Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

fügung stellt. Der Drehpunkt der Wechselwirkung jener beiden rückt
damit weiter fort, er entfernt sich aus der unmittelbaren Verbindungs-
linie zwischen ihnen und verlegt sich in das Verhältnis, das jeder von
ihnen als Geldinteressent zu dem Wirtschaftskreise hat, der das Geld
acceptiert und dies durch die Prägung seitens seiner höchsten Vertretung
dokumentiert. Hierauf beruht der Kern von Wahrheit in der Theorie,
dass alles Geld nur eine Anweisung auf die Gesellschaft ist; es er-
scheint gleichsam als ein Wechsel, in dem der Name des Bezogenen
nicht ausgefüllt ist, oder auch: in dem die Prägung die Stelle des
Acceptes vertritt. Wenn man gegen die Lehre, die auch im Metall-
gelde einen Kredit finden will, eingewendet hat, dass der Kredit doch
eine Verbindlichkeit begründe, die Metallgeldzahlung aber jede Ver-
bindlichkeit löse, so ist übersehen, dass, was für den Einzelnen Lösung
ist, für die Gesamtheit Bindung sein kann. Die Solvierung jeder
privaten Verbindlichkeit durch Geld bedeutet eben, dass jetzt die Ge-
samtheit diese Verpflichtung gegen den Berechtigten übernimmt. Die
Verbindlichkeit aus einer naturalen Leistung ist doch nur auf zweierlei
Weise aus der Welt zu schaffen: entweder durch direkte Gegen-
leistung oder durch Anweisung auf eine solche. Letztere hat der
Geldbesitzer in der Hand, und indem er sie an denjenigen, der vor-
geleistet hat, übergiebt, weist er ihn an einen vorläufig anonymen
Produzenten, der auf Grund seiner Zugehörigkeit zu dem betreffenden
Wirtschaftskreise jene erforderte Leistung gegen eben dieses Geld auf
sich nimmt. Der Unterschied zwischen dem gedeckten und dem un-
gedeckten Papiergeld, den man in Beziehung zu dem Kreditcharakter
des Geldes gesetzt hat, ist dabei ganz irrelevant. Man hat gemeint,
nur uneinlösbares Papier sei wirklich Geld (papier-monnaie), wogegen
einlösbares nur eine Anweisung auf Geld sei (monnaie de papier); da-
gegen ist nun wieder geltend gemacht, dass dieser Unterschied keine
Bedeutung für den Verkehr zwischen Käufer und Verkäufer habe,
denn in diesem funktioniere auch das gedeckte Papier nicht als Zahlungs-
versprechen, sondern als definitive Zahlung, im Unterschiede etwa gegen
den Check, der auch zwischen Käufer und Verkäufer nur ein Ver-
sprechen sei. Diese ganze Fragestellung dringt nicht zu dem sozio-
logischen Sachverhalt hinunter; für diesen ist kein Zweifel, dass auch
das Metallgeld ein Versprechen ist und dass es sich insofern von dem
Check nur durch die Grösse des Kreises unterscheidet, der dessen
Einlösung verbürgt. Das gemeinsame Verhältnis von Käufer und Ver-
käufer zu einem sozialen Kreise -- der Anspruch jenes an eine in
diesem Kreise zu prästierende Leistung und das Vertrauen des anderen,
dass dieser Anspruch honoriert werden wird -- ist die soziologische

fügung stellt. Der Drehpunkt der Wechselwirkung jener beiden rückt
damit weiter fort, er entfernt sich aus der unmittelbaren Verbindungs-
linie zwischen ihnen und verlegt sich in das Verhältnis, das jeder von
ihnen als Geldinteressent zu dem Wirtschaftskreise hat, der das Geld
acceptiert und dies durch die Prägung seitens seiner höchsten Vertretung
dokumentiert. Hierauf beruht der Kern von Wahrheit in der Theorie,
daſs alles Geld nur eine Anweisung auf die Gesellschaft ist; es er-
scheint gleichsam als ein Wechsel, in dem der Name des Bezogenen
nicht ausgefüllt ist, oder auch: in dem die Prägung die Stelle des
Acceptes vertritt. Wenn man gegen die Lehre, die auch im Metall-
gelde einen Kredit finden will, eingewendet hat, daſs der Kredit doch
eine Verbindlichkeit begründe, die Metallgeldzahlung aber jede Ver-
bindlichkeit löse, so ist übersehen, daſs, was für den Einzelnen Lösung
ist, für die Gesamtheit Bindung sein kann. Die Solvierung jeder
privaten Verbindlichkeit durch Geld bedeutet eben, daſs jetzt die Ge-
samtheit diese Verpflichtung gegen den Berechtigten übernimmt. Die
Verbindlichkeit aus einer naturalen Leistung ist doch nur auf zweierlei
Weise aus der Welt zu schaffen: entweder durch direkte Gegen-
leistung oder durch Anweisung auf eine solche. Letztere hat der
Geldbesitzer in der Hand, und indem er sie an denjenigen, der vor-
geleistet hat, übergiebt, weist er ihn an einen vorläufig anonymen
Produzenten, der auf Grund seiner Zugehörigkeit zu dem betreffenden
Wirtschaftskreise jene erforderte Leistung gegen eben dieses Geld auf
sich nimmt. Der Unterschied zwischen dem gedeckten und dem un-
gedeckten Papiergeld, den man in Beziehung zu dem Kreditcharakter
des Geldes gesetzt hat, ist dabei ganz irrelevant. Man hat gemeint,
nur uneinlösbares Papier sei wirklich Geld (papier-monnaie), wogegen
einlösbares nur eine Anweisung auf Geld sei (monnaie de papier); da-
gegen ist nun wieder geltend gemacht, daſs dieser Unterschied keine
Bedeutung für den Verkehr zwischen Käufer und Verkäufer habe,
denn in diesem funktioniere auch das gedeckte Papier nicht als Zahlungs-
versprechen, sondern als definitive Zahlung, im Unterschiede etwa gegen
den Check, der auch zwischen Käufer und Verkäufer nur ein Ver-
sprechen sei. Diese ganze Fragestellung dringt nicht zu dem sozio-
logischen Sachverhalt hinunter; für diesen ist kein Zweifel, daſs auch
das Metallgeld ein Versprechen ist und daſs es sich insofern von dem
Check nur durch die Gröſse des Kreises unterscheidet, der dessen
Einlösung verbürgt. Das gemeinsame Verhältnis von Käufer und Ver-
käufer zu einem sozialen Kreise — der Anspruch jenes an eine in
diesem Kreise zu prästierende Leistung und das Vertrauen des anderen,
daſs dieser Anspruch honoriert werden wird — ist die soziologische

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0172" n="148"/>
fügung stellt. Der Drehpunkt der Wechselwirkung jener beiden rückt<lb/>
damit weiter fort, er entfernt sich aus der unmittelbaren Verbindungs-<lb/>
linie zwischen ihnen und verlegt sich in das Verhältnis, das jeder von<lb/>
ihnen als Geldinteressent zu dem Wirtschaftskreise hat, der das Geld<lb/>
acceptiert und dies durch die Prägung seitens seiner höchsten Vertretung<lb/>
dokumentiert. Hierauf beruht der Kern von Wahrheit in der Theorie,<lb/>
da&#x017F;s alles Geld nur eine Anweisung auf die Gesellschaft ist; es er-<lb/>
scheint gleichsam als ein Wechsel, in dem der Name des Bezogenen<lb/>
nicht ausgefüllt ist, oder auch: in dem die Prägung die Stelle des<lb/>
Acceptes vertritt. Wenn man gegen die Lehre, die auch im Metall-<lb/>
gelde einen Kredit finden will, eingewendet hat, da&#x017F;s der Kredit doch<lb/>
eine Verbindlichkeit begründe, die Metallgeldzahlung aber jede Ver-<lb/>
bindlichkeit löse, so ist übersehen, da&#x017F;s, was für den Einzelnen Lösung<lb/>
ist, für die Gesamtheit Bindung sein kann. Die Solvierung jeder<lb/>
privaten Verbindlichkeit durch Geld bedeutet eben, da&#x017F;s jetzt die Ge-<lb/>
samtheit diese Verpflichtung gegen den Berechtigten übernimmt. Die<lb/>
Verbindlichkeit aus einer naturalen Leistung ist doch nur auf zweierlei<lb/>
Weise aus der Welt zu schaffen: entweder durch direkte Gegen-<lb/>
leistung oder durch Anweisung auf eine solche. Letztere hat der<lb/>
Geldbesitzer in der Hand, und indem er sie an denjenigen, der vor-<lb/>
geleistet hat, übergiebt, weist er ihn an einen vorläufig anonymen<lb/>
Produzenten, der auf Grund seiner Zugehörigkeit zu dem betreffenden<lb/>
Wirtschaftskreise jene erforderte Leistung gegen eben dieses Geld auf<lb/>
sich nimmt. Der Unterschied zwischen dem gedeckten und dem un-<lb/>
gedeckten Papiergeld, den man in Beziehung zu dem Kreditcharakter<lb/>
des Geldes gesetzt hat, ist dabei ganz irrelevant. Man hat gemeint,<lb/>
nur uneinlösbares Papier sei wirklich Geld (papier-monnaie), wogegen<lb/>
einlösbares nur eine Anweisung auf Geld sei (monnaie de papier); da-<lb/>
gegen ist nun wieder geltend gemacht, da&#x017F;s dieser Unterschied keine<lb/>
Bedeutung für den Verkehr zwischen Käufer und Verkäufer habe,<lb/>
denn in diesem funktioniere auch das gedeckte Papier nicht als Zahlungs-<lb/>
versprechen, sondern als definitive Zahlung, im Unterschiede etwa gegen<lb/>
den Check, der auch zwischen Käufer und Verkäufer nur ein Ver-<lb/>
sprechen sei. Diese ganze Fragestellung dringt nicht zu dem sozio-<lb/>
logischen Sachverhalt hinunter; für diesen ist kein Zweifel, da&#x017F;s auch<lb/>
das Metallgeld ein Versprechen ist und da&#x017F;s es sich insofern von dem<lb/>
Check nur durch die Grö&#x017F;se des Kreises unterscheidet, der dessen<lb/>
Einlösung verbürgt. Das gemeinsame Verhältnis von Käufer und Ver-<lb/>
käufer zu einem sozialen Kreise &#x2014; der Anspruch jenes an eine in<lb/>
diesem Kreise zu prästierende Leistung und das Vertrauen des anderen,<lb/>
da&#x017F;s dieser Anspruch honoriert werden wird &#x2014; ist die soziologische<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0172] fügung stellt. Der Drehpunkt der Wechselwirkung jener beiden rückt damit weiter fort, er entfernt sich aus der unmittelbaren Verbindungs- linie zwischen ihnen und verlegt sich in das Verhältnis, das jeder von ihnen als Geldinteressent zu dem Wirtschaftskreise hat, der das Geld acceptiert und dies durch die Prägung seitens seiner höchsten Vertretung dokumentiert. Hierauf beruht der Kern von Wahrheit in der Theorie, daſs alles Geld nur eine Anweisung auf die Gesellschaft ist; es er- scheint gleichsam als ein Wechsel, in dem der Name des Bezogenen nicht ausgefüllt ist, oder auch: in dem die Prägung die Stelle des Acceptes vertritt. Wenn man gegen die Lehre, die auch im Metall- gelde einen Kredit finden will, eingewendet hat, daſs der Kredit doch eine Verbindlichkeit begründe, die Metallgeldzahlung aber jede Ver- bindlichkeit löse, so ist übersehen, daſs, was für den Einzelnen Lösung ist, für die Gesamtheit Bindung sein kann. Die Solvierung jeder privaten Verbindlichkeit durch Geld bedeutet eben, daſs jetzt die Ge- samtheit diese Verpflichtung gegen den Berechtigten übernimmt. Die Verbindlichkeit aus einer naturalen Leistung ist doch nur auf zweierlei Weise aus der Welt zu schaffen: entweder durch direkte Gegen- leistung oder durch Anweisung auf eine solche. Letztere hat der Geldbesitzer in der Hand, und indem er sie an denjenigen, der vor- geleistet hat, übergiebt, weist er ihn an einen vorläufig anonymen Produzenten, der auf Grund seiner Zugehörigkeit zu dem betreffenden Wirtschaftskreise jene erforderte Leistung gegen eben dieses Geld auf sich nimmt. Der Unterschied zwischen dem gedeckten und dem un- gedeckten Papiergeld, den man in Beziehung zu dem Kreditcharakter des Geldes gesetzt hat, ist dabei ganz irrelevant. Man hat gemeint, nur uneinlösbares Papier sei wirklich Geld (papier-monnaie), wogegen einlösbares nur eine Anweisung auf Geld sei (monnaie de papier); da- gegen ist nun wieder geltend gemacht, daſs dieser Unterschied keine Bedeutung für den Verkehr zwischen Käufer und Verkäufer habe, denn in diesem funktioniere auch das gedeckte Papier nicht als Zahlungs- versprechen, sondern als definitive Zahlung, im Unterschiede etwa gegen den Check, der auch zwischen Käufer und Verkäufer nur ein Ver- sprechen sei. Diese ganze Fragestellung dringt nicht zu dem sozio- logischen Sachverhalt hinunter; für diesen ist kein Zweifel, daſs auch das Metallgeld ein Versprechen ist und daſs es sich insofern von dem Check nur durch die Gröſse des Kreises unterscheidet, der dessen Einlösung verbürgt. Das gemeinsame Verhältnis von Käufer und Ver- käufer zu einem sozialen Kreise — der Anspruch jenes an eine in diesem Kreise zu prästierende Leistung und das Vertrauen des anderen, daſs dieser Anspruch honoriert werden wird — ist die soziologische

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/172
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/172>, abgerufen am 28.11.2024.