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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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sorten gegen einander erheblich verschoben werden. Dies ist natürlich
ein Verhältnis, das von sehr vielen anders gerichteten Kräften und
Erwägungen überdeckt werden kann, so dass die Erscheinungen auch
umgekehrt verlaufen können; was aber nicht beweist, dass es sie da,
wo Gegeninstanzen fehlen, nicht beherrsche. Und selbst, wo solche
bestehen, möchte es irgendwie wirksam sein; denn auch bei sehr -- gegen
Gold -- entwertetem Papier scheint die Kaufkraft desselben den
Waren gegenüber noch schneller zu sinken als dem Golde gegenüber. --
Ein anderes Stadium des Scheidungsprozesses zwischen dem Funktions-
und dem inneren Wert des Geldes zeigen die Fälle, wo für die Schätzung
der Werte als Massstab ein Geld angewandt wird, in dem die that-
sächlichen Zahlungen gar nicht erfolgen. Den Tauschdienst, von dem
ich eben sprach, kann das Geld nicht leisten, ohne zugleich Massdienste
zu leisten; wohl aber zeigen sich die letzteren in gewisser Hinsicht von
jenem unabhängig. Im alten Ägypten wurden die Preise nach dem Uten,
einem Stück gewundenen Kupferdrahts, bestimmt, während die Zahlungen
in den verschiedensten Bedarfsartikeln erfolgten. Im Mittelalter wird
vielfach der Geldpreis festgesetzt, während der Käufer ihn zahlen darf,
in quo potuerit. An vielen Stellen Afrikas wird heute der Güter-
austausch nach einer, manchmal recht komplizierten, Geld-Valuta voll-
zogen, aber das Geld selbst ist meistens nicht vorhanden. Die Geschäfte
der ausserordentlich wichtigen Genueser Wechselmessen des 16. Jahrhun-
derts wurden nach der Werteinheit des Markenskudo (scudo de' marchi)
abgewickelt. Diese war in keiner existierenden Münze ausgedrückt,
war vielmehr rein imaginär: 100 Skudi galten soviel wie 99 der besten
Goldskudi. Alle Verpflichtungen waren auf Markenskudi gestellt, wo-
durch die Messwährung, eben wegen ihrer Idealität, eine vollkommen
feste, aller Schwankung und Zerfahrenheit der Prägungen entzogene
war. Auch die indische Kompagnie hat, um der Verschlechterung, dem
Verschleiss und der Fälschung der indischen Münze zu begegnen, den
rupee current eingeführt: eine überhaupt nicht geprägte Münze, die
einem gewissen Quantum Silber entsprach und nur den Massstab
bildete, an dem der Wert der wirklichen, deteriorierten Münzen fest-
gestellt wurde. Diese gewannen nun durch ein solches festes ideelles
Mass auch für sich einen festen relativen Wert. Damit war fast schon
der Zustand erreicht, den ein Theoretiker von Anfang des 19. Jahr-
hunderts vor Augen hat. Indem er alles gemünzte, oder in anderer
Form den Verkehr vermittelnde Geld für eine Anweisung auf tausch-
bare Güter erklärt, kommt er schliesslich zu einer Negation aller
Realität des Geldes: er stellt dem Gelde im eigentlichen Sinne die
Münze gegenüber und erklärt nur die letztere für jene "Anweisung",

sorten gegen einander erheblich verschoben werden. Dies ist natürlich
ein Verhältnis, das von sehr vielen anders gerichteten Kräften und
Erwägungen überdeckt werden kann, so daſs die Erscheinungen auch
umgekehrt verlaufen können; was aber nicht beweist, daſs es sie da,
wo Gegeninstanzen fehlen, nicht beherrsche. Und selbst, wo solche
bestehen, möchte es irgendwie wirksam sein; denn auch bei sehr — gegen
Gold — entwertetem Papier scheint die Kaufkraft desselben den
Waren gegenüber noch schneller zu sinken als dem Golde gegenüber. —
Ein anderes Stadium des Scheidungsprozesses zwischen dem Funktions-
und dem inneren Wert des Geldes zeigen die Fälle, wo für die Schätzung
der Werte als Maſsstab ein Geld angewandt wird, in dem die that-
sächlichen Zahlungen gar nicht erfolgen. Den Tauschdienst, von dem
ich eben sprach, kann das Geld nicht leisten, ohne zugleich Maſsdienste
zu leisten; wohl aber zeigen sich die letzteren in gewisser Hinsicht von
jenem unabhängig. Im alten Ägypten wurden die Preise nach dem Uten,
einem Stück gewundenen Kupferdrahts, bestimmt, während die Zahlungen
in den verschiedensten Bedarfsartikeln erfolgten. Im Mittelalter wird
vielfach der Geldpreis festgesetzt, während der Käufer ihn zahlen darf,
in quo potuerit. An vielen Stellen Afrikas wird heute der Güter-
austausch nach einer, manchmal recht komplizierten, Geld-Valuta voll-
zogen, aber das Geld selbst ist meistens nicht vorhanden. Die Geschäfte
der auſserordentlich wichtigen Genueser Wechselmessen des 16. Jahrhun-
derts wurden nach der Werteinheit des Markenskudo (scudo de’ marchi)
abgewickelt. Diese war in keiner existierenden Münze ausgedrückt,
war vielmehr rein imaginär: 100 Skudi galten soviel wie 99 der besten
Goldskudi. Alle Verpflichtungen waren auf Markenskudi gestellt, wo-
durch die Meſswährung, eben wegen ihrer Idealität, eine vollkommen
feste, aller Schwankung und Zerfahrenheit der Prägungen entzogene
war. Auch die indische Kompagnie hat, um der Verschlechterung, dem
Verschleiſs und der Fälschung der indischen Münze zu begegnen, den
rupee current eingeführt: eine überhaupt nicht geprägte Münze, die
einem gewissen Quantum Silber entsprach und nur den Maſsstab
bildete, an dem der Wert der wirklichen, deteriorierten Münzen fest-
gestellt wurde. Diese gewannen nun durch ein solches festes ideelles
Maſs auch für sich einen festen relativen Wert. Damit war fast schon
der Zustand erreicht, den ein Theoretiker von Anfang des 19. Jahr-
hunderts vor Augen hat. Indem er alles gemünzte, oder in anderer
Form den Verkehr vermittelnde Geld für eine Anweisung auf tausch-
bare Güter erklärt, kommt er schlieſslich zu einer Negation aller
Realität des Geldes: er stellt dem Gelde im eigentlichen Sinne die
Münze gegenüber und erklärt nur die letztere für jene „Anweisung“,

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[167/0191] sorten gegen einander erheblich verschoben werden. Dies ist natürlich ein Verhältnis, das von sehr vielen anders gerichteten Kräften und Erwägungen überdeckt werden kann, so daſs die Erscheinungen auch umgekehrt verlaufen können; was aber nicht beweist, daſs es sie da, wo Gegeninstanzen fehlen, nicht beherrsche. Und selbst, wo solche bestehen, möchte es irgendwie wirksam sein; denn auch bei sehr — gegen Gold — entwertetem Papier scheint die Kaufkraft desselben den Waren gegenüber noch schneller zu sinken als dem Golde gegenüber. — Ein anderes Stadium des Scheidungsprozesses zwischen dem Funktions- und dem inneren Wert des Geldes zeigen die Fälle, wo für die Schätzung der Werte als Maſsstab ein Geld angewandt wird, in dem die that- sächlichen Zahlungen gar nicht erfolgen. Den Tauschdienst, von dem ich eben sprach, kann das Geld nicht leisten, ohne zugleich Maſsdienste zu leisten; wohl aber zeigen sich die letzteren in gewisser Hinsicht von jenem unabhängig. Im alten Ägypten wurden die Preise nach dem Uten, einem Stück gewundenen Kupferdrahts, bestimmt, während die Zahlungen in den verschiedensten Bedarfsartikeln erfolgten. Im Mittelalter wird vielfach der Geldpreis festgesetzt, während der Käufer ihn zahlen darf, in quo potuerit. An vielen Stellen Afrikas wird heute der Güter- austausch nach einer, manchmal recht komplizierten, Geld-Valuta voll- zogen, aber das Geld selbst ist meistens nicht vorhanden. Die Geschäfte der auſserordentlich wichtigen Genueser Wechselmessen des 16. Jahrhun- derts wurden nach der Werteinheit des Markenskudo (scudo de’ marchi) abgewickelt. Diese war in keiner existierenden Münze ausgedrückt, war vielmehr rein imaginär: 100 Skudi galten soviel wie 99 der besten Goldskudi. Alle Verpflichtungen waren auf Markenskudi gestellt, wo- durch die Meſswährung, eben wegen ihrer Idealität, eine vollkommen feste, aller Schwankung und Zerfahrenheit der Prägungen entzogene war. Auch die indische Kompagnie hat, um der Verschlechterung, dem Verschleiſs und der Fälschung der indischen Münze zu begegnen, den rupee current eingeführt: eine überhaupt nicht geprägte Münze, die einem gewissen Quantum Silber entsprach und nur den Maſsstab bildete, an dem der Wert der wirklichen, deteriorierten Münzen fest- gestellt wurde. Diese gewannen nun durch ein solches festes ideelles Maſs auch für sich einen festen relativen Wert. Damit war fast schon der Zustand erreicht, den ein Theoretiker von Anfang des 19. Jahr- hunderts vor Augen hat. Indem er alles gemünzte, oder in anderer Form den Verkehr vermittelnde Geld für eine Anweisung auf tausch- bare Güter erklärt, kommt er schlieſslich zu einer Negation aller Realität des Geldes: er stellt dem Gelde im eigentlichen Sinne die Münze gegenüber und erklärt nur die letztere für jene „Anweisung“,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/191>, abgerufen am 28.03.2024.