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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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viel weniger Geldsubstanz besassen als Spanien, und ihre Existenz auf
den Kredit gestellt war. Je günstiger die lokalen Bedingungen der
Geldfunktion sind, mit desto weniger Substanz können sie ausgeübt
werden, so dass man paradoxerweise sagen kann: je mehr es wirklich
Geld (seiner wesentlichen Bedeutung nach) ist, desto weniger braucht
es Geld (seiner Substanz nach) zu sein.

Neben dem Einfluss lokaler Bedingungen ist es nun weiterhin die
Festigkeit und Zuverlässigkeit der sozialen Wechselwirkungen, gleich-
sam die Konsistenz des Wirtschaftskreises, die die Auflösung der Geld-
substanz vorbereitet. Das zeigt sich etwa gelegentlich der Thatsache,
dass das Geld eine immer steigende Anzahl von Wirkungen hervor-
bringt, während es selbst ruht. Die manchmal auftretende Vorstellung,
dass die ökonomische Bedeutung des Geldes das Produkt aus seinem
Werte und der Häufigkeit seiner Umsetzungen in einer gegebenen
Zeit wäre, übersieht die mächtigen Wirkungen, die das Geld durch
blosse Hoffnung und Furcht, durch Begierde und Besorgnis, die sich
mit ihm verbinden, übt; es strahlt diese auch ökonomisch so bedeut-
samen Affekte aus, wie Himmel und Hölle sie ausstrahlen: als blosse
Idee. Die reine Vorstellung des Vorhandenseins oder des Mangels
von Geld an einer bestimmten Stelle wirkt anspannend oder lähmend,
und die Goldreserven in den Kellern der Banken, die deren Noten
decken, beweisen handgreiflich, wie das Geld in seiner rein psycho-
logischen Vertretung volle Wirkungen zustande bringt; hier ist es
wirklich als der "unbewegte Beweger" zu bezeichnen. Nun liegt es
auf der Hand, dass diese Wirkung des Geldes als blosser Potenzialität
von der Feinheit und Sicherheit der wirtschaftlichen Organisation über-
haupt abhängt. Wo die sozialen Verbindungen locker, sporadisch,
träge sind, da wird nicht nur bloss gegen bar verkauft, sondern auch
das ruhende Geld findet nicht die vielen psychologischen Kanäle, durch
die hin es wirken kann. Hierhin gehört auch die Doppelexistenz
des ausgeliehenen Geldes: einmal in der ideellen aber doch höchst
bedeutungsvollen Form des Aussenstandes, und ausserdem als Realität
in der Hand des Schuldners. Als Forderung gehört es in den Ver-
mögensbestand des Gläubigers und ist, obgleich es gar nicht an dieser
Stelle vorhanden ist, doch an ihr äusserst wirksam; andrerseits, ob-
gleich dieser Wert sich gar nicht in dem Vermögen des Entleihers be-
findet, so kann er doch mit ihm dieselben wirtschaftlichen Wirkungen
üben, als ob das der Fall wäre. So wird durch das Ausleihen des
Geldes seine Wirksamkeit in zwei Teile zerlegt und damit der Ertrag
seiner wirtschaftlichen Energie ausserordentlich gesteigert. Aber die
intellektuelle Abstraktion, die diese Zerlegung bewirkt, kann ihre Er-

viel weniger Geldsubstanz besaſsen als Spanien, und ihre Existenz auf
den Kredit gestellt war. Je günstiger die lokalen Bedingungen der
Geldfunktion sind, mit desto weniger Substanz können sie ausgeübt
werden, so daſs man paradoxerweise sagen kann: je mehr es wirklich
Geld (seiner wesentlichen Bedeutung nach) ist, desto weniger braucht
es Geld (seiner Substanz nach) zu sein.

Neben dem Einfluſs lokaler Bedingungen ist es nun weiterhin die
Festigkeit und Zuverlässigkeit der sozialen Wechselwirkungen, gleich-
sam die Konsistenz des Wirtschaftskreises, die die Auflösung der Geld-
substanz vorbereitet. Das zeigt sich etwa gelegentlich der Thatsache,
daſs das Geld eine immer steigende Anzahl von Wirkungen hervor-
bringt, während es selbst ruht. Die manchmal auftretende Vorstellung,
daſs die ökonomische Bedeutung des Geldes das Produkt aus seinem
Werte und der Häufigkeit seiner Umsetzungen in einer gegebenen
Zeit wäre, übersieht die mächtigen Wirkungen, die das Geld durch
bloſse Hoffnung und Furcht, durch Begierde und Besorgnis, die sich
mit ihm verbinden, übt; es strahlt diese auch ökonomisch so bedeut-
samen Affekte aus, wie Himmel und Hölle sie ausstrahlen: als bloſse
Idee. Die reine Vorstellung des Vorhandenseins oder des Mangels
von Geld an einer bestimmten Stelle wirkt anspannend oder lähmend,
und die Goldreserven in den Kellern der Banken, die deren Noten
decken, beweisen handgreiflich, wie das Geld in seiner rein psycho-
logischen Vertretung volle Wirkungen zustande bringt; hier ist es
wirklich als der „unbewegte Beweger“ zu bezeichnen. Nun liegt es
auf der Hand, daſs diese Wirkung des Geldes als bloſser Potenzialität
von der Feinheit und Sicherheit der wirtschaftlichen Organisation über-
haupt abhängt. Wo die sozialen Verbindungen locker, sporadisch,
träge sind, da wird nicht nur bloſs gegen bar verkauft, sondern auch
das ruhende Geld findet nicht die vielen psychologischen Kanäle, durch
die hin es wirken kann. Hierhin gehört auch die Doppelexistenz
des ausgeliehenen Geldes: einmal in der ideellen aber doch höchst
bedeutungsvollen Form des Auſsenstandes, und auſserdem als Realität
in der Hand des Schuldners. Als Forderung gehört es in den Ver-
mögensbestand des Gläubigers und ist, obgleich es gar nicht an dieser
Stelle vorhanden ist, doch an ihr äuſserst wirksam; andrerseits, ob-
gleich dieser Wert sich gar nicht in dem Vermögen des Entleihers be-
findet, so kann er doch mit ihm dieselben wirtschaftlichen Wirkungen
üben, als ob das der Fall wäre. So wird durch das Ausleihen des
Geldes seine Wirksamkeit in zwei Teile zerlegt und damit der Ertrag
seiner wirtschaftlichen Energie auſserordentlich gesteigert. Aber die
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[140/0164] viel weniger Geldsubstanz besaſsen als Spanien, und ihre Existenz auf den Kredit gestellt war. Je günstiger die lokalen Bedingungen der Geldfunktion sind, mit desto weniger Substanz können sie ausgeübt werden, so daſs man paradoxerweise sagen kann: je mehr es wirklich Geld (seiner wesentlichen Bedeutung nach) ist, desto weniger braucht es Geld (seiner Substanz nach) zu sein. Neben dem Einfluſs lokaler Bedingungen ist es nun weiterhin die Festigkeit und Zuverlässigkeit der sozialen Wechselwirkungen, gleich- sam die Konsistenz des Wirtschaftskreises, die die Auflösung der Geld- substanz vorbereitet. Das zeigt sich etwa gelegentlich der Thatsache, daſs das Geld eine immer steigende Anzahl von Wirkungen hervor- bringt, während es selbst ruht. Die manchmal auftretende Vorstellung, daſs die ökonomische Bedeutung des Geldes das Produkt aus seinem Werte und der Häufigkeit seiner Umsetzungen in einer gegebenen Zeit wäre, übersieht die mächtigen Wirkungen, die das Geld durch bloſse Hoffnung und Furcht, durch Begierde und Besorgnis, die sich mit ihm verbinden, übt; es strahlt diese auch ökonomisch so bedeut- samen Affekte aus, wie Himmel und Hölle sie ausstrahlen: als bloſse Idee. Die reine Vorstellung des Vorhandenseins oder des Mangels von Geld an einer bestimmten Stelle wirkt anspannend oder lähmend, und die Goldreserven in den Kellern der Banken, die deren Noten decken, beweisen handgreiflich, wie das Geld in seiner rein psycho- logischen Vertretung volle Wirkungen zustande bringt; hier ist es wirklich als der „unbewegte Beweger“ zu bezeichnen. Nun liegt es auf der Hand, daſs diese Wirkung des Geldes als bloſser Potenzialität von der Feinheit und Sicherheit der wirtschaftlichen Organisation über- haupt abhängt. Wo die sozialen Verbindungen locker, sporadisch, träge sind, da wird nicht nur bloſs gegen bar verkauft, sondern auch das ruhende Geld findet nicht die vielen psychologischen Kanäle, durch die hin es wirken kann. Hierhin gehört auch die Doppelexistenz des ausgeliehenen Geldes: einmal in der ideellen aber doch höchst bedeutungsvollen Form des Auſsenstandes, und auſserdem als Realität in der Hand des Schuldners. Als Forderung gehört es in den Ver- mögensbestand des Gläubigers und ist, obgleich es gar nicht an dieser Stelle vorhanden ist, doch an ihr äuſserst wirksam; andrerseits, ob- gleich dieser Wert sich gar nicht in dem Vermögen des Entleihers be- findet, so kann er doch mit ihm dieselben wirtschaftlichen Wirkungen üben, als ob das der Fall wäre. So wird durch das Ausleihen des Geldes seine Wirksamkeit in zwei Teile zerlegt und damit der Ertrag seiner wirtschaftlichen Energie auſserordentlich gesteigert. Aber die intellektuelle Abstraktion, die diese Zerlegung bewirkt, kann ihre Er-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/164>, abgerufen am 28.03.2024.