nicht sogleich verwenden muss. Die Reihe der konkreten Güter ent- faltet sich zwischen den beiden, ihren Wert modifizierenden und mannig- faltigst abgestuften Extremen: im Falle des einen kann das Gut zwar jetzt, aber nicht später, im Falle des anderen zwar später, aber nicht jetzt genossen werden. Wenn also z. B. im Sommer eben gefangene Fische gegen ein erst im Winter zu tragendes Fell eingetauscht werden, so wird der Wert der ersteren dadurch gehoben, dass ich sie sogleich konsumieren kann, während der des letzteren darunter leidet, dass der Aufschub seiner Benutzung allen Chancen der Beschädigung, des Ver- lustes, der Entwertung Raum giebt; andrerseits wird der erstere herab- gesetzt, weil der Gegenstand schon morgen verdorben ist, der letztere gesteigert, weil er eine hinausschiebbare Verwendung gewährt. Je mehr nun ein als Tauschmittel benutztes Objekt die beiden wert- steigernden Momente in sich vereinigt, desto mehr Geldqualität besitzt es: denn das Geld als reines Mittel überhaupt stellt ihre höchsterreich- bare Synthese dar; weil es keine konkrete, seine Verwendung prä- judizierende Eigenschaft besitzt, sondern nur das Werkzeug zur Er- langung konkreter Werte ist, so ist die Freiheit seiner Verwendung ebenso gross in Bezug auf die Zeitmomente, in denen, wie auf die Gegenstände, für die es ausgegeben wird.
Aus diesem besonderen Wert des Geldes, der seiner völligen Be- ziehungslosigkeit zu allen Besonderungen von Dingen und Zeitmomenten, der völligen Ablehnung jedes eigenen Zweckes, der Abstraktheit seines Mittelscharakters entstammt -- fliesst das Übergewicht dessen, der das Geld giebt, über denjenigen, der die Ware giebt. Die Ausnahmen hier- von: Verweigerungen des Verkaufs aus affektiven Wertungen, bei Boykottierungen, Ringbildungen u. s. w. -- entstehen, wenn die für Geld begehrten Dingwerte der individuellen Sachlage nach durchaus nicht durch andere ersetzbar sind. Dann freilich fällt die Wahlchance, die das dafür offerierte Geld seinem jetzigen Besitzer bietet, fort -- und damit dessen Sondervorteil -- weil eben statt der Wahl eine eindeutige Bestimmtheit des Willens besteht. Im allgemeinen aber geniesst der Geldbesitzer jene zweiseitige Freiheit, und für das Aufgeben derselben zu gunsten des Warenbesitzers wird er ein besonderes Äquivalent fordern. Dies tritt z. B. an dem wirtschafts-psychologisch sehr interessanten Prinzip der "Zugabe" hervor. Beim Einkauf von wäg- und messbaren Waren erwartet man, der Kaufmann werde "gut messen", d. h. wenig- stens einen Teilstrich darüber geben; was auch fast durchgängig ge- schieht. Es kommt hier freilich dazu, dass beim Messen der Waren ein Irrtum näher liegt als beim Zählen des Geldes. Allein das Charakteristische ist, dass der Geldgeber die Macht hat, die Deutung
nicht sogleich verwenden muſs. Die Reihe der konkreten Güter ent- faltet sich zwischen den beiden, ihren Wert modifizierenden und mannig- faltigst abgestuften Extremen: im Falle des einen kann das Gut zwar jetzt, aber nicht später, im Falle des anderen zwar später, aber nicht jetzt genossen werden. Wenn also z. B. im Sommer eben gefangene Fische gegen ein erst im Winter zu tragendes Fell eingetauscht werden, so wird der Wert der ersteren dadurch gehoben, daſs ich sie sogleich konsumieren kann, während der des letzteren darunter leidet, daſs der Aufschub seiner Benutzung allen Chancen der Beschädigung, des Ver- lustes, der Entwertung Raum giebt; andrerseits wird der erstere herab- gesetzt, weil der Gegenstand schon morgen verdorben ist, der letztere gesteigert, weil er eine hinausschiebbare Verwendung gewährt. Je mehr nun ein als Tauschmittel benutztes Objekt die beiden wert- steigernden Momente in sich vereinigt, desto mehr Geldqualität besitzt es: denn das Geld als reines Mittel überhaupt stellt ihre höchsterreich- bare Synthese dar; weil es keine konkrete, seine Verwendung prä- judizierende Eigenschaft besitzt, sondern nur das Werkzeug zur Er- langung konkreter Werte ist, so ist die Freiheit seiner Verwendung ebenso groſs in Bezug auf die Zeitmomente, in denen, wie auf die Gegenstände, für die es ausgegeben wird.
Aus diesem besonderen Wert des Geldes, der seiner völligen Be- ziehungslosigkeit zu allen Besonderungen von Dingen und Zeitmomenten, der völligen Ablehnung jedes eigenen Zweckes, der Abstraktheit seines Mittelscharakters entstammt — flieſst das Übergewicht dessen, der das Geld giebt, über denjenigen, der die Ware giebt. Die Ausnahmen hier- von: Verweigerungen des Verkaufs aus affektiven Wertungen, bei Boykottierungen, Ringbildungen u. s. w. — entstehen, wenn die für Geld begehrten Dingwerte der individuellen Sachlage nach durchaus nicht durch andere ersetzbar sind. Dann freilich fällt die Wahlchance, die das dafür offerierte Geld seinem jetzigen Besitzer bietet, fort — und damit dessen Sondervorteil — weil eben statt der Wahl eine eindeutige Bestimmtheit des Willens besteht. Im allgemeinen aber genieſst der Geldbesitzer jene zweiseitige Freiheit, und für das Aufgeben derselben zu gunsten des Warenbesitzers wird er ein besonderes Äquivalent fordern. Dies tritt z. B. an dem wirtschafts-psychologisch sehr interessanten Prinzip der „Zugabe“ hervor. Beim Einkauf von wäg- und meſsbaren Waren erwartet man, der Kaufmann werde „gut messen“, d. h. wenig- stens einen Teilstrich darüber geben; was auch fast durchgängig ge- schieht. Es kommt hier freilich dazu, daſs beim Messen der Waren ein Irrtum näher liegt als beim Zählen des Geldes. Allein das Charakteristische ist, daſs der Geldgeber die Macht hat, die Deutung
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nicht sogleich verwenden muſs. Die Reihe der konkreten Güter ent-
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faltigst abgestuften Extremen: im Falle des einen kann das Gut zwar
jetzt, aber nicht später, im Falle des anderen zwar später, aber nicht
jetzt genossen werden. Wenn also z. B. im Sommer eben gefangene
Fische gegen ein erst im Winter zu tragendes Fell eingetauscht werden,
so wird der Wert der ersteren dadurch gehoben, daſs ich sie sogleich
konsumieren kann, während der des letzteren darunter leidet, daſs der
Aufschub seiner Benutzung allen Chancen der Beschädigung, des Ver-
lustes, der Entwertung Raum giebt; andrerseits wird der erstere herab-
gesetzt, weil der Gegenstand schon morgen verdorben ist, der letztere
gesteigert, weil er eine hinausschiebbare Verwendung gewährt. Je
mehr nun ein als Tauschmittel benutztes Objekt die beiden wert-
steigernden Momente in sich vereinigt, desto mehr Geldqualität besitzt
es: denn das Geld als reines Mittel überhaupt stellt ihre höchsterreich-
bare Synthese dar; weil es keine konkrete, seine Verwendung prä-
judizierende Eigenschaft besitzt, sondern nur das Werkzeug zur Er-
langung konkreter Werte ist, so ist die Freiheit seiner Verwendung
ebenso groſs in Bezug auf die Zeitmomente, in denen, wie auf die
Gegenstände, für die es ausgegeben wird.
Aus diesem besonderen Wert des Geldes, der seiner völligen Be-
ziehungslosigkeit zu allen Besonderungen von Dingen und Zeitmomenten,
der völligen Ablehnung jedes eigenen Zweckes, der Abstraktheit seines
Mittelscharakters entstammt — flieſst das Übergewicht dessen, der das
Geld giebt, über denjenigen, der die Ware giebt. Die Ausnahmen hier-
von: Verweigerungen des Verkaufs aus affektiven Wertungen, bei
Boykottierungen, Ringbildungen u. s. w. — entstehen, wenn die für
Geld begehrten Dingwerte der individuellen Sachlage nach durchaus
nicht durch andere ersetzbar sind. Dann freilich fällt die Wahlchance,
die das dafür offerierte Geld seinem jetzigen Besitzer bietet, fort — und
damit dessen Sondervorteil — weil eben statt der Wahl eine eindeutige
Bestimmtheit des Willens besteht. Im allgemeinen aber genieſst der
Geldbesitzer jene zweiseitige Freiheit, und für das Aufgeben derselben
zu gunsten des Warenbesitzers wird er ein besonderes Äquivalent fordern.
Dies tritt z. B. an dem wirtschafts-psychologisch sehr interessanten
Prinzip der „Zugabe“ hervor. Beim Einkauf von wäg- und meſsbaren
Waren erwartet man, der Kaufmann werde „gut messen“, d. h. wenig-
stens einen Teilstrich darüber geben; was auch fast durchgängig ge-
schieht. Es kommt hier freilich dazu, daſs beim Messen der Waren
ein Irrtum näher liegt als beim Zählen des Geldes. Allein das
Charakteristische ist, daſs der Geldgeber die Macht hat, die Deutung
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/220>, abgerufen am 23.11.2024.
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