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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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um den Einzelnen zu besonderer Kraftanspannung und Emsigkeit zu
führen, wenn diesem sein Minderbesitz anderen gegenüber besonders
scharf und dringend ins Bewusstsein tritt; in welchem Sinne man sagt:
les affaires -- c'est l'argent des autres. Wenn die Voraussetzung
jener Theorie einträte: dass die Vermehrung des Geldquantums die
Relationen der Menschen zu einander und der Warenpreise zu ein-
ander völlig ungeändert liesse, so würde es zu solcher Anstachelung
der Arbeitsenergien nicht kommen. Auch wird jene zauberhafte Ver-
doppelung der Geldquanten nur dann keine Veränderung der Relationen
mit sich bringen, wenn sie nicht auf eine bestehende Verschiedenheit
der Besitze trifft. Denn die Verdoppelung z. B. dreier Einkommen
von 1000, 10000 und 100000 Mark verschiebt auch das Verhältnis
ihrer Besitzer gegen den vorigen Stand sehr erheblich, da für die
zweiten 1000 etc. Mark doch nicht bloss das Doppelte der für die
ersten 1000 etc. Mark beschafften Dinge gekauft wird. Es würde viel-
mehr auf der einen Seite etwa nur zu einer Verbesserung der Nahrung,
auf der zweiten zu einer Verfeinerung der ästhetischen Kultur, auf
der dritten zu grösseren Spekulationswagnissen kommen. Unter der
Voraussetzung vorangängiger absoluter Gleichheit würden allerdings die
subjektiven Niveaus ungeändert bleiben, aber auch das objektive --
während anderenfalls dieses letztere in unberechenbarer Weise alteriert
würde und jedenfalls jenen gerühmten Aufschwung nur dann zeigen
würde, wenn die Unterschiede im Besitz der Einzelnen entschiedener
als vorher bestehen oder empfunden werden.

Noch näher aber an unser Ziel reichen die Überlegungen heran,
die sich an die sachliche Seite jener Theorie knüpfen: dass die Ver-
doppelung jedes Geldbesitzes deshalb alles ungeändert liesse, weil damit
sogleich auch für alle Warenpreise gleichmässige Verdoppelung ein-
treten würde. Allein diese Begründung ist irrig und übersieht eine
eigentümliche, tief einschneidende Bestimmtheit des Geldes, die man
seinen relativen Elastizitätsmangel nennen könnte: sie besteht darin,
dass ein neues, innerhalb eines Wirtschaftskreises verteiltes Geld-
quantum die Preise nicht nach ihren bisher bestehenden
Proportionen
erhöht, sondern neue Preisverhältnisse zwischen ihnen
schafft, und zwar auch ohne dass die Macht individueller Interessenten
diese Verschiebung bewirkt. Sie beruht vielmehr auf den Folgen der
Thatsache, dass der Geldpreis einer Ware, trotz seiner Relativität und
seiner inneren Zusammenhangslosigkeit mit der Ware, dennoch bei
längerem Bestehen eine gewisse Festigkeit annimmt und daraufhin
als das sachlich angemessene Äquivalent erscheint. Wenn der Preis
eines Gegenstandes lange Zeit hindurch sich auf einem bestimmten

Simmel, Philosophie des Geldes. 9

um den Einzelnen zu besonderer Kraftanspannung und Emsigkeit zu
führen, wenn diesem sein Minderbesitz anderen gegenüber besonders
scharf und dringend ins Bewuſstsein tritt; in welchem Sinne man sagt:
les affaires — c’est l’argent des autres. Wenn die Voraussetzung
jener Theorie einträte: daſs die Vermehrung des Geldquantums die
Relationen der Menschen zu einander und der Warenpreise zu ein-
ander völlig ungeändert lieſse, so würde es zu solcher Anstachelung
der Arbeitsenergien nicht kommen. Auch wird jene zauberhafte Ver-
doppelung der Geldquanten nur dann keine Veränderung der Relationen
mit sich bringen, wenn sie nicht auf eine bestehende Verschiedenheit
der Besitze trifft. Denn die Verdoppelung z. B. dreier Einkommen
von 1000, 10000 und 100000 Mark verschiebt auch das Verhältnis
ihrer Besitzer gegen den vorigen Stand sehr erheblich, da für die
zweiten 1000 etc. Mark doch nicht bloſs das Doppelte der für die
ersten 1000 etc. Mark beschafften Dinge gekauft wird. Es würde viel-
mehr auf der einen Seite etwa nur zu einer Verbesserung der Nahrung,
auf der zweiten zu einer Verfeinerung der ästhetischen Kultur, auf
der dritten zu gröſseren Spekulationswagnissen kommen. Unter der
Voraussetzung vorangängiger absoluter Gleichheit würden allerdings die
subjektiven Niveaus ungeändert bleiben, aber auch das objektive —
während anderenfalls dieses letztere in unberechenbarer Weise alteriert
würde und jedenfalls jenen gerühmten Aufschwung nur dann zeigen
würde, wenn die Unterschiede im Besitz der Einzelnen entschiedener
als vorher bestehen oder empfunden werden.

Noch näher aber an unser Ziel reichen die Überlegungen heran,
die sich an die sachliche Seite jener Theorie knüpfen: daſs die Ver-
doppelung jedes Geldbesitzes deshalb alles ungeändert lieſse, weil damit
sogleich auch für alle Warenpreise gleichmäſsige Verdoppelung ein-
treten würde. Allein diese Begründung ist irrig und übersieht eine
eigentümliche, tief einschneidende Bestimmtheit des Geldes, die man
seinen relativen Elastizitätsmangel nennen könnte: sie besteht darin,
daſs ein neues, innerhalb eines Wirtschaftskreises verteiltes Geld-
quantum die Preise nicht nach ihren bisher bestehenden
Proportionen
erhöht, sondern neue Preisverhältnisse zwischen ihnen
schafft, und zwar auch ohne daſs die Macht individueller Interessenten
diese Verschiebung bewirkt. Sie beruht vielmehr auf den Folgen der
Thatsache, daſs der Geldpreis einer Ware, trotz seiner Relativität und
seiner inneren Zusammenhangslosigkeit mit der Ware, dennoch bei
längerem Bestehen eine gewisse Festigkeit annimmt und daraufhin
als das sachlich angemessene Äquivalent erscheint. Wenn der Preis
eines Gegenstandes lange Zeit hindurch sich auf einem bestimmten

Simmel, Philosophie des Geldes. 9
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[129/0153] um den Einzelnen zu besonderer Kraftanspannung und Emsigkeit zu führen, wenn diesem sein Minderbesitz anderen gegenüber besonders scharf und dringend ins Bewuſstsein tritt; in welchem Sinne man sagt: les affaires — c’est l’argent des autres. Wenn die Voraussetzung jener Theorie einträte: daſs die Vermehrung des Geldquantums die Relationen der Menschen zu einander und der Warenpreise zu ein- ander völlig ungeändert lieſse, so würde es zu solcher Anstachelung der Arbeitsenergien nicht kommen. Auch wird jene zauberhafte Ver- doppelung der Geldquanten nur dann keine Veränderung der Relationen mit sich bringen, wenn sie nicht auf eine bestehende Verschiedenheit der Besitze trifft. Denn die Verdoppelung z. B. dreier Einkommen von 1000, 10000 und 100000 Mark verschiebt auch das Verhältnis ihrer Besitzer gegen den vorigen Stand sehr erheblich, da für die zweiten 1000 etc. Mark doch nicht bloſs das Doppelte der für die ersten 1000 etc. Mark beschafften Dinge gekauft wird. Es würde viel- mehr auf der einen Seite etwa nur zu einer Verbesserung der Nahrung, auf der zweiten zu einer Verfeinerung der ästhetischen Kultur, auf der dritten zu gröſseren Spekulationswagnissen kommen. Unter der Voraussetzung vorangängiger absoluter Gleichheit würden allerdings die subjektiven Niveaus ungeändert bleiben, aber auch das objektive — während anderenfalls dieses letztere in unberechenbarer Weise alteriert würde und jedenfalls jenen gerühmten Aufschwung nur dann zeigen würde, wenn die Unterschiede im Besitz der Einzelnen entschiedener als vorher bestehen oder empfunden werden. Noch näher aber an unser Ziel reichen die Überlegungen heran, die sich an die sachliche Seite jener Theorie knüpfen: daſs die Ver- doppelung jedes Geldbesitzes deshalb alles ungeändert lieſse, weil damit sogleich auch für alle Warenpreise gleichmäſsige Verdoppelung ein- treten würde. Allein diese Begründung ist irrig und übersieht eine eigentümliche, tief einschneidende Bestimmtheit des Geldes, die man seinen relativen Elastizitätsmangel nennen könnte: sie besteht darin, daſs ein neues, innerhalb eines Wirtschaftskreises verteiltes Geld- quantum die Preise nicht nach ihren bisher bestehenden Proportionen erhöht, sondern neue Preisverhältnisse zwischen ihnen schafft, und zwar auch ohne daſs die Macht individueller Interessenten diese Verschiebung bewirkt. Sie beruht vielmehr auf den Folgen der Thatsache, daſs der Geldpreis einer Ware, trotz seiner Relativität und seiner inneren Zusammenhangslosigkeit mit der Ware, dennoch bei längerem Bestehen eine gewisse Festigkeit annimmt und daraufhin als das sachlich angemessene Äquivalent erscheint. Wenn der Preis eines Gegenstandes lange Zeit hindurch sich auf einem bestimmten Simmel, Philosophie des Geldes. 9

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/153>, abgerufen am 24.11.2024.