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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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in einiger Zeit nachzukommen pflegt. Sie kommt ihr aber manchmal
auch nicht nach, und so gehen manche Verhältnisse darüber zu Grunde,
dass ihre Form, obgleich durch ihre Innerlichkeit bis zu einem gewissen
Grade berechtigt, von dieser nicht völlig eingeholt werden kann. Etwas
Entsprechendes findet auch im Unpersönlichen statt. Kräfte des sozialen
Lebens, die auf ihren Ausdruck in bestimmten Konstellationen von
Recht, Austauschformen, Herrschaftsverhältnissen etc. hindrängen, finden
denselben oft lange nicht, weil die einmal erlangten Formen dieser
Gebiete leicht erstarren. Tritt nun die innerlich erforderte äussere
Änderung dennoch ein, so erfolgt sie oft in einem Masse, für das die
innerlichen Kräfte doch noch nicht ganz reif sind und dessen nachträg-
liche Legitimierung nicht immer gelingt. So ist die Geldwirtschaft manch-
mal aufgekommen. Nachdem die allgemeinen Wirtschaftsverhältnisse
schon lange auf sie hindrängten, tritt sie dann in Erscheinungen so ge-
waltigen Umfanges hervor, dass nun wieder jene ihr nicht ganz genügen;
dann können solche Erscheinungen ein tragisches Ende finden, wenn die
Entwicklung der inneren ökonomischen Kräfte die Form, die sie vor-
weggenommen hat, nicht schnell genug einholen. Das war die Situation,
in der die Fugger, ja alle die grossen oberdeutschen Bankiers des
16. Jahrhunderts, zu Grunde gingen. Ihre Geldgeschäfte, vollkommen
den Transaktionen moderner Weltbankiers vergleichbar, fielen in eine
Zeit, die zwar der naturalwirtschaftlichen Enge des Mittelalters ent-
wachsen war, aber doch noch nicht die Kommunikationen, Sicherheiten
und Usancen besass, die das notwendige Korrelat solcher Geschäfte
sind. Die allgemeinen Verhältnisse lagen noch nicht so, dass man
Aussenstände in Spanien und bei regierenden Herren ohne weiteres
hätte einziehen können. Die neuen geldwirtschaftlichen Formen ver-
leiteten Anton Fugger, sie weit über das Mass zu spannen, in dem sie
der adäquate Ausdruck der damaligen realen Verfassung Europas ge-
wesen wären. Den Schuldnern jener Finanzmächte ging es aus dem-
selben Grunde nicht besser. Die spanische Finanznot des 16. Jahr-
hunderts entstand dadurch, dass das Geld zwar in Spanien oft genug
vorhanden war, aber nicht dort, wo es grossenteils gebraucht wurde,
in den Niederlanden. Dadurch entstanden Schwierigkeiten, Verzöge-
rungen, Kosten, die zum Ruin der spanischen Finanzen sehr viel bei-
trugen. Bei anderen lokalen Bedingungen stellt sich auch sofort eine
ganz andere Funktionierung des Geldes ein: die Niederlande ihrerseits
hatten in ihrem Kriege gegen Spanien den ungeheuren Vorteil, dass
ihr Geld ebenda, wo es war, auch seine Verwendung fand. In den
Händen der Niederländer war es wirklich erst "Geld", weil es hier
ungehindert funktionieren konnte -- obgleich sie, auch relativ, sehr

in einiger Zeit nachzukommen pflegt. Sie kommt ihr aber manchmal
auch nicht nach, und so gehen manche Verhältnisse darüber zu Grunde,
daſs ihre Form, obgleich durch ihre Innerlichkeit bis zu einem gewissen
Grade berechtigt, von dieser nicht völlig eingeholt werden kann. Etwas
Entsprechendes findet auch im Unpersönlichen statt. Kräfte des sozialen
Lebens, die auf ihren Ausdruck in bestimmten Konstellationen von
Recht, Austauschformen, Herrschaftsverhältnissen etc. hindrängen, finden
denselben oft lange nicht, weil die einmal erlangten Formen dieser
Gebiete leicht erstarren. Tritt nun die innerlich erforderte äuſsere
Änderung dennoch ein, so erfolgt sie oft in einem Maſse, für das die
innerlichen Kräfte doch noch nicht ganz reif sind und dessen nachträg-
liche Legitimierung nicht immer gelingt. So ist die Geldwirtschaft manch-
mal aufgekommen. Nachdem die allgemeinen Wirtschaftsverhältnisse
schon lange auf sie hindrängten, tritt sie dann in Erscheinungen so ge-
waltigen Umfanges hervor, daſs nun wieder jene ihr nicht ganz genügen;
dann können solche Erscheinungen ein tragisches Ende finden, wenn die
Entwicklung der inneren ökonomischen Kräfte die Form, die sie vor-
weggenommen hat, nicht schnell genug einholen. Das war die Situation,
in der die Fugger, ja alle die groſsen oberdeutschen Bankiers des
16. Jahrhunderts, zu Grunde gingen. Ihre Geldgeschäfte, vollkommen
den Transaktionen moderner Weltbankiers vergleichbar, fielen in eine
Zeit, die zwar der naturalwirtschaftlichen Enge des Mittelalters ent-
wachsen war, aber doch noch nicht die Kommunikationen, Sicherheiten
und Usancen besaſs, die das notwendige Korrelat solcher Geschäfte
sind. Die allgemeinen Verhältnisse lagen noch nicht so, daſs man
Auſsenstände in Spanien und bei regierenden Herren ohne weiteres
hätte einziehen können. Die neuen geldwirtschaftlichen Formen ver-
leiteten Anton Fugger, sie weit über das Maſs zu spannen, in dem sie
der adäquate Ausdruck der damaligen realen Verfassung Europas ge-
wesen wären. Den Schuldnern jener Finanzmächte ging es aus dem-
selben Grunde nicht besser. Die spanische Finanznot des 16. Jahr-
hunderts entstand dadurch, daſs das Geld zwar in Spanien oft genug
vorhanden war, aber nicht dort, wo es groſsenteils gebraucht wurde,
in den Niederlanden. Dadurch entstanden Schwierigkeiten, Verzöge-
rungen, Kosten, die zum Ruin der spanischen Finanzen sehr viel bei-
trugen. Bei anderen lokalen Bedingungen stellt sich auch sofort eine
ganz andere Funktionierung des Geldes ein: die Niederlande ihrerseits
hatten in ihrem Kriege gegen Spanien den ungeheuren Vorteil, daſs
ihr Geld ebenda, wo es war, auch seine Verwendung fand. In den
Händen der Niederländer war es wirklich erst „Geld“, weil es hier
ungehindert funktionieren konnte — obgleich sie, auch relativ, sehr

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[139/0163] in einiger Zeit nachzukommen pflegt. Sie kommt ihr aber manchmal auch nicht nach, und so gehen manche Verhältnisse darüber zu Grunde, daſs ihre Form, obgleich durch ihre Innerlichkeit bis zu einem gewissen Grade berechtigt, von dieser nicht völlig eingeholt werden kann. Etwas Entsprechendes findet auch im Unpersönlichen statt. Kräfte des sozialen Lebens, die auf ihren Ausdruck in bestimmten Konstellationen von Recht, Austauschformen, Herrschaftsverhältnissen etc. hindrängen, finden denselben oft lange nicht, weil die einmal erlangten Formen dieser Gebiete leicht erstarren. Tritt nun die innerlich erforderte äuſsere Änderung dennoch ein, so erfolgt sie oft in einem Maſse, für das die innerlichen Kräfte doch noch nicht ganz reif sind und dessen nachträg- liche Legitimierung nicht immer gelingt. So ist die Geldwirtschaft manch- mal aufgekommen. Nachdem die allgemeinen Wirtschaftsverhältnisse schon lange auf sie hindrängten, tritt sie dann in Erscheinungen so ge- waltigen Umfanges hervor, daſs nun wieder jene ihr nicht ganz genügen; dann können solche Erscheinungen ein tragisches Ende finden, wenn die Entwicklung der inneren ökonomischen Kräfte die Form, die sie vor- weggenommen hat, nicht schnell genug einholen. Das war die Situation, in der die Fugger, ja alle die groſsen oberdeutschen Bankiers des 16. Jahrhunderts, zu Grunde gingen. Ihre Geldgeschäfte, vollkommen den Transaktionen moderner Weltbankiers vergleichbar, fielen in eine Zeit, die zwar der naturalwirtschaftlichen Enge des Mittelalters ent- wachsen war, aber doch noch nicht die Kommunikationen, Sicherheiten und Usancen besaſs, die das notwendige Korrelat solcher Geschäfte sind. Die allgemeinen Verhältnisse lagen noch nicht so, daſs man Auſsenstände in Spanien und bei regierenden Herren ohne weiteres hätte einziehen können. Die neuen geldwirtschaftlichen Formen ver- leiteten Anton Fugger, sie weit über das Maſs zu spannen, in dem sie der adäquate Ausdruck der damaligen realen Verfassung Europas ge- wesen wären. Den Schuldnern jener Finanzmächte ging es aus dem- selben Grunde nicht besser. Die spanische Finanznot des 16. Jahr- hunderts entstand dadurch, daſs das Geld zwar in Spanien oft genug vorhanden war, aber nicht dort, wo es groſsenteils gebraucht wurde, in den Niederlanden. Dadurch entstanden Schwierigkeiten, Verzöge- rungen, Kosten, die zum Ruin der spanischen Finanzen sehr viel bei- trugen. Bei anderen lokalen Bedingungen stellt sich auch sofort eine ganz andere Funktionierung des Geldes ein: die Niederlande ihrerseits hatten in ihrem Kriege gegen Spanien den ungeheuren Vorteil, daſs ihr Geld ebenda, wo es war, auch seine Verwendung fand. In den Händen der Niederländer war es wirklich erst „Geld“, weil es hier ungehindert funktionieren konnte — obgleich sie, auch relativ, sehr

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/163>, abgerufen am 18.04.2024.