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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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trag und die sehr grosse Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise ge-
drungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fern bleiben mussten;
einigermassen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie,
während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr
für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen
Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen
sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe etc. in sehr
kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügig-
keit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Ge-
samtbetrage leicht darüber, dass sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu
dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere
Thatsache, dass mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein
spekulativer Gewinn zu machen ist, lässt manchen vergessen, dass seine
Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das
Tragische dabei ist, dass Leute, deren Einkommen nur das Existenz-
minimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften,
solchen Versuchungen grade am stärksten unterworfen sind. Ersichtlich
liegt nun jene Grenze innerhalb des Einkommens oder Vermögens, von
der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger,
d. h. sie lässt einen um so grösseren Teil für spekulative Zwecke frei,
je besser die Persönlichkeit situiert ist -- und zwar nicht nur einen
absolut grösseren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen
relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen grösseren. Auch
besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz
tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben
können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter
Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag
zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums -- denn offen-
bar hat ein Vermögen um so grössere Chance, sich zu vermehren, ein
je grösserer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz
des Besitzers spekulativ angelegt werden kann -- sondern es zeigt auch,
wie das Geld durch die blossen Unterschiede seiner Quantität einen
ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirt-
schaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unter-
stellt. Die ganze äussere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist
eine andre, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches
steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschliesslich davon
ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen
sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines
Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.

Dies ordnet sich schliesslich einer sehr allgemeinen Form des Ver-

trag und die sehr groſse Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise ge-
drungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fern bleiben muſsten;
einigermaſsen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie,
während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr
für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen
Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen
sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe etc. in sehr
kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügig-
keit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Ge-
samtbetrage leicht darüber, daſs sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu
dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere
Thatsache, daſs mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein
spekulativer Gewinn zu machen ist, läſst manchen vergessen, daſs seine
Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das
Tragische dabei ist, daſs Leute, deren Einkommen nur das Existenz-
minimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften,
solchen Versuchungen grade am stärksten unterworfen sind. Ersichtlich
liegt nun jene Grenze innerhalb des Einkommens oder Vermögens, von
der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger,
d. h. sie läſst einen um so gröſseren Teil für spekulative Zwecke frei,
je besser die Persönlichkeit situiert ist — und zwar nicht nur einen
absolut gröſseren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen
relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen gröſseren. Auch
besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz
tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben
können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter
Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag
zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums — denn offen-
bar hat ein Vermögen um so gröſsere Chance, sich zu vermehren, ein
je gröſserer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz
des Besitzers spekulativ angelegt werden kann — sondern es zeigt auch,
wie das Geld durch die bloſsen Unterschiede seiner Quantität einen
ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirt-
schaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unter-
stellt. Die ganze äuſsere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist
eine andre, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches
steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschlieſslich davon
ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen
sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines
Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.

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[254/0278] trag und die sehr groſse Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise ge- drungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fern bleiben muſsten; einigermaſsen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie, während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe etc. in sehr kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügig- keit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Ge- samtbetrage leicht darüber, daſs sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere Thatsache, daſs mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein spekulativer Gewinn zu machen ist, läſst manchen vergessen, daſs seine Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das Tragische dabei ist, daſs Leute, deren Einkommen nur das Existenz- minimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften, solchen Versuchungen grade am stärksten unterworfen sind. Ersichtlich liegt nun jene Grenze innerhalb des Einkommens oder Vermögens, von der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger, d. h. sie läſst einen um so gröſseren Teil für spekulative Zwecke frei, je besser die Persönlichkeit situiert ist — und zwar nicht nur einen absolut gröſseren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen gröſseren. Auch besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums — denn offen- bar hat ein Vermögen um so gröſsere Chance, sich zu vermehren, ein je gröſserer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz des Besitzers spekulativ angelegt werden kann — sondern es zeigt auch, wie das Geld durch die bloſsen Unterschiede seiner Quantität einen ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirt- schaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unter- stellt. Die ganze äuſsere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist eine andre, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschlieſslich davon ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten. Dies ordnet sich schlieſslich einer sehr allgemeinen Form des Ver-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/278>, abgerufen am 24.11.2024.