale Objekte lassen sich in ihrem Werte selten so bestimmen und abstufen, daſs ihr Austausch von jeder der beiden Par- teien als ein völlig gerechter anerkannt werden muſs; erst das Geld, weil es selbst nichts anderes ist als die Darstellung des Wertes anderer Objekte und weil es fast unbegrenzt zu teilen und zu summieren ist, ermöglicht wenigstens prinzipiell die genaue Gleichheit der Tauschwerte. Allein mit dieser wird, wie ich hervorhob, erst die erste Stufe der von der Einseitigkeit des Besitzwechsels aufwärts führenden Entwicklung erreicht. Die zweite erhebt sich über der That- sache, daſs der Naturaltausch selten beiden Teilen gleichmäſsig er- wünschte Objekte zuführen bezw. sie von gleichmäſsig überflüssigen befreien wird. In der Regel wird der lebhaftere Wunsch auf Seiten des einen sein und der andere entweder nur gezwungen oder gegen ein unverhältnismäſsig hohes Entgelt auf den Tausch eingehen. Beim Tausch von Leistungen für Geld dagegen erhält der Eine den Gegen- stand, den er ganz speziell braucht; der Andere etwas, was jeder ganz allgemein braucht. Vermöge seiner unbeschränkten Verwertbarkeit und daraus folgenden jederzeitigen Erwünschtheit kann es — wenigstens prinzipiell — jeden Tausch zu einem solchen machen, der beiden Teilen gleichmäſsig vorteilhaft ist: der Eine, der das naturale Objekt nimmt, thut es sicher nur, weil er jetzt grade dessen bedarf; der Andere, der das Geld nimmt, bedarf dessen ebenso grade jetzt, weil er seiner überhaupt in jedem Augenblick bedarf. Damit ermöglicht der Tausch um Geld beiden Parteien eine Erhöhung ihres Befriedigungs- niveaus, während bei naturalem Tausch sehr häufig nur die eine das spezifische Interesse am Erwerben oder Loswerden des Objekts haben
Simmel, Philosophie des Geldes. 19
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0313"n="289"/>
geht durch die zweckmäſsigere Verteilung, die der Tausch bewirkt, in<lb/>
eine subjektiv gröſsere, in ein höheres Maſs empfundener Nutzungen<lb/>
über. Das ist die groſse kulturelle Aufgabe bei jeder Neuverteilung<lb/>
von Rechten und Pflichten, die doch immer einen Austausch enthält;<lb/>
selbst bei scheinbar ganz einseitiger Verlegung des Vorteils wird ein<lb/>
wirklich soziales Verfahren sie nicht vernachlässigen. So war es z. B.<lb/>
bei der Bauernbefreiung des 18. und 19. Jahrhunderts die Aufgabe,<lb/>
die Herrschaften nicht einfach das verlieren zu lassen, was die Bauern<lb/>
gewinnen sollten, sondern einen Verteilungsmodus von Besitz und Rechten<lb/>
zu finden, der zugleich die Totalsumme der Nutzungen vergröſserte.</p><lb/><p>Hier sind es nun zwei Eigenschaften des Geldes, die nach dieser<lb/>
Richtung hin den Tausch von Waren oder Leistungen gegen dasselbe<lb/>
als den vollkommensten erscheinen lassen: seine Teilbarkeit und seine<lb/>
unbeschränkte Verwertbarkeit. Die erstere bewirkt, daſs überhaupt<lb/>
eine objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung statt-<lb/>
finden kann. Naturale Objekte lassen sich in ihrem Werte selten so<lb/>
bestimmen und abstufen, daſs ihr Austausch von jeder der beiden Par-<lb/>
teien als ein völlig gerechter anerkannt werden muſs; erst das Geld,<lb/>
weil es selbst nichts anderes ist als die Darstellung des Wertes<lb/><hirendition="#g">anderer</hi> Objekte und weil es fast unbegrenzt zu teilen und zu<lb/>
summieren ist, ermöglicht wenigstens prinzipiell die genaue Gleichheit<lb/>
der Tauschwerte. Allein mit dieser wird, wie ich hervorhob, erst die<lb/>
erste Stufe der von der Einseitigkeit des Besitzwechsels aufwärts<lb/>
führenden Entwicklung erreicht. Die zweite erhebt sich über der That-<lb/>
sache, daſs der Naturaltausch selten beiden Teilen gleichmäſsig er-<lb/>
wünschte Objekte zuführen bezw. sie von gleichmäſsig überflüssigen<lb/>
befreien wird. In der Regel wird der lebhaftere Wunsch auf Seiten<lb/>
des einen sein und der andere entweder nur gezwungen oder gegen<lb/>
ein unverhältnismäſsig hohes Entgelt auf den Tausch eingehen. Beim<lb/>
Tausch von Leistungen für Geld dagegen erhält der Eine den Gegen-<lb/>
stand, den er ganz speziell braucht; der Andere etwas, was jeder ganz<lb/>
allgemein braucht. Vermöge seiner unbeschränkten Verwertbarkeit und<lb/>
daraus folgenden jederzeitigen Erwünschtheit kann es — wenigstens<lb/>
prinzipiell — jeden Tausch zu einem solchen machen, der beiden<lb/>
Teilen gleichmäſsig vorteilhaft ist: der Eine, der das naturale Objekt<lb/>
nimmt, thut es sicher nur, weil er jetzt grade dessen bedarf; der<lb/>
Andere, der das Geld nimmt, bedarf dessen ebenso grade jetzt, weil er<lb/>
seiner überhaupt in <hirendition="#g">jedem</hi> Augenblick bedarf. Damit ermöglicht der<lb/>
Tausch um Geld beiden Parteien eine Erhöhung ihres Befriedigungs-<lb/>
niveaus, während bei naturalem Tausch sehr häufig nur die eine das<lb/>
spezifische Interesse am Erwerben oder Loswerden des Objekts haben<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Simmel</hi>, Philosophie des Geldes. 19</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[289/0313]
geht durch die zweckmäſsigere Verteilung, die der Tausch bewirkt, in
eine subjektiv gröſsere, in ein höheres Maſs empfundener Nutzungen
über. Das ist die groſse kulturelle Aufgabe bei jeder Neuverteilung
von Rechten und Pflichten, die doch immer einen Austausch enthält;
selbst bei scheinbar ganz einseitiger Verlegung des Vorteils wird ein
wirklich soziales Verfahren sie nicht vernachlässigen. So war es z. B.
bei der Bauernbefreiung des 18. und 19. Jahrhunderts die Aufgabe,
die Herrschaften nicht einfach das verlieren zu lassen, was die Bauern
gewinnen sollten, sondern einen Verteilungsmodus von Besitz und Rechten
zu finden, der zugleich die Totalsumme der Nutzungen vergröſserte.
Hier sind es nun zwei Eigenschaften des Geldes, die nach dieser
Richtung hin den Tausch von Waren oder Leistungen gegen dasselbe
als den vollkommensten erscheinen lassen: seine Teilbarkeit und seine
unbeschränkte Verwertbarkeit. Die erstere bewirkt, daſs überhaupt
eine objektive Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung statt-
finden kann. Naturale Objekte lassen sich in ihrem Werte selten so
bestimmen und abstufen, daſs ihr Austausch von jeder der beiden Par-
teien als ein völlig gerechter anerkannt werden muſs; erst das Geld,
weil es selbst nichts anderes ist als die Darstellung des Wertes
anderer Objekte und weil es fast unbegrenzt zu teilen und zu
summieren ist, ermöglicht wenigstens prinzipiell die genaue Gleichheit
der Tauschwerte. Allein mit dieser wird, wie ich hervorhob, erst die
erste Stufe der von der Einseitigkeit des Besitzwechsels aufwärts
führenden Entwicklung erreicht. Die zweite erhebt sich über der That-
sache, daſs der Naturaltausch selten beiden Teilen gleichmäſsig er-
wünschte Objekte zuführen bezw. sie von gleichmäſsig überflüssigen
befreien wird. In der Regel wird der lebhaftere Wunsch auf Seiten
des einen sein und der andere entweder nur gezwungen oder gegen
ein unverhältnismäſsig hohes Entgelt auf den Tausch eingehen. Beim
Tausch von Leistungen für Geld dagegen erhält der Eine den Gegen-
stand, den er ganz speziell braucht; der Andere etwas, was jeder ganz
allgemein braucht. Vermöge seiner unbeschränkten Verwertbarkeit und
daraus folgenden jederzeitigen Erwünschtheit kann es — wenigstens
prinzipiell — jeden Tausch zu einem solchen machen, der beiden
Teilen gleichmäſsig vorteilhaft ist: der Eine, der das naturale Objekt
nimmt, thut es sicher nur, weil er jetzt grade dessen bedarf; der
Andere, der das Geld nimmt, bedarf dessen ebenso grade jetzt, weil er
seiner überhaupt in jedem Augenblick bedarf. Damit ermöglicht der
Tausch um Geld beiden Parteien eine Erhöhung ihres Befriedigungs-
niveaus, während bei naturalem Tausch sehr häufig nur die eine das
spezifische Interesse am Erwerben oder Loswerden des Objekts haben
Simmel, Philosophie des Geldes. 19
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/313>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.