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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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wenn der Händler nicht glaubte, dass das Publikum seine Waren be-
gehren wird, so würde er sie nicht anschaffen u. s. w. Diese Art des
Glaubens ist nichts als ein abgeschwächtes induktives Wissen. Allein
in dem Fall des Kredites, des Vertrauens auf jemanden, kommt zu
diesem noch ein weiteres, schwer zu beschreibendes Moment hinzu,
das am reinsten in dem religiösen Glauben verkörpert ist. Wenn man
sagt, man glaube an Gott, so ist das nicht nur eine unvollkommene
Stufe des Wissens von ihm, sondern ein überhaupt nicht in der
Richtung des Wissens liegender Gemütszustand, einerseits freilich weniger,
andrerseits aber mehr als dieses. Es ist eine sehr feine und tiefe
Wendung der Sprache, dass man "an jemanden glaubt" -- ohne dass
weiter hinzugesetzt oder auch nur deutlich dabei gedacht würde, was
man denn eigentlich von ihm glaube. Es ist eben das Gefühl, dass
zwischen unserer Idee von einem Wesen und diesem Wesen selbst
von vornherein ein Zusammenhang, eine Einheitlichkeit da sei, eine
gewisse Konsistenz der Vorstellung von ihm, eine Sicherheit und
Widerstandslosigkeit in der Hingabe des Ich an diese Vorstellung, die
wohl auf angebbare Gründe hin entsteht, aber nicht aus ihnen besteht.
Auch der wirtschaftliche Kredit enthält in vielen Fällen ein Element
dieses übertheoretischen Glaubens, und nicht weniger thut dies jenes
Vertrauen auf die Allgemeinheit, dass sie uns für die symbolischen
Zeichen, für die wir die Produkte unserer Arbeit hingegeben haben,
die konkreten Gegenwerte gewähren wird. Das ist wie gesagt in sehr
hohem Masse ein einfacher Induktionsschluss, aber es enthält darüber
hinaus noch einen Zusatz jenes sozial-psychologischen, dem religiösen
verwandten "Glaubens". Das Gefühl der persönlichen Sicherheit, das
der Geldbesitz gewährt, ist vielleicht die konzentrierteste und zu-
gespitzteste Form und Äusserung des Vertrauens auf die staatlich-
gesellschaftliche Organisation und Ordnung. Die Subjektivität dieses
Vorganges ist gleichsam die höhere Potenz derjenigen, die den Metall-
wert überhaupt schafft: wenn dieser letztere schon vorausgesetzt ist, so
wird er nun durch jenen zweiseitigen Glauben erst für den Geldverkehr
praktisch. Es zeigt sich deshalb auch hier, dass die Entwicklung vom
Substanzgeld zum Kreditgeld weniger radikal ist, als es scheint, weil
das Kreditgeld als Evolution, Verselbständigung, Herauslösung der-
jenigen Kreditmomente zu deuten ist, die schon in dem Substanzgeld
in entscheidender Weise vorhanden sind.

Die Garantie für die Weiterverwertbarkeit des Geldes, in der das
Verhältnis der Kontrahenten zu der Gesamtgruppe beschlossen ist, hat
indes eine eigenartige Form. Abstrakt angesehen, ist sie nämlich gar
nicht vorhanden, da der Geldbesitzer niemanden zwingen kann, ihm

wenn der Händler nicht glaubte, daſs das Publikum seine Waren be-
gehren wird, so würde er sie nicht anschaffen u. s. w. Diese Art des
Glaubens ist nichts als ein abgeschwächtes induktives Wissen. Allein
in dem Fall des Kredites, des Vertrauens auf jemanden, kommt zu
diesem noch ein weiteres, schwer zu beschreibendes Moment hinzu,
das am reinsten in dem religiösen Glauben verkörpert ist. Wenn man
sagt, man glaube an Gott, so ist das nicht nur eine unvollkommene
Stufe des Wissens von ihm, sondern ein überhaupt nicht in der
Richtung des Wissens liegender Gemütszustand, einerseits freilich weniger,
andrerseits aber mehr als dieses. Es ist eine sehr feine und tiefe
Wendung der Sprache, daſs man „an jemanden glaubt“ — ohne daſs
weiter hinzugesetzt oder auch nur deutlich dabei gedacht würde, was
man denn eigentlich von ihm glaube. Es ist eben das Gefühl, daſs
zwischen unserer Idee von einem Wesen und diesem Wesen selbst
von vornherein ein Zusammenhang, eine Einheitlichkeit da sei, eine
gewisse Konsistenz der Vorstellung von ihm, eine Sicherheit und
Widerstandslosigkeit in der Hingabe des Ich an diese Vorstellung, die
wohl auf angebbare Gründe hin entsteht, aber nicht aus ihnen besteht.
Auch der wirtschaftliche Kredit enthält in vielen Fällen ein Element
dieses übertheoretischen Glaubens, und nicht weniger thut dies jenes
Vertrauen auf die Allgemeinheit, daſs sie uns für die symbolischen
Zeichen, für die wir die Produkte unserer Arbeit hingegeben haben,
die konkreten Gegenwerte gewähren wird. Das ist wie gesagt in sehr
hohem Maſse ein einfacher Induktionsschluſs, aber es enthält darüber
hinaus noch einen Zusatz jenes sozial-psychologischen, dem religiösen
verwandten „Glaubens“. Das Gefühl der persönlichen Sicherheit, das
der Geldbesitz gewährt, ist vielleicht die konzentrierteste und zu-
gespitzteste Form und Äuſserung des Vertrauens auf die staatlich-
gesellschaftliche Organisation und Ordnung. Die Subjektivität dieses
Vorganges ist gleichsam die höhere Potenz derjenigen, die den Metall-
wert überhaupt schafft: wenn dieser letztere schon vorausgesetzt ist, so
wird er nun durch jenen zweiseitigen Glauben erst für den Geldverkehr
praktisch. Es zeigt sich deshalb auch hier, daſs die Entwicklung vom
Substanzgeld zum Kreditgeld weniger radikal ist, als es scheint, weil
das Kreditgeld als Evolution, Verselbständigung, Herauslösung der-
jenigen Kreditmomente zu deuten ist, die schon in dem Substanzgeld
in entscheidender Weise vorhanden sind.

Die Garantie für die Weiterverwertbarkeit des Geldes, in der das
Verhältnis der Kontrahenten zu der Gesamtgruppe beschlossen ist, hat
indes eine eigenartige Form. Abstrakt angesehen, ist sie nämlich gar
nicht vorhanden, da der Geldbesitzer niemanden zwingen kann, ihm

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[150/0174] wenn der Händler nicht glaubte, daſs das Publikum seine Waren be- gehren wird, so würde er sie nicht anschaffen u. s. w. Diese Art des Glaubens ist nichts als ein abgeschwächtes induktives Wissen. Allein in dem Fall des Kredites, des Vertrauens auf jemanden, kommt zu diesem noch ein weiteres, schwer zu beschreibendes Moment hinzu, das am reinsten in dem religiösen Glauben verkörpert ist. Wenn man sagt, man glaube an Gott, so ist das nicht nur eine unvollkommene Stufe des Wissens von ihm, sondern ein überhaupt nicht in der Richtung des Wissens liegender Gemütszustand, einerseits freilich weniger, andrerseits aber mehr als dieses. Es ist eine sehr feine und tiefe Wendung der Sprache, daſs man „an jemanden glaubt“ — ohne daſs weiter hinzugesetzt oder auch nur deutlich dabei gedacht würde, was man denn eigentlich von ihm glaube. Es ist eben das Gefühl, daſs zwischen unserer Idee von einem Wesen und diesem Wesen selbst von vornherein ein Zusammenhang, eine Einheitlichkeit da sei, eine gewisse Konsistenz der Vorstellung von ihm, eine Sicherheit und Widerstandslosigkeit in der Hingabe des Ich an diese Vorstellung, die wohl auf angebbare Gründe hin entsteht, aber nicht aus ihnen besteht. Auch der wirtschaftliche Kredit enthält in vielen Fällen ein Element dieses übertheoretischen Glaubens, und nicht weniger thut dies jenes Vertrauen auf die Allgemeinheit, daſs sie uns für die symbolischen Zeichen, für die wir die Produkte unserer Arbeit hingegeben haben, die konkreten Gegenwerte gewähren wird. Das ist wie gesagt in sehr hohem Maſse ein einfacher Induktionsschluſs, aber es enthält darüber hinaus noch einen Zusatz jenes sozial-psychologischen, dem religiösen verwandten „Glaubens“. Das Gefühl der persönlichen Sicherheit, das der Geldbesitz gewährt, ist vielleicht die konzentrierteste und zu- gespitzteste Form und Äuſserung des Vertrauens auf die staatlich- gesellschaftliche Organisation und Ordnung. Die Subjektivität dieses Vorganges ist gleichsam die höhere Potenz derjenigen, die den Metall- wert überhaupt schafft: wenn dieser letztere schon vorausgesetzt ist, so wird er nun durch jenen zweiseitigen Glauben erst für den Geldverkehr praktisch. Es zeigt sich deshalb auch hier, daſs die Entwicklung vom Substanzgeld zum Kreditgeld weniger radikal ist, als es scheint, weil das Kreditgeld als Evolution, Verselbständigung, Herauslösung der- jenigen Kreditmomente zu deuten ist, die schon in dem Substanzgeld in entscheidender Weise vorhanden sind. Die Garantie für die Weiterverwertbarkeit des Geldes, in der das Verhältnis der Kontrahenten zu der Gesamtgruppe beschlossen ist, hat indes eine eigenartige Form. Abstrakt angesehen, ist sie nämlich gar nicht vorhanden, da der Geldbesitzer niemanden zwingen kann, ihm

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/174>, abgerufen am 25.04.2024.