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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Durchschnittsniveau innerhalb bestimmter Schwankungsgrenzen gehalten
hat, so pflegt er diese Höhe auf Grund einer Änderung des Geld-
wertes nicht zu verlassen, ohne irgend einen Widerstand zu leisten.
Die Assoziation -- nach Begriffen wie nach Interessen -- zwischen
dem Gegenstand und seinem Preise ist psychologisch so fest geworden,
dass weder der Verkäufer dessen Sinken, noch der Käufer dessen
Steigen mit jener Leichtigkeit zugeben, die selbstverständlich sein
müsste, wenn der Ausgleich zwischen Geldwert und Warenwert wirk-
lich durch denselben hemmungslosen Mechanismus erfolgte, durch den
das Thermometer je nach der Lufttemperatur steigt oder sinkt, ohne
die Genauigkeit der Proportion zwischen Ursache und Wirkung durch
eine Verschiedenheit des Widerstandes zu stören, den es der einen
Bewegung mehr als der anderen entgegensetze. Auch wenn man
plötzlich noch einmal soviel Geld in der Tasche hat, als kurz vorher,
ist man doch nicht geneigt, nun ebenso plötzlich für jede Ware das
Doppelte wie vorher aufzuwenden; man wird allerdings vielleicht, im
Übermut des neuen Besitzes, dessen Bedeutung man unvermeidlich
nicht nach dem neuen, sondern nach dem von früher gewohnten Mass-
stab schätzt, nach dem Preise überhaupt nicht fragen. Allein das
Überschreiten des jetzt angemessenen zeigt nicht weniger als das
Dahinter-Zurückbleiben, dass von einer proportionalen Regulierung der
Preise wenigstens in der ersten Zeit der Geldplethora nicht die Rede
sein kann, dass in diese Regulierung vielmehr die festgewordene
Assoziation zwischen der Ware und dem gewohnten Preis-Spielraum
immerzu ablenkend eingreift. Ferner wird sich die Nachfrage nach
den Waren bei einer, wenn auch alle Wirtschaftenden gleichmässig
treffenden, Herab- oder Heraufsetzung ihres Geldbesitzes sehr ver-
schieben. Im ersteren Falle werden z. B. bisher ziemlich gleichmässig
verkäufliche Objekte bis zu einem gewissen Mass des Umfanges oder der
Überflüssigkeit noch für die Hälfte des Preises abzusetzen sein, jenseits
jener Grenze aber überhaupt keinen Abnehmer mehr finden. Andrer-
seits im Falle allseitiger Geldvermehrung, wird eine stürmische Nach-
frage nach Gütern entstehen, die für die breiten Massen das bisherige
Ziel ihrer Wünsche waren, also denjenigen, die unmittelbar oberhalb
des Niveaus ihrer bisherigen Lebenshaltung liegen; weder für die
primitivsten Bedürfnisse -- deren Verbrauchsmenge physiologisch be-
grenzt ist -- noch für die feinsten und höchsten -- die immer nur
für kleine, sehr langsam vergrösserbare Kreise von Bedeutung sind --
würde sich die Nachfrage erheblich steigern. Die Preiserhöhung würde
also jene mittleren Güter in extremer Weise treffen, auf Kosten der
anderen, in ihren Preisen relativ verharrenden; von einer proportio-

Durchschnittsniveau innerhalb bestimmter Schwankungsgrenzen gehalten
hat, so pflegt er diese Höhe auf Grund einer Änderung des Geld-
wertes nicht zu verlassen, ohne irgend einen Widerstand zu leisten.
Die Assoziation — nach Begriffen wie nach Interessen — zwischen
dem Gegenstand und seinem Preise ist psychologisch so fest geworden,
daſs weder der Verkäufer dessen Sinken, noch der Käufer dessen
Steigen mit jener Leichtigkeit zugeben, die selbstverständlich sein
müſste, wenn der Ausgleich zwischen Geldwert und Warenwert wirk-
lich durch denselben hemmungslosen Mechanismus erfolgte, durch den
das Thermometer je nach der Lufttemperatur steigt oder sinkt, ohne
die Genauigkeit der Proportion zwischen Ursache und Wirkung durch
eine Verschiedenheit des Widerstandes zu stören, den es der einen
Bewegung mehr als der anderen entgegensetze. Auch wenn man
plötzlich noch einmal soviel Geld in der Tasche hat, als kurz vorher,
ist man doch nicht geneigt, nun ebenso plötzlich für jede Ware das
Doppelte wie vorher aufzuwenden; man wird allerdings vielleicht, im
Übermut des neuen Besitzes, dessen Bedeutung man unvermeidlich
nicht nach dem neuen, sondern nach dem von früher gewohnten Maſs-
stab schätzt, nach dem Preise überhaupt nicht fragen. Allein das
Überschreiten des jetzt angemessenen zeigt nicht weniger als das
Dahinter-Zurückbleiben, daſs von einer proportionalen Regulierung der
Preise wenigstens in der ersten Zeit der Geldplethora nicht die Rede
sein kann, daſs in diese Regulierung vielmehr die festgewordene
Assoziation zwischen der Ware und dem gewohnten Preis-Spielraum
immerzu ablenkend eingreift. Ferner wird sich die Nachfrage nach
den Waren bei einer, wenn auch alle Wirtschaftenden gleichmäſsig
treffenden, Herab- oder Heraufsetzung ihres Geldbesitzes sehr ver-
schieben. Im ersteren Falle werden z. B. bisher ziemlich gleichmäſsig
verkäufliche Objekte bis zu einem gewissen Maſs des Umfanges oder der
Überflüssigkeit noch für die Hälfte des Preises abzusetzen sein, jenseits
jener Grenze aber überhaupt keinen Abnehmer mehr finden. Andrer-
seits im Falle allseitiger Geldvermehrung, wird eine stürmische Nach-
frage nach Gütern entstehen, die für die breiten Massen das bisherige
Ziel ihrer Wünsche waren, also denjenigen, die unmittelbar oberhalb
des Niveaus ihrer bisherigen Lebenshaltung liegen; weder für die
primitivsten Bedürfnisse — deren Verbrauchsmenge physiologisch be-
grenzt ist — noch für die feinsten und höchsten — die immer nur
für kleine, sehr langsam vergröſserbare Kreise von Bedeutung sind —
würde sich die Nachfrage erheblich steigern. Die Preiserhöhung würde
also jene mittleren Güter in extremer Weise treffen, auf Kosten der
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[130/0154] Durchschnittsniveau innerhalb bestimmter Schwankungsgrenzen gehalten hat, so pflegt er diese Höhe auf Grund einer Änderung des Geld- wertes nicht zu verlassen, ohne irgend einen Widerstand zu leisten. Die Assoziation — nach Begriffen wie nach Interessen — zwischen dem Gegenstand und seinem Preise ist psychologisch so fest geworden, daſs weder der Verkäufer dessen Sinken, noch der Käufer dessen Steigen mit jener Leichtigkeit zugeben, die selbstverständlich sein müſste, wenn der Ausgleich zwischen Geldwert und Warenwert wirk- lich durch denselben hemmungslosen Mechanismus erfolgte, durch den das Thermometer je nach der Lufttemperatur steigt oder sinkt, ohne die Genauigkeit der Proportion zwischen Ursache und Wirkung durch eine Verschiedenheit des Widerstandes zu stören, den es der einen Bewegung mehr als der anderen entgegensetze. Auch wenn man plötzlich noch einmal soviel Geld in der Tasche hat, als kurz vorher, ist man doch nicht geneigt, nun ebenso plötzlich für jede Ware das Doppelte wie vorher aufzuwenden; man wird allerdings vielleicht, im Übermut des neuen Besitzes, dessen Bedeutung man unvermeidlich nicht nach dem neuen, sondern nach dem von früher gewohnten Maſs- stab schätzt, nach dem Preise überhaupt nicht fragen. Allein das Überschreiten des jetzt angemessenen zeigt nicht weniger als das Dahinter-Zurückbleiben, daſs von einer proportionalen Regulierung der Preise wenigstens in der ersten Zeit der Geldplethora nicht die Rede sein kann, daſs in diese Regulierung vielmehr die festgewordene Assoziation zwischen der Ware und dem gewohnten Preis-Spielraum immerzu ablenkend eingreift. Ferner wird sich die Nachfrage nach den Waren bei einer, wenn auch alle Wirtschaftenden gleichmäſsig treffenden, Herab- oder Heraufsetzung ihres Geldbesitzes sehr ver- schieben. Im ersteren Falle werden z. B. bisher ziemlich gleichmäſsig verkäufliche Objekte bis zu einem gewissen Maſs des Umfanges oder der Überflüssigkeit noch für die Hälfte des Preises abzusetzen sein, jenseits jener Grenze aber überhaupt keinen Abnehmer mehr finden. Andrer- seits im Falle allseitiger Geldvermehrung, wird eine stürmische Nach- frage nach Gütern entstehen, die für die breiten Massen das bisherige Ziel ihrer Wünsche waren, also denjenigen, die unmittelbar oberhalb des Niveaus ihrer bisherigen Lebenshaltung liegen; weder für die primitivsten Bedürfnisse — deren Verbrauchsmenge physiologisch be- grenzt ist — noch für die feinsten und höchsten — die immer nur für kleine, sehr langsam vergröſserbare Kreise von Bedeutung sind — würde sich die Nachfrage erheblich steigern. Die Preiserhöhung würde also jene mittleren Güter in extremer Weise treffen, auf Kosten der anderen, in ihren Preisen relativ verharrenden; von einer proportio-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/154>, abgerufen am 25.04.2024.