Kategorien: mit Risiko und ohne Risiko. Abstrakt betrachtet sind zwar in jeder einzelnen beide Formen enthalten, wenn man etwa vom reinen Hazardspiel absieht; denn auch die wildeste sonstige Speku- lation muss zwar mit einer sehr starken Entwertung, aber doch nicht der Nullifizierung des Spekulationsobjektes rechnen, während andrer- seits auch das solideste Erwerbsgeschäft immer irgend einen Risikozusatz birgt. Praktisch aber kann in sehr vielen Fällen der letztere einfach als unendlich kleine Grösse vernachlässigt werden, so dass man von jedem Geschäft sagen kann, es sei mit ihm entweder nichts riskiert, oder ein bestimmter Teil des Anlagekapitals, bezw. des Vermögens des Subjekts stehe auf dem Spiele. Nun scheint es vernünftig, die Grösse dieses eventuell verlierbaren Einsatzes durch die beiden objektiven Faktoren bestimmen zu lassen: den Wahrscheinlichkeitsbruch des Verlustes und die Höhe des eventuellen Gewinnes. Es ist offenbar irrationell, 100 M. an ein Geschäft zu wagen, bei dem die Verlustchance = 1/2 ist und der höchstmögliche Gewinn 25 M. beträgt; es scheint aber unter allen Umständen rationell, unter den gleichen Bedingungen 20 M. zu wagen. Allein diese objektive Berechnung reicht thatsächlich nicht aus, die Vernunft oder Unvernunft in dem Risiko einer bestimmten Summe auszumachen. Es tritt vielmehr noch ein personaler Faktor hinzu: innerhalb jeder ökonomischen Lage giebt es einen gewissen Bruchteil des Besitzes, der vernünftigerweise überhaupt nicht riskiert werden darf, gleichgültig, eine wie hohe und wie wahrscheinliche Gewinnchance dafür einzutauschen wäre. Jenes verzweifelte Aufs-Spiel-Setzen des Letzten, das damit begründet zu werden pflegt, dass man "nichts mehr zu verlieren habe", zeigt durch diese Begründung, dass man auf Ratio- nalität des Verfahrens ausdrücklich verzichtet habe. Setzt man eine solche aber voraus, so tritt die Frage nach der objektiven Wahrschein- lichkeit des Gelingens einer Spekulation erst jenseits eines bestimmten Teilstriches innerhalb jedes Vermögens in ihr Recht. Das Quantum unterhalb dieser Grenze darf vernünftiger Weise auch nicht um eine grosse zu gewinnende Summe und bei einer sehr geringen Verlust- wahrscheinlichkeit aufs Spiel gesetzt werden, so dass diese objektiven, sonst das Recht des Risikos begründenden Faktoren hier ganz gleich- gültig werden. Die Geldform der Werte verführt leicht zu einem Verkennen dieser wirtschaftlichen Forderung, weil sie jene in sehr kleine Abschnitte zerlegt und dadurch auch den Minderbegüterten in ein Risiko hineinlockt, in das er prinzipiell nicht eintreten dürfte. Dies hat sich z. B. äusserst charakteristisch an den Goldaktien über ein Pfund Wert gezeigt, die die Minengesellschaften Transvaals und West- australiens ausgegeben haben. Durch ihren relativ sehr geringen Be-
Kategorien: mit Risiko und ohne Risiko. Abstrakt betrachtet sind zwar in jeder einzelnen beide Formen enthalten, wenn man etwa vom reinen Hazardspiel absieht; denn auch die wildeste sonstige Speku- lation muſs zwar mit einer sehr starken Entwertung, aber doch nicht der Nullifizierung des Spekulationsobjektes rechnen, während andrer- seits auch das solideste Erwerbsgeschäft immer irgend einen Risikozusatz birgt. Praktisch aber kann in sehr vielen Fällen der letztere einfach als unendlich kleine Gröſse vernachlässigt werden, so daſs man von jedem Geschäft sagen kann, es sei mit ihm entweder nichts riskiert, oder ein bestimmter Teil des Anlagekapitals, bezw. des Vermögens des Subjekts stehe auf dem Spiele. Nun scheint es vernünftig, die Gröſse dieses eventuell verlierbaren Einsatzes durch die beiden objektiven Faktoren bestimmen zu lassen: den Wahrscheinlichkeitsbruch des Verlustes und die Höhe des eventuellen Gewinnes. Es ist offenbar irrationell, 100 M. an ein Geschäft zu wagen, bei dem die Verlustchance = ½ ist und der höchstmögliche Gewinn 25 M. beträgt; es scheint aber unter allen Umständen rationell, unter den gleichen Bedingungen 20 M. zu wagen. Allein diese objektive Berechnung reicht thatsächlich nicht aus, die Vernunft oder Unvernunft in dem Risiko einer bestimmten Summe auszumachen. Es tritt vielmehr noch ein personaler Faktor hinzu: innerhalb jeder ökonomischen Lage giebt es einen gewissen Bruchteil des Besitzes, der vernünftigerweise überhaupt nicht riskiert werden darf, gleichgültig, eine wie hohe und wie wahrscheinliche Gewinnchance dafür einzutauschen wäre. Jenes verzweifelte Aufs-Spiel-Setzen des Letzten, das damit begründet zu werden pflegt, daſs man „nichts mehr zu verlieren habe“, zeigt durch diese Begründung, daſs man auf Ratio- nalität des Verfahrens ausdrücklich verzichtet habe. Setzt man eine solche aber voraus, so tritt die Frage nach der objektiven Wahrschein- lichkeit des Gelingens einer Spekulation erst jenseits eines bestimmten Teilstriches innerhalb jedes Vermögens in ihr Recht. Das Quantum unterhalb dieser Grenze darf vernünftiger Weise auch nicht um eine groſse zu gewinnende Summe und bei einer sehr geringen Verlust- wahrscheinlichkeit aufs Spiel gesetzt werden, so daſs diese objektiven, sonst das Recht des Risikos begründenden Faktoren hier ganz gleich- gültig werden. Die Geldform der Werte verführt leicht zu einem Verkennen dieser wirtschaftlichen Forderung, weil sie jene in sehr kleine Abschnitte zerlegt und dadurch auch den Minderbegüterten in ein Risiko hineinlockt, in das er prinzipiell nicht eintreten dürfte. Dies hat sich z. B. äuſserst charakteristisch an den Goldaktien über ein Pfund Wert gezeigt, die die Minengesellschaften Transvaals und West- australiens ausgegeben haben. Durch ihren relativ sehr geringen Be-
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Kategorien: mit Risiko und ohne Risiko. Abstrakt betrachtet sind
zwar in jeder einzelnen beide Formen enthalten, wenn man etwa vom
reinen Hazardspiel absieht; denn auch die wildeste sonstige Speku-
lation muſs zwar mit einer sehr starken Entwertung, aber doch nicht
der Nullifizierung des Spekulationsobjektes rechnen, während andrer-
seits auch das solideste Erwerbsgeschäft immer irgend einen Risikozusatz
birgt. Praktisch aber kann in sehr vielen Fällen der letztere einfach
als unendlich kleine Gröſse vernachlässigt werden, so daſs man von jedem
Geschäft sagen kann, es sei mit ihm entweder nichts riskiert, oder ein
bestimmter Teil des Anlagekapitals, bezw. des Vermögens des Subjekts
stehe auf dem Spiele. Nun scheint es vernünftig, die Gröſse dieses
eventuell verlierbaren Einsatzes durch die beiden objektiven Faktoren
bestimmen zu lassen: den Wahrscheinlichkeitsbruch des Verlustes und
die Höhe des eventuellen Gewinnes. Es ist offenbar irrationell, 100 M.
an ein Geschäft zu wagen, bei dem die Verlustchance = ½ ist und
der höchstmögliche Gewinn 25 M. beträgt; es scheint aber unter allen
Umständen rationell, unter den gleichen Bedingungen 20 M. zu wagen.
Allein diese objektive Berechnung reicht thatsächlich nicht aus, die
Vernunft oder Unvernunft in dem Risiko einer bestimmten Summe
auszumachen. Es tritt vielmehr noch ein personaler Faktor hinzu:
innerhalb jeder ökonomischen Lage giebt es einen gewissen Bruchteil
des Besitzes, der vernünftigerweise überhaupt nicht riskiert werden darf,
gleichgültig, eine wie hohe und wie wahrscheinliche Gewinnchance
dafür einzutauschen wäre. Jenes verzweifelte Aufs-Spiel-Setzen des
Letzten, das damit begründet zu werden pflegt, daſs man „nichts mehr
zu verlieren habe“, zeigt durch diese Begründung, daſs man auf Ratio-
nalität des Verfahrens ausdrücklich verzichtet habe. Setzt man eine
solche aber voraus, so tritt die Frage nach der objektiven Wahrschein-
lichkeit des Gelingens einer Spekulation erst jenseits eines bestimmten
Teilstriches innerhalb jedes Vermögens in ihr Recht. Das Quantum
unterhalb dieser Grenze darf vernünftiger Weise auch nicht um eine
groſse zu gewinnende Summe und bei einer sehr geringen Verlust-
wahrscheinlichkeit aufs Spiel gesetzt werden, so daſs diese objektiven,
sonst das Recht des Risikos begründenden Faktoren hier ganz gleich-
gültig werden. Die Geldform der Werte verführt leicht zu einem
Verkennen dieser wirtschaftlichen Forderung, weil sie jene in sehr
kleine Abschnitte zerlegt und dadurch auch den Minderbegüterten in
ein Risiko hineinlockt, in das er prinzipiell nicht eintreten dürfte.
Dies hat sich z. B. äuſserst charakteristisch an den Goldaktien über ein
Pfund Wert gezeigt, die die Minengesellschaften Transvaals und West-
australiens ausgegeben haben. Durch ihren relativ sehr geringen Be-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/277>, abgerufen am 28.11.2024.
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